Kisan – Wo die Besatzung die Idylle verblassen lässt

Sonnenaufgang nahe Kisan; © WCC-EAPPI/Helga

Sonnenaufgang über im Morgendunst liegenden Bergen und Hügeln. In der Ferne silbern glitzernd das Tote Meer. Vögel zwitschern, Hähne krähen, Hunde bellen, Schafe und Ziegen blöken.

Der rote Sonnenball erscheint am Horizont und wirft Tageslicht auf das kleine Dorf Kisan 20 km südlich von Bethlehem. Doch unser Wissen um die besatzungsbedingte Situation des Ortes und seiner Menschen trübt unsere Freude an der mystischen Morgenstimmung.

In Kisan begleiten wir regelmäßig Hirtinnen mit ihren Herden auf ihr Weideland, weil die Frauen auf den Weidegängen immer wieder von Siedlern bedrängt wurden. Die Hirtinnen sagen uns, dass die Siedler fernbleiben, wenn wir da sind. Frühmorgens beobachten wir aus einiger Entfernung, wie die Frauen mit ihren Herden umherziehen. Zuletzt gab es mehrmals neue Vorgaben seitens des Militärs, bis wohin die Hirtinnen mit ihren Tieren gehen können. Eine der Frauen sagte uns dazu: „Unsere Ziegen müssen fressen, Futter zukaufen ist teuer. Außerdem ist das hier doch unser Land.“

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Von Schäfern und Siedlern im Heiligen Land

Wir EAs (Ecumenical Accompaniers oder Ökumenische Begleiter:innen des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel des Weltkirchenrats) begleiten am Nachmittag in den South Hebron Hills den Schäfer Hajj Jibrin und seine Herde auf seinem Land in der Gegend des Dorfes Qawawis – und in der Nähe des israelischen Siedlungsaußenpostens Avigayil. Ich bin eigentlich Teil des Teams in Bethlehem und nur für drei Tage auf Besuch im Einsatzort in den South Hebron Hills. Ich genieße den Blick über die Hügel in die weite Landschaft, auf die wilden Pflanzen, die rötliche Erde, die mit verschiedenen Flechten überzogenen Felsen und Steine  – und das ruhige, würdevolle Voranschreiten des Schäfers mal hinter, mal inmitten seiner grasenden Schafherde. Auch einige Ziegen sind dabei. Wenn einige Tiere sich zu weit entfernen, hebt er einen der in großer Zahl herumliegenden Steine auf und wirft sie hinter die abseits gebliebenen Schafe – und sie laufen rasch zurück zur Herde. So ziehen wir gemächlich voran, queren auch ein-, zweimal eine schmale Straße. Es ist so friedlich.

Der Kartenausschnitt zeigt palästinensische Gemeinden und israelische Siedlungen in den South Hebron Hills, in der Mitte Qawawis und Avigayil; © UNOCHA-OPT

Doch wir nähern uns langsam dem Sichtbereich des Außenpostens auf dem Hügelkamm. Nicht mehr weit von der Herde entfernt sehen wir in einer Talmulde – nach wie vor auf dem Land von Hajj Jibrin – frisch gepflanzte Olivenbaumschösslinge, geschützt durch eine grüne Plastikumhüllung. Und wir sehen eine sehr westlich wirkende Zweierschiffschaukel aus Holz. Wir erfahren von Hajj Jibrin, dass die Siedler hier am Werk waren und das Land beanspruchen.

Oben auf dem Hügelkamm tauchen plötzlich drei Gestalten auf und beobachten uns  – dann stürmen sie den Hügel hinunter auf uns zu.

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„Alle Mächte, die die Barmherzigkeit verlieren, haben keine Zukunft“

Das Wohnzelt von Abu Jamal im Jahr 2017, auf den Hügeln im Hintergrund die Siedlungen Ibei Hanahal und Ma’ale Amos; © WCC-EAPPI

Das Beduinendorf Al Ganoub liegt zwischen Hebron und Bethlehem. Hamed Qawasmeh, der Vertreter des Büros des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte für die südliche Westbank hat uns zu einem Besuch dieses Ortes eingeladen. Dieses Mal bin ich mit dem EAPPI-Team aus Hebron unterwegs. Sie sind eigentlich vor allem innerhalb der Stadt tätig. Der Besuch von Al Ganoub im Umland von Hebron ist auch für sie eine besondere Erfahrung.

