Wir weigern uns zu hassen

Eigentlich wollten wir schon in unserer ersten Woche in Bethlehem das Friedensprojekt Tent of Nations (Zelt der Völker) nahe dem Dorf Nahalin besuchen. Dabei handelt es sich um ein internationales Begegnungszentrum auf den Ländereien der Familie Nassar im südwestlichen Umland von Bethlehem. Menschen aus Palästina und aller Welt, auch aus Israel, an diesem Ort zusammenzubringen, ist Teil einer eindrucksvollen Strategie gewaltlosen Widerstands. Seit der Jahrtausendwende 2000 finden hier Camps und Workshops statt und helfen Freiwillige beim Aufbau einer Öko-Farm. Widerstanden wird der Enteignung des Familienlandes, die seit 1991 droht.

Tent of Nations: Hinter dem von Freiwilligen angelegten Kräutergarten die Siedlung Neve Daniel; © WCC-EAPPI

Statt vor Ort treffen wir jedoch Daoud Nassar in Bethlehem. Er und sein Bruder wurden am 28. Januar auf der Farm von 15 maskierten Männern überfallen und mit Stöcken und Eisenstangen ernsthaft verletzt. Noch im Krankenhaus erhielten sie zahllose Unterstützungsbriefe und -besuche aus dem nahen Dorf, den Besetzten Gebieten und aus aller Welt. Eine Woche nach dem Überfall erzählt uns Daoud über die Hintergründe. Es ist eine Geschichte wie vom „letzten Dorf in Gallien“ – gar nicht lustig, aber Mut machend:

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Gedanken und Fürbitte zur Olivenernte 2021 in Palästina

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Barmherziger Gott, lass uns die Bauern und Bäuerinnen in Palästina sehen und dafür eintreten, dass sie die Früchte ihrer Bäume und ihrer Arbeit ernten können, so wie das bei uns selbstverständlich ist. Wir bitten Dich, Herr erbarme Dich!

Wir bitten Dich für Israelis und Palästinenser*innen, die in diesem Jahr trotz zahlreicher Beschränkungen in die Dörfer der Westbank fahren werden, um bei der Ernte zu helfen: Schenke Ihnen Mut, Energie und Erfahrungen des friedlichen Miteinanders, die sie in ihrem Engagement für einen gerechten Frieden bestärken sollen. Wir bitten Dich, Herr erbarme Dich!

Lass unsre Regierenden deutlicher sein in ihrem Bemühen um ein Ende der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete, damit alle Menschen im Heiligen Land ohne Anfeindungen, ohne Angst voreinander und im Frieden arbeiten und ernten können! Wir bitten, Herr erbarme dich!

Eine Handvoll Oliven bei der Ernte nahe Ramallah; Foto © EAPPI

Von Ende September bis Mitte November findet in Palästina traditionell die Olivenernte statt. Es gibt mehr als 10 Millionen Olivenbäume im Westjordanland, bis zu 100.000 Familien sind zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf die Olivenernte angewiesen. Die Ernte ist harte Arbeit, aber auch ein gesellschaftliches Ereignis. Familien treffen sich in den Olivenhainen, das Lachen von Kindern erklingt ebenso wie die Geschichten der Großmütter und Urgroßväter.

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Die Zerstörung der Lebensgrundlage

Wir waren gerade von der morgendlichen Begleitung von Kindern auf ihren Schulwegen zurückgekehrt und hatten begonnen, unseren Bericht darüber zu schreiben. Da klingelte mein Handy und uns wurde mitgeteilt, dass in einem Dorf außerhalb Bethlehems in der vergangenen Nacht zwei Straßen durch das israelische Militär zerstört worden waren. Einige Nachrichten und Anrufe später erfuhren wir, dass in der letzten Nacht insgesamt sogar drei Zerstörungen stattgefunden hatten. Nachdem wir die Zerstörung der beiden Straßen dokumentiert hatten machten uns auf den Weg zu einer Familie, deren Tierhaltung vollständig zerstört worden war.

