“Der Konflikt wird nicht enden, bis wir miteinander in den Dialog treten und einander zuhören”

Während unseres Zwischenseminars in Jerusalem hatten wir die Gelegenheit, den Palästinenser Bassam Aramin und den Israeli Rami Elhanan kennenzulernen. In ihrem Vortrag erzählten uns die beiden über das Entstehen ihrer engen Freundschaft, ihr eindrückliches, sozialpolitisches Engagement sowie ihre traurigen Schicksalsschläge.

Rami Elhanan und Bassam Aramin (v.l.n.r.) im EAPPI-Büro in Jerusalem; © WCC-EAPPI

Bassam beginnt seine Geschichte damit, wie er als Vierzehnjähriger mit seinen Freunden eine “local military group” gründete, deren Ziel es war, „israelische Sicherheitskräfte mit der palästinensischen Flagge in den Wahnsinn zu treiben“. Auch das Steinewerfen auf Jeeps der israelischen Sicherheitskräfte gehörte zu den Aktivitäten der Jugendgruppe. Eines Tages fanden sie in einer Höhle alte Handgranaten. Glücklicherweise verfehlten diese beim Wurf ihr intendiertes Ziel, doch führten sie den siebzehnjährigen Bassam für sieben Jahre ins  Gefängnis. Während seines Gefängnisaufenthaltes lernte Bassam Hebräisch und sah eines Tages einen Film über den Holocaust, der ihn zum Weinen brachte. Sein Interesse, mehr über Juden, die Menschen der “anderen Seite” zu lernen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wuchs. Nach seinem Gefängnisaufenthalt organisierte Bassam gemeinsam mit vier anderen Palästinenser*innen und sieben israelischen Ex-Offizier*innen ein erstes Treffen, welches sich anschließend wiederholte und woraus letztendlich die Organisation “Combatants for Peace (CFP)[1]”, hervorging, die sich in Form von gewaltlosem Widerstand für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzt. Das Interesse an der Organisation war groß und nach einem Jahr zählte sie bereits 300 Mitglieder*innen. Doch dann, aus dem Nichts heraus, wurde Abir, die zehnjährige Tochter des Friedenaktivisten Bassam vor ihrer Schule von einem israelischen Grenzpolizisten erschossen.

Auch Ramis Tochter Smadar wurde im jungen Alter von 14 Jahren getötet – durch einen palästinensischen Selbstmordattentäter auf der Ben Yehuda Street in Jerusalem. Smadar war an dem Tag mit ihren Freundinnen unterwegs, um Bücher für das neue Schuljahr zu kaufen. Für Rami schlug der Tod seiner Tochter ebenfalls wie ein Blitz ein und war auch für ihn kaum zu verkraften. Noch immer voller Trauer, beschloss Rami etwa ein Jahr nach dem Tod seiner Tochter, zu einem Treffen des “Parents Circle – Families Forum (PCFF)” zu gehen, zu dem ihn zuvor einer der Gründer eingeladen hatte.

Der PCFF[2] ist eine israelisch-palästinensische Organisation, die 1995 gegründet wurde und deren Ziel es ist, nicht weiter zu wachsen – neue Mitglieder bedeuten, dass es wieder neue Opfer des Konflikts gegeben hat. Dennoch gehören ihr inzwischen über 600 Familien an, die alle ein enges Familienmitglied in dem andauernden Konflikt verloren haben. Und jedes Jahr kommen neue Mitglieder hinzu. Allein im Jahr 2021 sind laut UN OCHA[3] in Israel und Palästina im Kontext des Konflikts und der Besatzung 210 Zivilist*innen auf palästinensischer Seite um Leben gekommen, davon 82 Kinder sowie neun Zivilist*innen auf israelischer Seite, davon zwei Kinder.

PCFF vertritt den Standpunkt, dass für einen nachhaltigen Frieden ein Prozess der Versöhnung zwischen beiden Völkern notwendige Voraussetzung ist. Um die Besatzung friedlich und ohne weiteren Einsatz von Gewalt zu beenden, engagiert sich PCFF lokal und international unter anderem in Advocacy-Arbeit, organisiert Vorträge in Bildungseinrichtungen sowie anderen Gruppierungen, Fortbildungsprogramme und Sommerlager für Schüler:innen.