Al Ganoub liegt zwischen vier Siedlungen; © UNOCHA-OPT Interactive Map

Wir brechen im Regen auf, das vollbesetzte Auto kämpft sich in dichtem Nebel über kurvenreiche Straßen durch Berg und Tal. An einer Tankstelle warten Vertreter der israelisch-palästinensischen Organisation Combatants for Peace auf uns und schließen sich an. Plötzlich sind wir über der Nebelgrenze und überschauen eine karge Hügellandschaft. Eine unbefestigte Straße führt uns auf dem Kamm eines Hügels weiter – vor uns ist nichts zu sehen außer einem roten Schrottauto.

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Ein Lichtstreif am Horizont

Trüb nasskalt ist das Wetter, als wir zu fünft im Auto Jerusalem verlassen, um nach Nahalin zum Tent of nations zu fahren, und es wird noch nässer, je mehr wir uns unserem Ziel nähern. Tief hängen die Wolken zwischen den Hängen und Hügeln um den Bergrücken vom Tent of Nations, keine einzige der fünf umliegenden israelischen Siedlungen ist zu erkennen.

Das EAPPI-Büro in Jerusalem hat uns – das Ost-Jerusalemer EAPPI-Team  – gebeten, den wichtigen Termin an diesem Samstagnachmittag im Februar wahrzunehmen, nachdem das ganze EAPPI-Team Bethlehem an COVID erkrankt ist.

Es ist die erste offizielle Rückkehr der beiden Nassar-Brüder auf ihr Grundstück seit dem Überfall vom 28. Januar, bei dem sie schwer verletzt wurden. Maskierte Männer aus dem Nachbardorf hatten die Brüder Daoud und Daher mit Metallstangen und Messern angegriffen.

Auf dem Weg erklärt uns Hanna vom Jerusalemer EAPPI-Büro, was uns vielleicht erwartet. Im besten Fall könnte es zu einer “atwe” kommen, das ist ein traditionelles Schlichtungsverfahren, bei dem “Älteste” – ehrenwerte Vertreter beider Konfliktparteien –  zusammenkommen und Entschuldigungen und Entschädigungsleistungen aushandeln, um so den Konflikt beizulegen. Auf Einladung der beiden Brüder werden hochrangige Vertreter der lokalen Kirchenleitungen und andere lokale und internationale Unterstützer:innen des Tent of Nations-Projekts sowie hochrangige und lokale politische Vertreter aus dem Nachbarort, Bethlehem und der palästinensischen Autonomiebehörde mit viel Medienpräsenz erwartet.

Als wir gegen 13 Uhr am Tent of Nations eintreffen, sind wir die ersten und werden von Daher Nassar herzlich willkommen geheißen. Er zeigt uns die Narbe am Kopf, deutet auf die Stelle am Oberschenkel, wo er mit einem Messerstich verletzt worden ist. Dann führt er uns zu einer nahen Unterkunft für Freiwillige, die schwer beschädigt wurde.

Daher Nasser zeigt die beschädigte Freiwilligen-Unterkunft; © WCC-EAPPI

Neue Gäste treffen ein. Es sind lokale Unterstützer:innen und führende Vertreter der verschiedenen Kirchen vor Ort, begleitet von internationalen Freiwilligen. Daoud Nasser heißt sie im Namen der Familie willkommen und dankt ihnen für ihr Kommen, ihre Unterstützung und für die vielen Zeichen der Solidarität in diesen letzten sehr schweren Wochen.

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Schrumpfendes Weideland

Wie Siedlungen und Siedlergewalt palästinensischen Schäfer:innen das Leben erschweren

Das Dorf Khirbet Zanuta liegt nahe der südlichen Grenze zwischen Westbank und Israel, etwa 200 Menschen leben hier. Schäfer Sulejman hat EAs – Ökumenische Begleiter:innen des Ökumenischen Rats der Kirchen in Palästina und Israel – um schützende Präsenz gebeten. Vor Ort berichtet er uns, was passiert war.

