Isawiya, eine palästinensische Gemeinde am Ostrand des Skopusbergs
„Hello Mister!“, „Welcome!“ „How are you?“ – solche Willkommensgrüße bekommen die Ökumenischen Begleiter*innen des Weltkirchenrats dutzendfach von den Kindern auf den Straßen von Al Isawiya zu hören. Und Erwachsene nicken den hier oft präsenten EAPPI-Teams in den gelben Westen meist freundlich zu, heben aus dem vorbeifahrenden Auto den Daumen oder laden zu einem Kaffee ein.
Die „EAs“ werden als Zeugen der Ereignisse begrüßt, unter denen der 18.000-Einwohner-Ort am Osthang des Skopusbergs seit Monaten mehr und mehr leidet – eine praktisch tägliche Präsenz der israelischen Polizei, einhergehend mit Kontrollen, Zusammenstößen, Verhaftungen und sogar Todesopfern. Seit Jahren schon kommt es in Al Isawiya, wie auch in anderen Teilen Ostjerusalems, aufgrund der diskriminierenden Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung[1] zu immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen vor allem zwischen Jugendlichen und der Polizei. Diese ist seit einigen Monaten dort überdies präsenter denn je. Das bewirkt ein Klima der Angst, ebenso wie seit Jahren schon die zahlreichen Hauszerstörungen.
Nach einer Zählung von Ocha, dem UN-Büro zur Koordination humanitärer Angelegenheiten, gab es hier in den vergangenen zehn Jahren 132 Hauszerstörungen, meist wegen fehlender Baugenehmigungen, die zu erhalten für Palästinenser so gut wie unmöglich ist.[2] Allein seit Juni kam es in Isawiya nach Recherchen der Zeitung „Haaretz“ zu 340 Verhaftungen, in fünf Fällen wurde Anklage erhoben. Im Raum steht der allgemeine Vorwurf, dass aus der Gemeinde Steine etwa auf Autos einer naheliegenden Straße geworfen werden. „Fast jede Nacht ereignen sich dort Hausdurchsuchungen“, schreibt „Haaretz“, „doch ohne dass Waffen gefunden worden wären – nur die Kontrolle eines Autos brachte eine Flasche mit entzündlicher Flüssigkeit zutage.“ Tatsächlich seien laut „Haaretz“ in Al Isawiya zwei Polizisten verletzt worden: durch eine Betäubungsgranate, die einer ihrer Kollegen abgeworfen hat. Ocha gibt für die Monate Juni, Juli und August 218 Verhaftungen an, darunter von 53 Kindern. Und Ocha hat seit Anfang 2019 drei Fälle von Steinwürfen auf Fahrzeuge gezählt, die insgesamt eine israelische Frau verletzt und zwei Busse leicht beschädigt haben.
Für manchen Bewohner von Al Isawiya geht es weniger glimpflich aus: Ende Juli starb dort der 2J-jährige Muhammad Abeid – nach Darstellung der Menschenrechtsorganisation Btselem[3] durch den Schuss eines israelischen Polizisten aus zehn Metern Nähe in die Brust, nachdem Abeid Feuerwerkskörper auf Sicherheitskräfte abgeschossen haben soll. Sein Konterfei war, als mahnendes Graffito auf die Mauern seines Elternhauses gesprayt, tagelang in Al Isawiya zu sehen. Doch dann haben es die israelischen Sicherheitskräfte übermalen lassen. Es soll offenbar kein Zeichen des Aufbegehrens sichtbar bleiben.
Was sind wohl die Gründe für das rigide Vorgehen? Liegt es daran, dass Mohammad Abu Al Hummus, einer der Aktivisten des Ortes, nicht nur zu Protesten aufruft, sondern auch sehr intensive Lobbyarbeit betreibt – etwa indem er Wissenschaftler der Hebräischen Universität durch Isawiya führt, auf dessen Land Teile der Hochschule errichtet sind? „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Abu Hummus den israelischen Forschern, die er in einem Bus durch den Ort begleitet. „Wir halten an unserem friedlichen Protest fest.“ Welche Rolle spielt, dass die Polizei sich mit einer eigens im Haus eines Einwohners von Al Isawiya platzierten und dann „gefundenen“ Waffe in einem Stück „Docufiction“ im Fernsehen blamiert hat[4]?
Oder ist der Grund für das Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte die strategische Lage Isawiyas, das einer durchgehenden Verbindung jüdischer Siedlungen von Westjerusalem bis ans Tote Meer im Wege steht? Vielleicht ist die Antwort auch erschütternd banal: Unterhalb des Ortes, zu dem es nur zwei Zugänge gibt, ist eine große Polizeistation, an der oberen Zufahrt liegen dicke Betonblöcke für eine Straßenblockade bereit. „Vielleicht nutzen die Sicherheitskräfte Isawiya, das sich so leicht absperren lässt und so nahe liegt, nur als Übungsgelände“, sagt der israelische Friedensaktivist Rimmon Ladi – und fügt sarkastisch hinzu: „Um sich für größere Aufgaben zu stählen.“
Das Elternkomitee von Al Isawiya hat den Start des neuen Schuljahrs jedenfalls zunächst verschoben, um die Kinder des Stadtteils nicht der Gefährdung durch die Polizeipräsenz auszusetzen. Inzwischen hat aber auch dort der Schulunterricht wieder begonnen – Abu Hummus hat das Ende dieses „Schulstreiks“ im Gegenzug zu einer Zusage aus dem Polizeihauptquartier vereinbart, die Polizeipräsenz in Al Isawiya zurückzufahren. Am Sonnabend zählten die Ökumenischen Begleiter*innen bei ihrem Rundgang allerdings allein binnen einer Stunde fünf Polizeipatrouillen.
Daniel, im September 2019
Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von Pax Christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] vgl. B’Tselem https://www.btselem.org/jerusalem
[2] vgl. Ocha: https://www.ochaopt.org/data/demolition
[3] vgl. B‘Tselem: https://www.btselem.org/video/20190723_killing_of_muhammad_abeid_in_al_esawiyah_east_jerusalem#full
[4] Vgl. Haaretz: https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-israeli-police-plant-gun-in-palestinian-s-home-for-reality-tv-show-1.7643256