Unruhige Feiertage in Jerusalem

Dieses Jahr werden Ramadan, Ostern und Pessach im April gefeiert. Ein Zusammenfallen der Feiertage der drei monotheistischen Weltreligionen kommt nur etwa alle 30 Jahre vor und ist an keinem Ort der Welt so spürbar wie in Jerusalem. Die Erwartung ist groß – endlich darf nach Corona wieder gefeiert werden. Gleichzeitig ist steigende Spannung spürbar.

Festlicher Schmuck zu Ramadan nahe des Damaskustors; © WCC-EAPPI

Am Abend des 1. April hat der Ramadan begonnen – eine Zeit, die das öffentliche Leben in Ost-Jerusalem sehr verändert. Tagsüber ist das Leben ruhiger.  Nach Sonnenuntergang – und damit nach dem täglichen Fastenbrechen – ist mehr los. Die muslimisch geprägten palästinensischen Viertel Ost-Jerusalems sind in der Nacht geschmückt mit bunten Lichtern, die mich an bunte weihnachtliche Lichterspiele an Häusern in Deutschland erinnern.

Dazu haben am Sonntag, den 10.04., mit dem lateinischen Palmsonntag die christlichen Osterwochen begonnen. Die Christ:innen in Palästina und Israel sind nur eine kleine Minderheit neben den großen muslimischen und jüdischen Religionsgruppen[1]. Eine Teamkollegin schickte mir vor kurzem einen Artikel aus der New York Times, in dem eine palästinensische Pfadfinderleiterin mit den Worten zitiert wird: “We are like a potato mashed between everyone.”[2]Wir sind wie eine Kartoffel, zwischen allen zerdrückt.

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Ein Lichtstreif am Horizont

Trüb nasskalt ist das Wetter, als wir zu fünft im Auto Jerusalem verlassen, um nach Nahalin zum Tent of nations zu fahren, und es wird noch nässer, je mehr wir uns unserem Ziel nähern. Tief hängen die Wolken zwischen den Hängen und Hügeln um den Bergrücken vom Tent of Nations, keine einzige der fünf umliegenden israelischen Siedlungen ist zu erkennen.

Das EAPPI-Büro in Jerusalem hat uns – das Ost-Jerusalemer EAPPI-Team  – gebeten, den wichtigen Termin an diesem Samstagnachmittag im Februar wahrzunehmen, nachdem das ganze EAPPI-Team Bethlehem an COVID erkrankt ist.

Es ist die erste offizielle Rückkehr der beiden Nassar-Brüder auf ihr Grundstück seit dem Überfall vom 28. Januar, bei dem sie schwer verletzt wurden. Maskierte Männer aus dem Nachbardorf hatten die Brüder Daoud und Daher mit Metallstangen und Messern angegriffen.

Auf dem Weg erklärt uns Hanna vom Jerusalemer EAPPI-Büro, was uns vielleicht erwartet. Im besten Fall könnte es zu einer “atwe” kommen, das ist ein traditionelles Schlichtungsverfahren, bei dem “Älteste” – ehrenwerte Vertreter beider Konfliktparteien –  zusammenkommen und Entschuldigungen und Entschädigungsleistungen aushandeln, um so den Konflikt beizulegen. Auf Einladung der beiden Brüder werden hochrangige Vertreter der lokalen Kirchenleitungen und andere lokale und internationale Unterstützer:innen des Tent of Nations-Projekts sowie hochrangige und lokale politische Vertreter aus dem Nachbarort, Bethlehem und der palästinensischen Autonomiebehörde mit viel Medienpräsenz erwartet.

Als wir gegen 13 Uhr am Tent of Nations eintreffen, sind wir die ersten und werden von Daher Nassar herzlich willkommen geheißen. Er zeigt uns die Narbe am Kopf, deutet auf die Stelle am Oberschenkel, wo er mit einem Messerstich verletzt worden ist. Dann führt er uns zu einer nahen Unterkunft für Freiwillige, die schwer beschädigt wurde.

