„Outside in – inside out“

Das Flüchtlingslager Shu’fat – „die vergessene und vernachlässigte Gegend“

Ich bin gespannt, als wir 3 Ökumenischen Begleiter:innen an diesem Märztag an der Nablus Road Busstation in Ostjerusalem in den Bus 207 steigen, um in das Shu‘fat Refugee Camp zu fahren. Es ist Tag 2 nach Ende meiner elf Tage langen Corona-Quarantäne und ich bin so froh, wieder herauszukommen aus meinem Zimmer und endlich wieder an den Aktivitäten des Jerusalemer Teams teilnehmen zu können!

Die anderen waren bereits dreimal vor Ort und haben meine Vorstellungen von einem Flüchtlingscamp schon zurechtgerückt. Ich weiß also, dass ich keine Zeltstadt zu erwarten habe. Doch trotzdem halten sich irgendwo in meinem Kopf hartnäckige Reste solcher Bilder. Die werden jetzt sehr schnell und sehr heftig korrigiert, als wir die hohe Trennmauer und den Checkpoint passieren und in die Enge eines aus allen Nähten platzenden quirligen Stadtteils oder auch einer eigenständigen Stadt eintauchen, mit Hochhäusern auf der einen und großen mehrstöckigen Gebäuden auf der anderen Seite. Dazwischen staut sich der Verkehr, die Autos, Lastwagen und Busse schieben sich mit minimalen Abständen aneinander vorbei. Meine Teamkolleginnen teilen mir mit, dass die Hochhäuser auf der rechten Seite nicht mehr auf dem Gebiet des eigentlichen Flüchtlingslagers liegen, die Menschen jedoch wegen der stetig wachsenden Bevölkerungszahl und des akuten Platzmangels in diese Bereiche ausweichen mussten und müssen.

Von der Endhaltestelle ist es nur ein Katzensprung zum Gebäude des Zentrums für Menschen mit Behinderung, wo uns der frühere Leiter Dr. Salim Anati abholt und ins Gemeindezentrum bringt. Hier begrüßen uns einige Mitglieder des Popular Committee, des gewählten Rates des Flüchtlingscamps, und auch der angestellte Projektmanager Emad Ibrahim sehr herzlich.

Emad Ibrahim erklärt mir kurz anhand eines Übersichtsplans die örtlichen Gegebenheiten und Brennpunkte:

Das Shu‘fat Refugee Camp im Norden Jerusalems: Nur die farbig markierten Flächen gehören zum eigentlichen UNRWA-Flüchtlingslager; Karte abfotografiert im Shu’fat Camp

Das Shu‘fat Refugee Camp wurde 1965 – also noch in jordanischer Zeit – von der UNRWA für 500 Flüchtlingsfamilien mit ca. 3000 Personen eingerichtet. Die wurden aus dem Lager Mu‘askar im Jüdischen Viertel der Jerusalemer Altstadt hierher umgesiedelt und stammen ursprünglich aus dem Westen Jerusalems, aus Gaza, der Gegend um Ramleh, und aus Dörfern westlich von Hebron.[1]

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Sumud

Selbstorganisation und internationale Vernetzung sind ein wirkungsvolles Gespann

Der 30. März wird von Palästinenser:innen als „Tag des Bodens“ begangen und erinnert an die Verluste und Rechte auf Land und Heimat. Just an diesem Tag fand eine Sitzung des Supreme Court in Jerusalem statt, bei der über die Zerstörung von 38 Häusern im nahegelegenen Dorf Al Walaja entschieden wurde. Zur großen Freude der Bewohner:innen und ihrer Unterstützer:innen entschied das Gericht, die Zerstörungsanordnungen für ein weiteres halbes Jahr auszusetzen und der Gemeinde ein Planungsverfahren zuzugestehen. Nur ein Aufschub – keine Entscheidung in der Sache, aber kostbare 24 Wochen ruhiger Schlaf für die betroffenen Familien. Außerdem gibt jede gewonnene Zeit neuen Raum für neue Ideen und für die Stärkung des gewaltfreien Widerstands, dem die Gemeinde sich verpflichtet hat.