Schäfer Abu Suleyman aus Khirbet Zanuta; © WCC-EAPPI

So viele Schafe wie in diesem Jahr hat Schäfer Sulejman noch nie verloren: Jedes zehnte Schaf, jedes siebte Lamm ist vermutlich wegen des schlechten Wetters und der widrigen Umstände gestorben. Der Winter kam spät, das Gras ist noch nicht gewachsen und die Muttertiere haben nicht genug Milch für ihre Lämmer. Ein herber Verlust. „Schlimmer für uns sind jedoch die Siedler und die Armee“, sagt er. „Um ein Uhr in der Nacht am vergangenen Samstag fuhr ein Siedler mit einem Quad in unser Dorf und drehte wie verrückt Runden direkt vor unserem Haus. Er hat alle Leute in Unruhe versetzt und uns um unseren Schlaf gebracht.“

Khirbet Zanuta liegt nahe der Grenze zwischen Westbank und Israel. Die Trennbarriere (rot) folgt hier, wie an vielen Orten, nicht der Waffenstillstandslinie von 1949 (Grüne Linie). Karte © UNOCHA-OPT

Die Aufregung dieser Nacht ist zum Glück vorbei und Sulejman zeigt uns die Gegend: Auf dem Hügel gegenüber sitzt die Regionalverwaltung für israelische Siedlungen, daneben steht das Industriegebiet Meitarim, das zur etwas weiter entfernten Siedlung Shim’a gehört. Im Südwesten, direkt oberhalb einer Schafsweide von Zanuta, wird gerade ein Außenposten ausgebaut. Im vergangenen Jahr als kleine Farm errichtet wird nun in großem Stil erweitert. Außenposten sind selbst nach israelischem Recht illegal.

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Wir weigern uns zu hassen

Eigentlich wollten wir schon in unserer ersten Woche in Bethlehem das Friedensprojekt Tent of Nations (Zelt der Völker) nahe dem Dorf Nahalin besuchen. Dabei handelt es sich um ein internationales Begegnungszentrum auf den Ländereien der Familie Nassar im südwestlichen Umland von Bethlehem. Menschen aus Palästina und aller Welt, auch aus Israel, an diesem Ort zusammenzubringen, ist Teil einer eindrucksvollen Strategie gewaltlosen Widerstands. Seit der Jahrtausendwende 2000 finden hier Camps und Workshops statt und helfen Freiwillige beim Aufbau einer Öko-Farm. Widerstanden wird der Enteignung des Familienlandes, die seit 1991 droht.

Tent of Nations: Hinter dem von Freiwilligen angelegten Kräutergarten die Siedlung Neve Daniel; © WCC-EAPPI

Statt vor Ort treffen wir jedoch Daoud Nassar in Bethlehem. Er und sein Bruder wurden am 28. Januar auf der Farm von 15 maskierten Männern überfallen und mit Stöcken und Eisenstangen ernsthaft verletzt. Noch im Krankenhaus erhielten sie zahllose Unterstützungsbriefe und -besuche aus dem nahen Dorf, den Besetzten Gebieten und aus aller Welt. Eine Woche nach dem Überfall erzählt uns Daoud über die Hintergründe. Es ist eine Geschichte wie vom „letzten Dorf in Gallien“ – gar nicht lustig, aber Mut machend:

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Strukturelle und physische Gewalt im Jordantal

Die Schafe blöken laut und aufgeregt, die Hühner gackern, der Hahn kräht. Es ist heiß, der Kaffee in dem kleinen Becher in meiner Hand ist sehr stark. Heute empfinde ich die Geräusche der Tiere nicht als idyllisch. Es ist laut. Es mutet fast an, als ob die Tiere versuchen würden, ihren Hirten übertönen zu wollen. Heute sind wir im Jordantal unterwegs, um Übergriffe von Siedlern zu dokumentieren, die sich in der letzten Woche ereignet hatten, während wir uns auf unserem Zwischenseminar befanden.

