Bewegt man sich in Palästina und Israel, kann man auffallend viel Street und Wall Art entdecken. Vielleicht mag es daran liegen, dass außergewöhnlich viele Mauern eine ausreichend große Fläche dafür bieten.
Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
Die Gegend von Masafer Yatta ganz im Süden Palästinas ist von unvergleichlicher Schönheit. Wir Ökumenische Begleiter übernachten bei Vollmond und sternenklarer Nacht bei Schäfer Hajj Ali Jabareen in Mantiqat Shib al Butum und genießen die himmlische Ruhe. Kein Siedler hat die Familien in der Nacht gestört wie eine Woche zuvor, nur die Hunde haben um zwei Uhr in angeschlagen und sich dann wieder beruhigt. Um fünf bin ich ausgeschlafen und gehe ins Freie. Ich bin ergriffen von dem atemberaubenden Blick auf das Jordantal bei Sonnenaufgang.
Mitte März erleben wir, wie die Halbwüste erwacht: Krokusse, Iris, Tulpen und Zwerghyazinthen erblühen und gelb überzogen ziehen sich die Getreidefelder in den Tälern dahin. Auf den Weizen- und Haferfeldern stehen Senfpflanzen in voller Blüte. Die Distelart A´koub (lat. Gundelia Tournefortii) wächst hier überall zwischen Steinen und Felsbrocken, zwischen Getreide und Olivenhainen. Solange der Stängel noch saftig ist, kann sie gegessen werden und schmeckt wie Artischocke. Im Frühling wird die Pflanze deshalb schon seit biblischen Zeiten[1] eifrig gesammelt und gekocht. In der gehobenen Küche wird das Wildgemüse sehr geschätzt, der Preis ist hoch: 40 Schekel (11,30€) kostet das Kilo auf dem Markt in Jerusalem, erheblich mehr als das Frühlingsgemüse aus den Gewächshäusern. Für die Bewohner:innen der Beduinendörfer ist der Verkauf dieser Delikatesse eine wichtige Einnahmequelle im Frühjahr.
Anfang März erfahren wir in Susiya, dass tags zuvor Siedler auf palästinensisches Weidegebiet eingedrungen sind und Kindern zwei Körbe voll A´koub entrissen haben, die sie mühevoll gesammelt hatten. Ende März erzählt uns eine Frau aus Jinba, dass ein israelischer Naturschützer von einem Hügel aus regelmäßig die Gegend mit einem Fernglas nach Sammler:innen von A´koub absucht und auch tags zuvor zwanzig Minuten lang auf dem Berg gesessen habe. Falls die Polizei komme, sei eine Strafzahlung von 1.130 Schekel (325 Euro) fällig, da es sich um ein von Israel zum Naturreservat erklärtes Gebiet handele. Israel hat seit 1967 etwa 13% der Westbank zu Naturschutzgebieten erklärt[2]. Seither können Schäfer:innen die Flächen nicht mehr für Weidegänge nutzen, ist das Sammeln von Pflanzen wie A´koub unter Strafe gestellt – und auf diese Weise wird der Druck auf die Menschen in Dörfern wie Jinba größer, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben und anderweitig ihr Geld zu verdienen. Das Recht wird in der Wüste wohnen und Gerechtigkeit im fruchtbaren Lande weiterlesen
Tel Aviv, die zweitgrößte Stadt Israels, wirkt auf mich wie ein riesiges Fitnessstudio im Freien: Trainierte und gebräunte Israelis wie Internationals in Sport- oder Badesachen joggen, spielen Volleyball oder Fußball am gekämmten Strand. Die Stimmung ist ausgelassen, Musik tönt aus den Lautsprechern der Bars und Cafés der Promenade, die Sonne scheint.