Al Walaja

Warum aber das Ganze? Al Walaja liegt südwestlich von Jerusalem im Westjordanland. Im Zuge der Grenzziehung nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1949 hat es mehr als zwei Drittel seines Landes verloren, das heute auf der israelischen Seite der sogenannten Grünen Linie liegt.

Die Karte zeigt die zum Verwaltungsbezirk Bethlehem gehörenden Gemeinden Al Walaja und Battir, die sogenannte Grüne Linie sowie die umliegenden israelischen Siedlungen; © UNOCHA-OPT Interactive Map

Ein weiterer Teil der verbliebenen Dorffläche wurde 1967 von den israelischen Behörden zum Jerusalemer Stadtgebiet annektiert (siehe Karte, die Gebiete nördlich der blau-gestrichelten Linie). Jerusalemer Ausweise aber erhielten die Bewohner:innen dieses Dorfteils nicht.

2017: EA dokumentiert eine Hauszerstörung in Al Walaja; © WCC-EAPPI

Vielmehr hagelte es im Laufe der Jahre Zerstörungsanordnungen. Denn die Familien verfügen nicht über die vorgeschriebenen Genehmigungen für die Häuser, die sie nach 1967 dort gebaut haben. Das ist so, weil es aus Jerusalem keine Stadtplanung für ihren Ort gibt, was die Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung ist. Allein seit 2014 wurden in Al-Walaja fast 30 Häuser zerstört.

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Das Recht wird in der Wüste wohnen und Gerechtigkeit im fruchtbaren Lande

Die Gegend von Masafer Yatta ganz im Süden Palästinas ist von unvergleichlicher Schönheit. Wir Ökumenische Begleiter übernachten bei Vollmond und sternenklarer Nacht bei Schäfer Hajj Ali Jabareen in Mantiqat Shib al Butum und genießen die himmlische Ruhe. Kein Siedler hat die Familien in der Nacht gestört wie eine Woche zuvor, nur die Hunde haben um zwei Uhr in angeschlagen und sich dann wieder beruhigt. Um fünf bin ich ausgeschlafen und gehe ins Freie. Ich bin ergriffen von dem atemberaubenden Blick auf das Jordantal bei Sonnenaufgang.

Morgendämmerung über dem Jordantal – ein atemberaubender Anblick! Blick von Mantiqat Shib al Butum kurz vor Sonnenaufgang Foto © WCC-EAPPI

Naturschutz oder Landnahme?

Die Halbwüste erwacht – Wilde Iris im Dorf Zanuta; Foto © WCC-EAPPI

Mitte März erleben wir, wie die Halbwüste erwacht: Krokusse, Iris, Tulpen und Zwerghyazinthen erblühen und gelb überzogen ziehen sich die Getreidefelder in den Tälern dahin. Auf den Weizen- und Haferfeldern stehen Senfpflanzen in voller Blüte. Die Distelart A´koub (lat. Gundelia Tournefortii) wächst hier überall zwischen Steinen und Felsbrocken, zwischen Getreide und Olivenhainen. Solange der Stängel noch saftig ist, kann sie gegessen werden und schmeckt wie Artischocke. Im Frühling wird die Pflanze deshalb schon seit biblischen Zeiten[1] eifrig gesammelt und gekocht. In der gehobenen Küche wird das Wildgemüse sehr geschätzt, der Preis ist hoch: 40 Schekel (11,30€) kostet das Kilo auf dem Markt in Jerusalem, erheblich mehr als das Frühlingsgemüse aus den Gewächshäusern. Für die Bewohner:innen der Beduinendörfer ist der Verkauf dieser Delikatesse eine wichtige Einnahmequelle im Frühjahr.