Street Art am Gordon Beach in Tel Aviv; © WCC-EAPPI

Rami und Bassam lernten sich nicht, wie man erwarten könnte, bei dem PCFF kennen, sondern bereits einige Jahre zuvor bei den Combatants for Peace. Nach dem Tod von Bassams Tochter Abir lud Rami ihn zu dem PCFF ein. Die beiden ehemaligen Feinde, wie sie es selber bezeichnen, die mit dem Tod ihrer Töchter ähnliches Leid erfahren haben, die gleichen, bitteren Tränen geweint haben und nach ihren Schicksalsschlägen guten Grund gehabt hätten, „die andere Seite“ noch mehr zu hassen, haben es geschafft, zu vergeben, sich respektvoll im Dialog zu begegnen und einander zuzuhören.

Dieser Schritt war für beide jedoch keinesfalls einfach und ging nicht von jetzt auf gleich. So berichtet Bassam wie folgt: “Am Checkpoint war Rami für mich eine Tötungsmaschine, doch bei ihm zuhause erkannte ich ihn als Menschen.” Und auch Rami gibt zu, dass er erst mit 47 Jahren, bei seinem ersten Treffen mit dem PCFF, als er seinen Schicksalsschlag mit trauernden palästinensischen Familien teilte, erkannte, dass die Menschen auf beiden Seiten der Mauer gleich seien: Sie teilen die gleiche Trauer, den gleichen Familiensinn, das gleiche Lachen. Und diese Erkenntnis schockierte ihn.

Heute haben Rami und Bassam einen gemeinsamen Feind, gegen den sie sich zusammen friedvoll einsetzen: Die israelische Besatzung. Rami und Bassam sind sich einig, dass es keine Versöhnung zwischen Israel und Palästina geben kann, solange die Besatzung existiert. So reisen die beiden durch Israel, Palästina und die Welt und erzählen ihre Geschichte[4]. Die typischen Reaktionen der israelischen und palästinensischen Zuhörerschaft zu Beginn und nach ihren Vorträgen beschreiben die beiden wie folgt: “Zu Beginn [des Vortrags] fühlt es sich an, wie in den Schlund eines aktiven Vulkans hineinzulaufen. Die Reaktionen wiederum gleichen einem Erdbeben.”

Auch die Söhne von Rami und Bassam engagieren sich aktiv für Versöhnung und einen gerechten Frieden. Auf dem 16. israelisch-palästinensischem Gedenktag, jährlich organisiert von Combatants for Peace und Parents Cirlce Families Forum, hielten die beiden eine sehr eindrucksvolle und bewegende Rede über die Konsequenzen des Konfliktes, den Verlust ihrer Schwestern sowie ihre Freundschaft:

Die Rede von Arab Aramin (Sohn Bassams)

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Die Rede von Yigal Elhanan (Sohn Ramis)

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Für mich war die Begegnung mit Bassam und Rami ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass Frieden trotz des inzwischen über 70 Jahre andauernden Konflikts möglich ist. Zum einen konnte man den Respekt, die Zuneigung und enge Freundschaft der beiden im Vortragsraum förmlich spüren. Zum anderen wurde deutlich, dass wenn aus zwei ehemaligen Feinden, die einen so schrecklichen Schicksalsschlag erleiden mussten, Freunde werden können, doch auch der Rest der Bevölkerung dazu fähig sein müsste, respektvoll in den Dialog zu treten, einander zuzuhören und wo nötig, einander zu vergeben.

Elisabeth, im März 2022

Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] Combatants for Peace: About. Letzter Zugriff 7.3.2022: https://cfpeace.org/about/

[2] The Parents Circle – Families Forum: About. Letzter Zugriff 7.3.2022: https://www.theparentscircle.org/en/about_eng/

[3] UN OCHA: Data on casualities. Letzter Zugriff 8.3.2022: https://www.ochaopt.org/data/casualities

[4] Der Autor Colum McCann schreibt in dem Spiegel-Bestseller “Apeirogon” über die Geschichte von Rami und Bassam. (Rowohlt: Apeirogon. Letzter Zugriff 7.3.2022: https://www.rowohlt.de/buch/colum-mccann-apeirogon-9783499271878)

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