Hebron, die zweitgrößte Stadt in der Westbank, ist da anders: Wer hier unter freiem Himmel joggen möchte, sollte es sich zweimal überlegen. Ein junger Aktivist der Organisation Palestinian Youth Movement erzählt uns, dass „rennende Palästinenser:innen für israelische Sicherheitskräfte grundsätzlich ein verdächtiges Objekt seien“. In der Zone H2, einst ein wichtiges kommerzielles Zentrum Hebrons und der südlichen West Bank, die seit 1997 von israelischen Sicherheitskräften kontrolliert wird und zum Teil für Palästinenser:innen gesperrt ist[1], geht er erst gar nicht laufen. Seine Kopfhörer lässt er grundsätzlich zuhause, denn „sollte ein Soldat etwas rufen, und ich ihn beim Joggen nicht hören, so könnte dies schlimme Konsequenzen für mich haben…“.
Um gewaltfrei und kreativ auf diese durch die israelische Besatzung eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Palästinenser:innen aufmerksam zu machen, welche laut Artikel 13 „Right to Freedom of Movement“ ein Grundrecht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[2] ist, starteten drei junge palästinensische und dänische Aktivist:innen 2013 die Graswurzelbewegung Right to Movement (RtM). Noch im selben Jahr organisierten sie den ersten Palästina-Marathon in Bethlehem. Mehr als ein Langstreckenlauf – der Palästina-Marathon weiterlesen
Wir waren gerade von der morgendlichen Begleitung von Kindern auf ihren Schulwegen zurückgekehrt und hatten begonnen, unseren Bericht darüber zu schreiben. Da klingelte mein Handy und uns wurde mitgeteilt, dass in einem Dorf außerhalb Bethlehems in der vergangenen Nacht zwei Straßen durch das israelische Militär zerstört worden waren. Einige Nachrichten und Anrufe später erfuhren wir, dass in der letzten Nacht insgesamt sogar drei Zerstörungen stattgefunden hatten. Nachdem wir die Zerstörung der beiden Straßen dokumentiert hatten machten uns auf den Weg zu einer Familie, deren Tierhaltung vollständig zerstört worden war.
Direkt nach unserer Ankunft berichten uns die Familienmitglieder: In der vergangenen Nacht gegen 03:30 Uhr kam das israelische Militär mit zwei Bulldozern auf das Land der Familie. Die Bulldozer zerstörten das Zelt, in dem die Hühner gehalten wurden, den Taubenschlag, einen Überseecontainer, in dem das Futter der Tiere lagerte und mehrere Futter- und Wassertröge für die Schafe. Das Wohnhaus blieb unversehrt. Die Zerstörung der Lebensgrundlage weiterlesen
Die Provinzstadt Qalqiliya liegt im Nordwesten der Westbank direkt an der sogenannten Grünen Linie, der international anerkannten Grenze nach Israel, und wird von der in dieser Region wie wild mäandernden Mauer nahezu komplett eingeschlossen. Irgendeine ökonomische Entwicklung in diesem durch die Mauer zur Enklave mutierten Ort ist kaum möglich.
Karte UNOCHA / Humanitarian Atlas 2019; die landwirtschaftlichen Tore in der Trennbarriere sind mit grünen Kreuzen markiert, die palästi-nensischen Orte braun und die Siedlungen lila dargestellt.
Eine der besonderen Aufgaben des EAPPI-Teams ist hier das „monitoring der agricultural gates.“ Diese landwirtschaftlichen Tore in der Mauer – die hier in den ländlichen Gebieten als Sicherheitszaun mit Patrouillenstraße und Graben ausgebaut ist – wurden eingerichtet, weil sich viele der Äcker, Gewächshäuser oder Olivenhaine der Bauern hiesiger palästinensischer Dörfer nach dem Mauerbau auf der anderen, von Israel vereinnahmten Seite befinden. Keine besonderen Zwischenfälle – nur Machtgefälle weiterlesen
Wenn man in Palästina unterwegs ist, stößt man immer wieder auf die Sperranlage, die Israel und die Westbank voneinander trennt[1]. In Beit Jala, in der Nähe von Betlehem, ist das eine Mauer. Beim Fotografieren der Mauer treffe ich Mohammed (12) und seine Schwester Nadja (16). Die Geschwister führen mich in den Garten der Familie und zeigen mir stolz, was dort alles wächst. Der Garten wird durchschnitten von der Sperrmauer, der beim Bau auch uralte Olivenbäume, die sich seit Generationen im Besitz der Familie befanden, weichen mussten.