Das Wildgemüse A’koub im Dorf Umm al-Amad; Foto © WCC-EAPPI

Anfang März erfahren wir in Susiya, dass tags zuvor Siedler auf palästinensisches Weidegebiet eingedrungen sind und Kindern zwei Körbe voll A´koub entrissen haben, die sie mühevoll gesammelt hatten. Ende März erzählt uns eine Frau aus Jinba, dass ein israelischer Naturschützer von einem Hügel aus regelmäßig die Gegend mit einem Fernglas nach Sammler:innen von A´koub absucht und auch tags zuvor zwanzig Minuten lang auf dem Berg gesessen habe. Falls die Polizei komme, sei eine Strafzahlung von 1.130 Schekel (325 Euro) fällig, da es sich um ein von Israel zum Naturreservat erklärtes Gebiet handele. Israel hat seit 1967 etwa 13% der Westbank zu Naturschutzgebieten erklärt[2]. Seither können Schäfer:innen die Flächen nicht mehr für Weidegänge nutzen, ist das Sammeln von Pflanzen wie A´koub unter Strafe gestellt – und auf diese Weise wird der Druck auf die Menschen in Dörfern wie Jinba größer, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben und anderweitig ihr Geld zu verdienen.

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Mehr als ein Langstreckenlauf – der Palästina-Marathon

Fitnessstudio im Freien: Tel Aviv. © WCC-EAPPI

Tel Aviv, die zweitgrößte Stadt Israels, wirkt auf mich wie ein riesiges Fitnessstudio im Freien: Trainierte und gebräunte Israelis wie Internationals in Sport- oder Badesachen joggen, spielen Volleyball oder Fußball am gekämmten Strand. Die Stimmung ist ausgelassen, Musik tönt aus den Lautsprechern der Bars und Cafés der Promenade, die Sonne scheint.

Soldaten in der Zone H2 in Hebron. © WCC-EAPPI

Hebron, die zweitgrößte Stadt in der Westbank, ist da anders:  Wer hier unter freiem Himmel joggen möchte, sollte es sich zweimal überlegen. Ein junger Aktivist der Organisation Palestinian Youth Movement erzählt uns, dass „rennende Palästinenser:innen für israelische Sicherheitskräfte grundsätzlich ein verdächtiges Objekt seien“. In der Zone H2, einst ein wichtiges kommerzielles Zentrum Hebrons und der südlichen West Bank, die seit 1997 von israelischen Sicherheitskräften kontrolliert wird und zum Teil für Palästinenser:innen gesperrt ist[1], geht er erst gar nicht laufen. Seine Kopfhörer lässt er grundsätzlich zuhause, denn „sollte ein Soldat etwas rufen, und ich ihn beim Joggen nicht hören, so könnte dies schlimme Konsequenzen für mich haben…“.

Um gewaltfrei und kreativ auf diese durch die israelische Besatzung eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Palästinenser:innen aufmerksam zu machen, welche laut Artikel 13 „Right to Freedom of Movement“ ein Grundrecht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[2] ist, starteten drei junge palästinensische und dänische Aktivist:innen 2013 die Graswurzelbewegung Right to Movement (RtM). Noch im selben Jahr organisierten sie den ersten Palästina-Marathon in Bethlehem.

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„Alle Mächte, die die Barmherzigkeit verlieren, haben keine Zukunft“

Das Wohnzelt von Abu Jamal im Jahr 2017, auf den Hügeln im Hintergrund die Siedlungen Ibei Hanahal und Ma’ale Amos; © WCC-EAPPI

Das Beduinendorf Al Ganoub liegt zwischen Hebron und Bethlehem. Hamed Qawasmeh, der Vertreter des Büros des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte für die südliche Westbank hat uns zu einem Besuch dieses Ortes eingeladen. Dieses Mal bin ich mit dem EAPPI-Team aus Hebron unterwegs. Sie sind eigentlich vor allem innerhalb der Stadt tätig. Der Besuch von Al Ganoub im Umland von Hebron ist auch für sie eine besondere Erfahrung.

