Zerstörungen, Konfiszierung und Landwirtschaftsverbot im Jordantal
Als wir Mahyoub an diesem Tag in seinem Haus am Stadtrand von Tubas treffen, erzählt er uns, dass er eigentlich nicht in der Stimmung ist, zu seinen Gewächshäusern zu gehen. Es gibt kein Wasser. Er ist niedergeschlagen. Am Vortag wurden zwei Wasserspeicher nahe Tubas von den israelischen Behörden zerstört. Der eine war nach der letzten Zerstörung im Oktober wieder aufgebaut worden und in Betrieb, der andere war fast fertiggestellt. Bei letzterem handelte sich um ein gemeinsames Projekt der Hilfsorganisation Oxfam und dem Verband der Landwirte vor Ort, finanziert von SIDA, der staatlichen schwedischen Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit[1].
Im November berichtete ich bereits über Mahyoub[2], der aus der Hirtengemeinde Khirbet Samra weggezogen ist, um nicht mehr von Militär und Siedler*innen belästigt, schikaniert und eingeschüchtert zu werden. Nun wurde die Wasserversorgung zu seinen Gewächshäusern und damit seine Erwerbsgrundlage zerstört. Mahyoubs Familie ist eine von 200, die von den jüngsten Zerstörungen betroffen sind. Wir fahren mit ihm gemeinsam zum Ort des Geschehens und treffen dort auf weitere Landwirte, die sich das Ausmaß der Zerstörung ansehen. Die Männer wirken geschockt und sprachlos im Anbetracht der gewaltigen Schneise der Zerstörung, die der Bulldozer am Vortag zurückgelassen hat.
Die israelischen Behörden kamen am frühen Morgen und zerstörten zunächst den Wassertank, der bereits im Oktober an gleicher Stelle zerstört und wieder aufgebaut worden war. Die Zerstörung wurde von einem betroffenen Landwirt gefilmt. Er wurde daraufhin festgenommen und für die Zeit der Abrissarbeiten festgehalten. Dieser Wasserspeicher versorgte laut Oxfam die umliegenden palästinensischen Landwirte mit Wasser sowie fünf Hirtengemeinden mit Trinkwasser. Da die Wasserversorgung in dieser Gegend nicht ausreichend ist, startete Oxfam mit finanzieller Unterstützung von SIDA den Bau eines weiteren Wassertanks, der kurz vor der Fertigstellung war. Dieser Wassertank sollte 120 Hektar bewässern und über 200 Familien mit Wasser versorgen. Von der Zerstörung sind außerdem 30 Hirten sowie 14 landwirtschaftliche Betriebe betroffen. Fast alle Bewohner*innen der Stadt Tubas und der umliegenden Gemeinden leben von der Landwirtschaft. Da es kaum Industrie gibt, ist die Landwirtschaft für viele die einzige Erwerbsmöglichkeit.
Einer der Männer, die wir vor Ort antreffen, erzählt uns, dass die Menschen in Tubas und den umliegenden Dörfern viel Hoffnung in den Bau des neuen Wassertanks gesetzt haben. Sie hatten erwartet, günstiger Wasser erwerben zu können und eine zuverlässigere Versorgung zu erhalten, um ihre Felder bewässern zu können. Die internationale humanitäre Unterstützung von Oxfam und SIDA hat zum Ziel, Armut zu verhindern bzw. zu lindern. Im Angesicht der Wassertanktrümmer fragt uns ein Mann, wie ein Wassertank dem israelischen Staat schaden könne? Wie es möglich sei, dass ein Wassertank, der durch internationale humanitäre Hilfe finanziert wurde, von Soldat*innen, die mit Waffen und schweren Maschinen kamen, zerstört wird. Uns wird berichtet, dass etwa 30 Soldat*innen vor Ort waren, sowie drei Militärjeeps, zwei Jeeps der Zivilverwaltung und zwei Bulldozer. Sie erklärten das Gelände zur militärischen Sperrzone und verweigerten den Zutritt. Vertreter der Gemeinde fragten, ob sie Zeit bekämen, den Wassertank selbst abzubauen. Sie wollten das wertvolle Baummaterial retten. Dies wurde ihnen jedoch verwehrt. Uns wird auch berichtet, dass die betroffenen Landwirte nach Erhalt der Abrissanordnung juristische Schritte eingeleitet hatten. Das Gericht hatte noch keine Entscheidung in diesem Fall getroffen. Nach dem Abriss der Wassertanks machten sich die israelischen Behörden auf den Weg nach Ras Al Ahmer und konfiszierten dort einen Traktor.
In den letzten Wochen hat sich die Lage für die Menschen, die im Jordantal von der Landwirtschaft leben, enorm zugespitzt. Wir dokumentieren wöchentlich Traktorbeschlagnahmen, Festnahmen von Traktorfahrern sowie die Kappung der Wasserversorgung und die Einschüchterungen der Bevölkerung. So berichtete uns beispielsweise die Hirtin Reema, dass sechs Soldat*innen am Abend eine Razzia auf ihrem Gelände, im Schafstall und in ihren Wohnzelten durchführten. Sie durfte während der Razzia nicht zu ihren Kindern in das Wohnzelt und musste mit ihrem einjährigen erkrankten Kleinkind in der Kälte ausharren. Die Soldat*innen prüften, ob der Traktor kürzlich benutzt wurde, wollten die Papiere sehen und teilten Reema mit, dass es ihr und ihrem Mann nicht erlaubt sei, ihre Felder, die sich direkt vor ihren Wohnzelten befinden, zu bewirtschaften.
Im Dorf Al Aqaba, wo Anfang des Jahres fünf Traktoren konfisziert wurden, fasst einer der Landwirte die Situation so zusammen: „Wir sind hier, um unsere Felder zu bestellen, nicht, um in den Krieg zu ziehen. Wir sind keine Kriminellen, wir sind einfache Bauern. Seit letztem Jahr hat sich unsere Situation massiv verschlechtert, es wird viel mehr Druck auf uns ausgeübt. Vorher war es auch schon schwierig, hier zu leben, aber wenigstens konnten wir noch unser Land bearbeiten. Wir brauchen viel mehr internationalen Druck, um diese Situation zu beenden.“
Inzwischen hat es im Jordantal zu regnen begonnen. Es ist für die Landwirte die Zeit, ihre Felder zu bestellen. Wenn ihnen das verwehrt wird, werden sie im Sommer nichts ernten können.
Friederike, im Januar 2020
Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von Pax Christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://www.oxfam.org/en/press-releases/oxfams-reaction-israeli-forces-destroying-palestinian-water-reservoir
[2] http://www.eappi-netzwerk.de/lebensrealitaeten-jordantal/