Mohammed zeigt mir einen massiven Olivenbaum, der noch immer gefällt unmittelbar neben der Mauer liegt. Im Haus befindet sich ein Haufen bereits zerkleinertes Olivenholz, das von weiteren Bäumen stammt. Mohammed nimmt ein Stück Holz und macht mich auf die feine Maserung aufmerksam. Die Geschwister erzählen, dass die Familie früher ein Pferd besaß, das im Garten weidete. Sie zeigen mir den Pferdestall, neben ihrem Haus. Als die Mauer errichtet wurde, hätten sie auch das Pferd nicht behalten können, es befände sich bei neuen Besitzern auf der anderen Seite der Mauer. Den Geschwistern ist die Empörung deutlich anzumerken. „Palästina steh auf“ weiterlesen
Fayez Taneeb und seine selbst konstruierte Bewässrungsanlage einem seiner Gewächshäuser (Photo: EAPPI)
Bereits zum zweiten Mal besuchen mein Team und ich nun Fayez Taneeb and seine Frau Mouna auf ihrer organischen Farm in Tulkarem, die den schönen Namen „Hakoritna-Farm“ (حكورتنا) trägt. Das bedeutet grob übersetzt so viel wie „unser kleiner Garten vor dem Haus“. Wir werden herzlich begrüßt und in einen hinter zwei riesigen Bäumen versteckten Platz im Freien geführt, wo gemütliche Sofas und Matratzen auf uns warten. Die StudentInnen der Kadoorie Universität[1] in Tulkarem, die jedes Jahr für ca. 4 Monate zu Fayez geschickt werden, um ihr theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen zu unterfüttern, haben diesen Platz zu einer Art „chillout-area“ umgestaltet. Ein wunderschöner Ort voller Stille und Natur, der nur von dem Anblick der Sperranlage gestört wird, die in ca. 20 Meter Entfernung verläuft. Eine graue Betonwand, die sich ins Unendliche zu erheben scheint. Auf dem Kopf der Mauer ist Stacheldraht zu sehen, sowie vereinzelt Videokameras. Kein schöner Anblick. Zu Besuch auf der Organic Farm in Tulkarem weiterlesen
Clémence Handal ist 72 Jahre alt. Sie wohnt seit Jahren allein in der oberen Etage eines Mehrfamilienhauses. Die christliche Großfamilie Handal lebt in den drei Häusern, die unmittelbar an unser Apartment angrenzen. Sie hatten früher viel Land hier. Doch nur ein paar Kleingärten mit verschiedenen Obstbäumen sind geblieben, seit die Mauer in Bethlehem gebaut wurde. Besuch bei einer alten Dame weiterlesen
Fast schon trotzig angesichts von Mauer, Ungerechtigkeiten, Schikanen und Brutalität schicke ich Friedensgrüße aus Bethlehem, wo es im Alltag durchaus auch normal, festlich, (un)aufgeregt und uns gegenüber sehr freundlich zugeht. Man kennt „uns“ hier seit vielen Jahren, erkennbar an unseren beigefarbenen Jacken mit der Friedenstaube des ÖRK, die „ökumenischen Begleiter“, „EAs“ genannt. Mauergebete weiterlesen
Es ist kalt, es ist nass und es ist dunkel. Halb fünf Uhr morgens: Ein palästinensischer Arbeiter fragt mich verzweifelt „Sag mir, sind wir Tiere“? Dabei zeigt er auf einen seiner Mitmenschen, der sich durch einen ca. 25cm hohen Spalt unter einem Metallgitter hindurchzwängt. Niemals im Leben hätten wir gedacht, dass dort ein Mensch hindurchpassen würde. An diesem Morgen sind es mehr als hundert Männer die so versuchen, die menschenunwürdige, elendige und Stunden dauernde Prozedur am Checkpoint ein wenig zu verkürzen. „In Berlin ist die Mauer auch gefallen!“ weiterlesen