Eine Gruppe Siedler bedrängt Schäfer und Schafe im Jordantal; Foto © EAPPI
Eine Gruppe Siedler bedrängt Schäfer und Schafe im Jordantal; Foto © EAPPI

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„Diese Internationals tragen zur Deeskalation bei“

Tritte und Schläge, Beleidigungen und Arrest – der Lehrer Bassam Khalil erlebt rund um seine Schule in der Altstadt von Jerusalem fast täglich Übergriffe israelischer Sicherheitskräfte gegen seine Schüler – und schätzt daher die Präsenz von Ökumenischen Begleiter*innen auf den Wegen zur Schule.

Bassam Khalil vor der Schule in Jerusalems Altstadt. Foto © EAPPI
Bassam Khalil vor der Schule in Jerusalems Altstadt. Foto © EAPPI

Wenn Bassam Khalil morgens vor dem altehrwürdigen Tor seiner Schule steht, ein Teeglas in der Hand, mal mit ernstem Blick auf die Uhr schauend, meist aber lächelnd, dann wirkt er gelassen, ruhig und entspannt. Dabei steht er im Zentrum eines Spannungsfeldes. Denn er gehört zum Leitungsteam der Dar-al-Aytam-Schule. Und die 15- bis 17-jährigen Schüler dieser einzigen Sekundarschule für Jungen in der Altstadt von Jerusalem sind besonders im Visier der israelischen Sicherheitskräfte.

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„Wir lassen uns nicht einschüchtern“

Isawiya, eine palästinensische Gemeinde am Ostrand des Skopusbergs

EAs beim Besuch in Isawiya; Foto @ EAPPI
EAs beim Besuch in Isawiya; Foto @ EAPPI

„Hello Mister!“, „Welcome!“ „How are you?“ – solche Willkommensgrüße bekommen die Ökumenischen Begleiter*innen des Weltkirchenrats dutzendfach von den Kindern auf den Straßen von Al Isawiya zu hören. Und Erwachsene nicken den hier oft präsenten EAPPI-Teams in den gelben Westen meist freundlich zu, heben aus dem vorbeifahrenden Auto den Daumen oder laden zu einem Kaffee ein.

Die „EAs“ werden als Zeugen der Ereignisse begrüßt, unter denen der 18.000-Einwohner-Ort am Osthang des Skopusbergs seit Monaten mehr und mehr leidet – eine praktisch tägliche Präsenz der israelischen Polizei, einhergehend mit Kontrollen, Zusammenstößen, Verhaftungen und sogar Todesopfern. Seit Jahren schon kommt es in Al Isawiya, wie auch in anderen Teilen Ostjerusalems, aufgrund der diskriminierenden Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung[1] zu immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen vor allem zwischen Jugendlichen und der Polizei. Diese ist seit einigen Monaten dort überdies präsenter denn je. Das bewirkt ein Klima der Angst, ebenso wie seit Jahren schon die zahlreichen Hauszerstörungen.

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Nachbarn

Mein Aufenthalt in Palästina und Israel ist nun schon seit 2 Monaten vorbei, doch ich kann die letzten Wochen vor Ort nur schwer vergessen. Daher möchte ich rückblickend von den Ereignissen berichten, die wir in den letzten drei Wochen unseres Einsatzes dokumentiert haben.

Ausschnitt interaktive Karte www.btselem.org
Ausschnitt interaktive Karte www.btselem.org

Besonders häufig wurden wir in die palästinensischen Dörfer gerufen, die in der Nähe der Siedlung Yitzhar liegen. Yitzhar gilt als besonders ideologisch motivierte Siedlung. Seit vielen Jahren dokumentieren Mitarbeitende von UN und NGOs Übergriffe von Siedlern aus Yitzhar auf die umliegenden palästinensischen Dörfer. Erst vor einigen Tagen hat die israelischen Menschenrechtsorganisation Yesh Din eine Fallstudie zu Siedlergewalt und Landnahme rund um Yitzhar herausgegeben [1].  Nach internationalem Recht ist eine Besatzungsmacht verpflichtet, die lokale Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten vor Übergriffen zu schützen.

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