Daher Nasser zeigt die beschädigte Freiwilligen-Unterkunft; © WCC-EAPPI

Neue Gäste treffen ein. Es sind lokale Unterstützer:innen und führende Vertreter der verschiedenen Kirchen vor Ort, begleitet von internationalen Freiwilligen. Daoud Nasser heißt sie im Namen der Familie willkommen und dankt ihnen für ihr Kommen, ihre Unterstützung und für die vielen Zeichen der Solidarität in diesen letzten sehr schweren Wochen.

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„Gott sei Dank seid ihr zurück!“

Am Morgen nach dem Schneesturm; © WCC-EAPPI

Schneefall in Jerusalem! Laut Jack, unserem Vermieter am Fuß des Ölbergs, lag der letzte Schneefall drei Jahre zurück. So lange hat es – Gott sei Dank! – nicht gedauert, bis die ersten internationalen Begleiter:innen – Ecumenical Accompaniers (EAs) – nach der Corona-Zwangspause wieder nach Palästina/Israel einreisen konnten. Doch fast zwei Jahre „Eingefrorensein“ für das Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen sind doch eine für viele schmerzlich empfundene „verdammt lange“ Zeit.

Seit Mitte Januar sind wir EAs nun wieder im Lande, seit einer Woche an unseren Einsatzorten – Jerusalem, Bethlehem, Hebron und Yatta – und versuchen nun wieder anzufangen, wo unsere Vorgänger:innen im März 2020 abrupt aufhören mussten, und das Begleitprogramm wieder hochzufahren.

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„Dieses Land ist in meinem Herzen eingeschrieben“

In Galiläa besuchen Ökumenische Begleiter*innen ein im israelischen Unabhängigkeitskrieg zerstörtes christlich-muslimisches Dorf – und sprechen mit einem Zeitzeugen der damaligen Ereignisse

Die griechisch‐orthodoxe Kirche von Ma’Alul; Foto @EAPPI
Die griechisch‐orthodoxe Kirche von Ma’Alul; Foto @EAPPI

Der sandige Weg schwingt sich in weiten Bögen den bewaldeten Hang hinauf und führt mitten durch einen Pinienwald an zwei Kirchen vorbei. Wer dem Weg bis zum hohen Stacheldrahtzaun eines militärischen Sperrgebiets folgt, ist schon zu weit gewandert. Denn bei den beiden Kirchen im Wald, genau da lag einmal das palästinensische Dorf Ma’Alul.

Dort ist Abu Jad Saba Yosef Salem 1924 zur Welt gekommen, als damals jüngster Einwohner eines Ortes, dessen Anfänge Jahrhunderte, vielleicht sogar bis in biblische Zeiten zurückreichen[1].

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Unter Christen

Welche Religion hat ein Palästinenser? Vielleicht denkt manch einer: Palästinenser sind Araber, Araber sind Muslime und daraus schließt sich: Palästinenser sind natürlich Muslime.

St. Georg in Taybeh, Foto @EAPPI
St. Georg in Taybeh, Foto @EAPPI

Tatsächlich ist etwa 1-2,5 % der palästinensischen Bevölkerung christlich. Es gibt eine große Zahl unterschiedlicher Denominationen, wobei die griechisch-orthodoxe Kirche die größte Kirche in den palästinensischen Gebieten ist. Das Einsatzgebiet meines Teams umfasst sowohl Nablus, wo die Ruinen des biblischen Orts Sichem gefunden wurden und eine kleine christliche Gemeinde lebt, als auch Ramallah. Hier lebt eine muslimische Mehrheit, doch die Stadt gilt ursprünglich als christlich[1] und hat bis heute eine vergleichsweise große christliche Minderheit. Traditionell begleiten Christ*innen das Amt der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters in Ramallah, wie auch in Bethlehem.

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Inshallah – So Gott will

Gottesdienst in Nablus; © EAPPI
Gottesdienst in Nablus; © EAPPI

Wie jeden Sonntag haben wir auch heute einen Gottesdienst in Nablus besucht. Zum dritten Mal sind wir in der anglikanischen Kirche „Zum guten Hirten“ (Good Shepherd Church) bei  Vater Jamil, der seit Juli 2018 Priester der Kirche ist. Neben der anglikanischen Kirche mit 120 Mitgliedern gibt es noch drei weitere christliche Gemeinden in Nablus – katholisch, griechisch-orthodox und griechisch-katholisch. Zur Good Shepherd Church gehört außerdem die alte „St. Philip Church“ in der Altstadt von Nablus, in der auch ein Kindergarten zu finden ist. Am heutigen Sonntag hatten wir nicht nur das Privileg, mithilfe einer englischen Übersetzung dem bewegenden Gottesdienst folgen zu können. Im Anschluss an die einstündige Messe nahm sich Vater Jamil auch noch die Zeit, mit uns über sein Leben zu sprechen, als Christ, Priester, Mann oder einfach als Mensch, unter der israelischen Besatzung, in einem mehrheitlich muslimischen Land.

