Fast schon trotzig angesichts von Mauer, Ungerechtigkeiten, Schikanen und Brutalität schicke ich Friedensgrüße aus Bethlehem, wo es im Alltag durchaus auch normal, festlich, (un)aufgeregt und uns gegenüber sehr freundlich zugeht. Man kennt „uns“ hier seit vielen Jahren, erkennbar an unseren beigefarbenen Jacken mit der Friedenstaube des ÖRK, die „ökumenischen Begleiter“, „EAs“ genannt.
Kaum waren wir beim Vorgängerteam angekommen, so ging es schon zum Freitagsgebet an der Mauer nahe des Checkpoints 300 (Gilo) in Bethlehem. Das findet jede Woche freitags im Sommer um 18 Uhr statt und gehört zu unseren Prioritäten. Es wird der Schmerzhafte Rosenkranz gebetet, beim ersten Mal übernahm das weitgehend meine Kollegin aus Bolivien als Vorbeterin in Spanisch, abwechselnd mit einer palästinensischen Nachbarin vom Haus gleich nebenan. Alle antworten in Englisch oder eigenen Sprachen.
Die Mauer ist hier etwa 8 Meter hoch und verläuft in ca. 2 Kilometern Entfernung zur Grünen Linie auf palästinensischem Gebiet. Ihr Bau begann 2002 auf dem Höhepunkt der Zweiten Intifada, als palästinensische Selbstmordattentate Israel erschütterten. Heute ist sie zu etwa 70% fertiggestellt. Etwa 85% des fertiggestellten und geplanten Verlaufs der Trennbarriere befinden sich teilweise tief im Westjordanland und bringen große israelische Siedlungsblöcke und natürliche Ressourcen auf die israelische Seite.
2004 urteilte der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass die Mauer bzw. Trennanlage dort, wo sie nicht auf der international anerkannten Grenze zwischen Israel und der Westbank verläuft, abgebaut werden müsse. 13 Jahre ist das nun her. Die Mauer trennt nicht nur Palästinenser von Arbeitsplätzen, Universitäten, Krankenhäusern, Verwandten und Freunden, sie trennt auch Palästinenser und Israelis.
Nach zwei Wochen waren wir beim Gebet an der Mauer über 15 Menschen: eine Franziskanerin vom nahen Kloster, ein englischer Kirchenmann und mit ihm eine Gruppe aus Großbritannien und Nordirland, die gerade angekommen war, sowie ein französischer Fotograf mit Frau und Kind. Wir beteten die fünf “schmerzhaften” Geheimnisse: ein nordirischer Anglikaner betete die Ave Marias, und ich, ökumenischer Katholik (wie ich mich vorstelle) ergänzte jeweils: “… Jesus, der für uns …”).
Die Berliner Mauer stand von 1961 bis 1989, diese hier in Bethlehem seit 2005 … Die Mauer in Berlin fiel auch durch Gebete und Beharrlichkeit in einem “kurzen Zeitfenster der Geschichte”, als es kaum jemand erwartete. Aber wir, die vielen Gruppen an der Basis, haben über 10 Jahre gearbeitet und gebetet, haben dazu entscheidend beigetragen, Vertrauen über die Grenzen und Mauern hin wachsen zu lassen. Sind “hinüber und herüber gegangen”, auch wenn es vorher böswillig hieß: “Geh doch nach drüben!”
Das Rosenkranzgebet an der so nahen Mauer hat für mich in diesem Kontext eine ganz neue (spirituell-politische) Bedeutung bekommen. Bei aller Unterschiedlichkeit derer, die da langsam gehend beten, langsam betend gehen, entlang einer sehr realen und auch hochsymbolischen Mauer, ist es doch ein gemeinsames Grundgefühl, ein Getragen-sein von der gemeinsamen prophetischen Hoffnung, dass all dies Erdrückende, Bedrückende und Unterdrückende einmal einer neuen Freundschaft und Freiheit weichen möge, ja: weichen wird!
Reinhard, Juli 2017