Mohammed, der älteste Sohn der Familie, erzählt mir was letzte Nacht geschehen ist; Foto © EAPPI
Mohammed, der älteste Sohn der Familie, erzählt mir, was letzte Nacht geschehen ist; Foto © EAPPI

Direkt nach unserer Ankunft berichten uns die Familienmitglieder: In der vergangenen Nacht gegen 03:30 Uhr kam das israelische Militär mit zwei Bulldozern auf das Land der Familie. Die Bulldozer zerstörten das Zelt, in dem die Hühner gehalten wurden, den Taubenschlag, einen Überseecontainer, in dem das Futter der Tiere lagerte und mehrere Futter- und Wassertröge für die Schafe. Das Wohnhaus blieb unversehrt.

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„Wir wollen einfach nur unser Land bewirtschaften. Wo liegt das Problem?“

Zerstörungen, Konfiszierung und Landwirtschaftsverbot im Jordantal

Zerstörter Wassertank nahe der Stadt Tubas; Foto © EAPPI
Zerstörter Wassertank nahe der Stadt Tubas; Foto © EAPPI

Als wir Mahyoub an diesem Tag in seinem Haus am Stadtrand von Tubas treffen, erzählt er uns, dass er eigentlich nicht in der Stimmung ist, zu seinen Gewächshäusern zu gehen. Es gibt kein Wasser. Er ist niedergeschlagen. Am Vortag wurden zwei Wasserspeicher nahe Tubas von den israelischen Behörden zerstört. Der eine war nach der letzten Zerstörung im Oktober wieder aufgebaut worden und in Betrieb, der andere war fast fertiggestellt. Bei letzterem handelte sich um ein gemeinsames Projekt der Hilfsorganisation Oxfam und dem Verband der Landwirte vor Ort, finanziert von SIDA, der staatlichen schwedischen Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit[1].

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Strukturelle und physische Gewalt im Jordantal

Die Schafe blöken laut und aufgeregt, die Hühner gackern, der Hahn kräht. Es ist heiß, der Kaffee in dem kleinen Becher in meiner Hand ist sehr stark. Heute empfinde ich die Geräusche der Tiere nicht als idyllisch. Es ist laut. Es mutet fast an, als ob die Tiere versuchen würden, ihren Hirten übertönen zu wollen. Heute sind wir im Jordantal unterwegs, um Übergriffe von Siedlern zu dokumentieren, die sich in der letzten Woche ereignet hatten, während wir uns auf unserem Zwischenseminar befanden.

Eine Gruppe Siedler bedrängt Schäfer und Schafe im Jordantal; Foto © EAPPI
Eine Gruppe Siedler bedrängt Schäfer und Schafe im Jordantal; Foto © EAPPI

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Lebensrealitäten zwischen Bergidylle, Siedlungen und Militärtrainings – Von der Standhaftigkeit der Menschen im Jordantal

Es ist heiß, trocken, die Schafe, Ziegen und der Esel mampfen bedächtig trockene Grashalme. Auf den wenigen schattigen Plätzen haben sich die Hütehunde ausgestreckt und faulenzen. Mein Blick schweift in die Ferne. Eine faszinierende Hügellandschaft erstreckt sich vor mir. Weite, Steinwüste, grüne Tupfer hier und dort: Das Jordantal.

Plötzlich beginnen die Schafe wie wild zu blöken und versammeln sich. Ein Zicklein wurde soeben geboren. Der Hirte Fawzi ist verwundert. Er hat es noch nie erlebt, dass sich alle Tiere bei einer Geburt versammeln. Dieses Zicklein scheint etwas Besonderes auszustrahlen.

EAs begleiten einen Schäfer und seine Herde im Jordantal; Foto © EAPPI
EAs begleiten einen Schäfer und seine Herde im Jordantal; Foto © EAPPI

Langsam beruhigen sich die Schafe und Ziegen wieder und wenden sich der Suche nach etwas Essbarem zu. Das Zicklein macht seine ersten Aufsteh- und Gehversuche. Die Szenerie wirkt friedlich- doch die Idylle täuscht: In der Ferne donnern Schiessgeräusche. Wir sind in allen Richtungen von Militärzonen, einer Siedlung sowie zwei Siedlungsaußenposten umgeben.

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Demolition

Eine unserer Aufgaben während des Einsatzes ist die Dokumentation von Menschenrechtsverstößen. Wenn wir nicht gerade zufällig vor Ort sind, sind wir auf Anrufe Betroffener angewiesen. Viele solcher Vorfälle während meines Einsatzes hatten mit Übergriffen von Siedlern zu tun, doch einmal wurden wir auch zu einer Demolition, einer Hauszerstörung gerufen.