Al Ganoub liegt zwischen vier Siedlungen; © UNOCHA-OPT Interactive Map

Wir brechen im Regen auf, das vollbesetzte Auto kämpft sich in dichtem Nebel über kurvenreiche Straßen durch Berg und Tal. An einer Tankstelle warten Vertreter der israelisch-palästinensischen Organisation Combatants for Peace auf uns und schließen sich an. Plötzlich sind wir über der Nebelgrenze und überschauen eine karge Hügellandschaft. Eine unbefestigte Straße führt uns auf dem Kamm eines Hügels weiter – vor uns ist nichts zu sehen außer einem roten Schrottauto.

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Ein Lichtstreif am Horizont

Trüb nasskalt ist das Wetter, als wir zu fünft im Auto Jerusalem verlassen, um nach Nahalin zum Tent of nations zu fahren, und es wird noch nässer, je mehr wir uns unserem Ziel nähern. Tief hängen die Wolken zwischen den Hängen und Hügeln um den Bergrücken vom Tent of Nations, keine einzige der fünf umliegenden israelischen Siedlungen ist zu erkennen.

Das EAPPI-Büro in Jerusalem hat uns – das Ost-Jerusalemer EAPPI-Team  – gebeten, den wichtigen Termin an diesem Samstagnachmittag im Februar wahrzunehmen, nachdem das ganze EAPPI-Team Bethlehem an COVID erkrankt ist.

Es ist die erste offizielle Rückkehr der beiden Nassar-Brüder auf ihr Grundstück seit dem Überfall vom 28. Januar, bei dem sie schwer verletzt wurden. Maskierte Männer aus dem Nachbardorf hatten die Brüder Daoud und Daher mit Metallstangen und Messern angegriffen.

Auf dem Weg erklärt uns Hanna vom Jerusalemer EAPPI-Büro, was uns vielleicht erwartet. Im besten Fall könnte es zu einer “atwe” kommen, das ist ein traditionelles Schlichtungsverfahren, bei dem “Älteste” – ehrenwerte Vertreter beider Konfliktparteien –  zusammenkommen und Entschuldigungen und Entschädigungsleistungen aushandeln, um so den Konflikt beizulegen. Auf Einladung der beiden Brüder werden hochrangige Vertreter der lokalen Kirchenleitungen und andere lokale und internationale Unterstützer:innen des Tent of Nations-Projekts sowie hochrangige und lokale politische Vertreter aus dem Nachbarort, Bethlehem und der palästinensischen Autonomiebehörde mit viel Medienpräsenz erwartet.

Als wir gegen 13 Uhr am Tent of Nations eintreffen, sind wir die ersten und werden von Daher Nassar herzlich willkommen geheißen. Er zeigt uns die Narbe am Kopf, deutet auf die Stelle am Oberschenkel, wo er mit einem Messerstich verletzt worden ist. Dann führt er uns zu einer nahen Unterkunft für Freiwillige, die schwer beschädigt wurde.

Daher Nasser zeigt die beschädigte Freiwilligen-Unterkunft; © WCC-EAPPI

Neue Gäste treffen ein. Es sind lokale Unterstützer:innen und führende Vertreter der verschiedenen Kirchen vor Ort, begleitet von internationalen Freiwilligen. Daoud Nasser heißt sie im Namen der Familie willkommen und dankt ihnen für ihr Kommen, ihre Unterstützung und für die vielen Zeichen der Solidarität in diesen letzten sehr schweren Wochen.

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“Der Konflikt wird nicht enden, bis wir miteinander in den Dialog treten und einander zuhören”

Während unseres Zwischenseminars in Jerusalem hatten wir die Gelegenheit, den Palästinenser Bassam Aramin und den Israeli Rami Elhanan kennenzulernen. In ihrem Vortrag erzählten uns die beiden über das Entstehen ihrer engen Freundschaft, ihr eindrückliches, sozialpolitisches Engagement sowie ihre traurigen Schicksalsschläge.