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Rückkehr nach Iqrit – Der Traum einer christlichen Gemeinde im Norden Israels

Ganz im Norden von Israel, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zum Libanon, wandern wir durch die Ruinen des christlichen Dorfs Iqrit. Iqrit wurde 1951 vom israelischen Militär zerstört, nur die Kirche und der Friedhof blieben erhalten. Bis heute wird die Kirche nicht nur als Gebetshaus genutzt, sondern auch als Versammlungsort und Unterkunft für die Nachfahren der palästinensisch-christlichen Gemeinde, die den Ort einst verlassen musste. Diese jungen Menschen planen nun die Rückkehr nach Iqrit.

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Afaf

Teilnehmende des EAPPI während eines Gottesdienstes in Nablus; @EAPPI
Teilnehmende des EAPPI während eines Gottesdienstes in Nablus; @EAPPI

Afaf ist 75 Jahre alt. Sie lebt in Nablus. Wir lernen sie in den Gottesdiensten der anglikanischen Gemeinde kennen. Sie ist von kleiner Statur und trägt eine Brille mit einem schwarzen Gestell und sehr dicken Gläsern. Im Gottesdienst hat sie eine feste Aufgabe und liest regelmäßig die Stellen aus den Evangelien, die für den jeweiligen Sonntag im Kirchenjahr vorgesehen sind. Das macht einen etwas skurrilen Eindruck, denn sie verfügt über eine laute, hohe Stimme, und gleichzeitig lugt aufgrund ihrer geringen Größe nur ihre schwarze Wollmütze und der obere Rand ihrer Brille über das Pult der Kanzel hervor.

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Mauergebete

Das "car gate" am Checkpoint 300 (Gilo)
Das „car gate“ am Checkpoint 300 (Gilo)

Fast schon trotzig angesichts von Mauer, Ungerechtigkeiten, Schikanen und Brutalität schicke ich Friedensgrüße aus Bethlehem, wo es im Alltag durchaus auch normal, festlich, (un)aufgeregt und uns gegenüber sehr freundlich zugeht. Man kennt „uns“ hier seit vielen Jahren, erkennbar an unseren beigefarbenen Jacken mit der Friedenstaube des ÖRK, die „ökumenischen Begleiter“, „EAs“ genannt.

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Besatzung muss ein Ende haben!

George Handal
George Handal

„Unter Besatzung zu leben bedeutet, viele Dinge zu verlieren. Freiheit und offenes Gelände, auf dem man sich bewegen kann. Man kann nicht arbeiten, wo man möchte und reisen können wir nur unter schwierigen Bedingungen. Mit meinem Auto kann ich nicht mehr nach Israel und Jerusalem fahren und sogar nach Jordanien zu reisen bereitet viele Probleme. Ich sehe leider kaum eine Hoffnung für mich oder kommende Generationen, dass sich daran etwas ändert. Israel wird in der Westbank bleiben, daran arbeiten sie 24 Stunden am Tag, indem sie zum Beispiel die Siedlungen ausbauen. Wir erwarten uns mehr Hilfe von anderen Ländern, bisher haben alle immer nur geredet, aber es müssen Taten folgen. Für mich als Christ ist es besonders bedrückend, dass viele meiner Glaubensbrüder und –schwestern aufgrund dieser deprimierenden Besatzungssituation emigrieren. Die Geburtsstadt Jesu ohne uns Christen, das darf doch nicht sein!“

George Handal ist 65 Jahre alt und lebt in Bethlehem, direkt neben dem Checkpoint 300. Er ist katholischer Christ und arbeitete vor seinem Ruhestand als Arabisch-Lehrer an der Terra-Sancta-Highschool Bethlehem.

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