Das Fundament ist alles, was an die zerstörten und konfiszierten Gebäude in Qusra erinnert. Foto © EAPPI
Das Fundament ist alles, was an die zerstörten und konfiszierten Gebäude in Qusra erinnert. Foto © EAPPI

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Keine besonderen Zwischenfälle – nur Machtgefälle

Die  Provinzstadt Qalqiliya liegt im Nordwesten der Westbank direkt an der sogenannten Grünen Linie, der international anerkannten Grenze nach Israel, und wird von der in dieser Region wie wild mäandernden Mauer nahezu komplett eingeschlossen. Irgendeine ökonomische Entwicklung in diesem durch die Mauer zur Enklave mutierten Ort ist kaum möglich.

Karte UNOCHA / Humanitarian Atlas 2019; die landwirtschaftlichen Tore in der Trennbarriere sind mit grünen Kreuzen markiert, die palästi-nensischen Orte braun und die Siedlungen lila dargestellt.
Karte UNOCHA / Humanitarian Atlas 2019; die landwirtschaftlichen Tore in der Trennbarriere sind mit grünen Kreuzen markiert, die palästi-nensischen Orte braun und die Siedlungen lila dargestellt.

Eine der besonderen Aufgaben des EAPPI-Teams ist hier das „monitoring der agricultural gates.“ Diese landwirtschaftlichen Tore in der Mauer – die hier in den ländlichen Gebieten als Sicherheitszaun mit Patrouillenstraße und Graben ausgebaut ist – wurden eingerichtet, weil sich viele der Äcker, Gewächshäuser oder Olivenhaine der Bauern hiesiger palästinensischer Dörfer nach dem Mauerbau auf der anderen, von Israel vereinnahmten Seite befinden.

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Das Gewächshaus von An-Nahla

Gelebter Widerstand gegen Verdrängung und Siedlungsausbau

Es hat geregnet in der vergangenen Nacht, aber jetzt herrscht ein strahlend blauer Himmel. Die frühen Sonnenstrahlen lassen auf den Hängen der Judäischen Berge südlich von Bethlehem das üppige Grün der Vegetation glitzern. In wenigen Wochen wird wieder karges Braun die steinigen Höhen dominieren. Wir sind auf dem Weg zu Abu Ahmad in Khirbet An Nahla[1]. Nachdem wir das Dorf durchfahren haben, gräbt sich der Jeep die letzten Kilometer auf dem verschlammten Feldweg langsam und schlingernd seinen Weg; auf den Hügeln ringsum schmucke Häuschen mit roten Ziegeldächern und moderne, weiß getünchte Mietblocks – die jüdischen Siedlungen: Efrat, Givat Hadagan, Neve Daniel. Ein Fußpfad führt uns die letzten Meter am Rande eines Feldes zu dem in einem Bergsattel gelegenen Gewächshaus, nicht weit dahinter auf der felsigen Hügelkuppe sind ein aus Brettern gezimmerter wachturmähnlicher Verschlag, ein Wohncontainer, ein paar Bretterhütten, ein Bulldozer und viele israelische Flaggen zu sehen: Der outpost (Außenposten) Givat Eitam[2].

Abu Ahmads Gewächshaus, auf dem Hügel der Außenposten Givat Eitam; Foto © EAPPI
Abu Ahmads Gewächshaus, auf dem Hügel der Außenposten Givat Eitam; Foto © EAPPI

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„Der letzte Tag der Besatzung ist der erste Tag des Friedens“

An einem kühlen Novemberabend sitzen wir zusammen mit dem Dorfvorsteher Rashed und seiner Familie um ein knisterndes, wärmendes Feuer. Der obere Teil des kleinen Ortes Yanoun liegt beschaulich in einem Tal nahe Nablus. Olivenhaine, Schafweiden und Felder prägen das hügelige Landschaftsbild, die nächste größere Ortschaft ist 5 Kilometer entfernt. Als es dunkel wird gehen auf dem gegenüberliegenden Hügel die Scheinwerfer an, die für den Rest der Nacht auf Yanoun gerichtet sein werden.

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