Rami Elhanan und Bassam Aramin (v.l.n.r.) im EAPPI-Büro in Jerusalem; © WCC-EAPPI

Bassam beginnt seine Geschichte damit, wie er als Vierzehnjähriger mit seinen Freunden eine “local military group” gründete, deren Ziel es war, „israelische Sicherheitskräfte mit der palästinensischen Flagge in den Wahnsinn zu treiben“. Auch das Steinewerfen auf Jeeps der israelischen Sicherheitskräfte gehörte zu den Aktivitäten der Jugendgruppe. Eines Tages fanden sie in einer Höhle alte Handgranaten. Glücklicherweise verfehlten diese beim Wurf ihr intendiertes Ziel, doch führten sie den siebzehnjährigen Bassam für sieben Jahre ins  Gefängnis. Während seines Gefängnisaufenthaltes lernte Bassam Hebräisch und sah eines Tages einen Film über den Holocaust, der ihn zum Weinen brachte. Sein Interesse, mehr über Juden, die Menschen der “anderen Seite” zu lernen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wuchs. Nach seinem Gefängnisaufenthalt organisierte Bassam gemeinsam mit vier anderen Palästinenser*innen und sieben israelischen Ex-Offizier*innen ein erstes Treffen, welches sich anschließend wiederholte und woraus letztendlich die Organisation “Combatants for Peace (CFP)[1]”, hervorging, die sich in Form von gewaltlosem Widerstand für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzt. Das Interesse an der Organisation war groß und nach einem Jahr zählte sie bereits 300 Mitglieder*innen. Doch dann, aus dem Nichts heraus, wurde Abir, die zehnjährige Tochter des Friedenaktivisten Bassam vor ihrer Schule von einem israelischen Grenzpolizisten erschossen.

Auch Ramis Tochter Smadar wurde im jungen Alter von 14 Jahren getötet – durch einen palästinensischen Selbstmordattentäter auf der Ben Yehuda Street in Jerusalem. Smadar war an dem Tag mit ihren Freundinnen unterwegs, um Bücher für das neue Schuljahr zu kaufen. Für Rami schlug der Tod seiner Tochter ebenfalls wie ein Blitz ein und war auch für ihn kaum zu verkraften. Noch immer voller Trauer, beschloss Rami etwa ein Jahr nach dem Tod seiner Tochter, zu einem Treffen des “Parents Circle – Families Forum (PCFF)” zu gehen, zu dem ihn zuvor einer der Gründer eingeladen hatte.

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Kisan – Ein kleines Dorf in großer Bedrängnis

Ökumenische Begleiterin vor Ort auf den Schafweiden von Kisan; © WCC-EAPPI

Wenn man von Bethlehem nach Süden Richtung Hebron fährt, kommt man irgendwann durch Kisan. Das Dorf ist so unscheinbar, dass man leicht daran vorbeifahren könnte. Von der Straße zurückgesetzt ein paar unverputzte Häuser, einfache Konstruktionen, dann links ein holpriger Abzweig, der zum bescheidenen Gemeindehaus und zu einer kleinen Moschee mit golden gestrichener Mini-Kuppel führt. Erst wenn man diesem Weg folgt, erschließen sich weitere unbefestigte Pfade mit schlichten Steinhäusern, und dann öffnet sich plötzlich die Sicht auf den breiten Rücken eines sanft abfallenden Hangs und auf den südlich gegenüber ansteigenden Hügel. Am östlichen Horizont erheben sich die majestätischen Silhouetten der jordanischen Berge. Rundum nur Steine und Wind.

Der Frühling ist auch in Kisan angekommen; © WCC-EAPPI

Ende Februar sprießt Gras zwischen dem Geröll und in den verwitterten Falten der hellen Felsen, dazwischen einzelne Blumen und kleine Blütenkissen – gelb, blau, vereinzelt Rot. Der Frühling hat begonnen und die wichtigste Phase der Schafzucht eingeläutet. Die Lämmer sind da und staksen hinter ihren Muttertieren her. Jetzt ist die wichtigste Weidezeit, damit sie gut wachsen und später zu einem guten Preis verkauft werden können. Früher war die Schafzucht für die Menschen in Kisan das Rückgrat der Familienökonomie, neben Landwirtschaft und Oliven. Heute spielt sie weiterhin eine große Rolle für das familiäre Grundeinkommen. Inzwischen sind es jedoch meistens die Frauen und die Kinder, die die Herden rausführen und hüten, die meisten Männer arbeiten irgendwo im Bethlehemer Raum oder in einer der Siedlungen.

„Für uns ist diese Jahreszeit die schlimmste im Jahr“, erzählt uns Fatma. „Wir sind darauf angewiesen, die Schafe jetzt draußen zu weiden, denn nur jetzt gibt es ausreichend Grün für die Tiere. Das wissen die Siedler und kommen uns dauernd in die Quere.“ Sie berichtet von einem Vorfall im Februar, als Siedler ihre eigenen Herden auf Weiden von Kisan trieben und Fatmas Schafe mit Steinen bewarfen, um sie zurückzutreiben. Die Tiere seien auseinandergestoben und sie habe Mühe gehabt, sie zusammenzuhalten. Der Siedler habe dann mit Pfefferspray gedroht, um Fatma zur Umkehr zu zwingen. Als sie Steine zur Verteidigung aufgehoben habe, sei er zurückgegangen und mit der israelischen Polizei wiedergekommen. Man habe sie angewiesen, dieses Gebiet zu meiden. Fatma gehört zu einer Familie von ausschließlich Frauen. Sie fühlen sich besonders schutzlos gegenüber den dauernden Aggressionen.

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„Wir sehen, was geschieht“

Besuch im Madaa Creative Center in Batn al Hawa, Silwan

Zohair Rajabi auf dem Dach des Madaa Creative Center in Batn al Hawa, Silwan, im Hintergrund der Zionsberg mit Dormitio-Abtei und Stadtmauer; Foto © WCC-EAPPI

An einem Mittwochmittag im Februar, kurz nach 13 Uhr, empfängt uns Zohair Rajabi, der Sprecher des Ost-Jerusalemer Stadtteils Silwan, zur Besichtigung des Madaa Creative Centers im Ortsteil Batn al Hawa.

Zohair Rajabi führt uns durch die Räume des Madaa Kinderhortes in Batn al Hawa. Es ist eines von 3 Zentren in Silwan. Zohair Rajabi und andere starteten mit den Kinderhorten 2016 nach einer Reihe von Zusammenstößen mit Siedlern und Polizei. Viele Kinder und Jugendliche wurden damals verhaftet. „Für unsere Kinder  – dachten wir – müssten wir dieses Zentrum schaffen“.

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Erste Eindrücke

Seit unserer Ankunft in Jerusalem sind nun vier Wochen vergangen. Obwohl wir noch täglich mit Willkommensgrüßen wie „Ahlan“ und „Welcome to Palestine“ begrüßt werden, so setzt doch langsam ein Alltagsgefühl ein. Der Hummushändler unseres Vertrauens, das freundliche „Good Morning“ des Ladenbesitzers am Damaskustor während unseres morgendlichen School Runs, die Straßen unseres Viertels, die gülden glänzende Kuppel des Felsendoms, der Geschmack des arabischen Kaffees – all diese alltäglichen Gewohnheiten geben mir ein Gefühl der Sicherheit und des Angekommenseins.

Blick auf den Stadtteil Al’Eizariya nahe Jerusalem: Das Jerusalem Team ist nun seit drei Wochen in und um Jerusalem herum im Einsatz. © WCC-EAPPI

Doch leider beobachte ich hier vor Ort täglich Situationen, an die ich mich nicht gewöhnen möchte und die in mir eher ein Gefühl des Unbehagens auslösen:

Maschinengewehre und Messer

In den vergangenen vier Wochen ist kaum ein Tag vergangen, an dem ich kein Maschinengewehr gesehen habe. An Checkpoints und Eingängen von religiösen Stätten hatte ich damit gerechnet, jedoch nicht an den Toren zur Altstadt, im öffentlichen Nahverkehr oder in Einkaufsstraßen.

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