Eric ist auf den ersten Blick ein unscheinbarer freundlicher Mann um die 50, aber er wächst geradezu über sich hinaus, wenn er da an der weiträumig abgesperrten Grenze zwischen Israel und Gaza steht und die Lage erklärt. Vor einiger Zeit sind wir mit unserer EAPPI‐Gruppe nach Sderot gefahren. Wir treffen einen Referenten an, der diese Grenze täglich vor Augen hat. Eric tritt für eine Aufhebung der regelrechten Abriegelung Gazas ein und berichtet von Zeiten unkomplizierter Begegnungen über die damals noch nicht verschlossene Grenze.
Vor einiger Zeit besuchte ich unsere EAPPI-Kolleginnen im Einsatzgebiet südlich der Stadt Hebron. Im Rahmen unserer „Protective Presence“, der teilnehmend-beschützenden Anwesenheit, wie ich es übersetzen möchte, lernte ich den Schäfer Ahmed kennen. Der Schäfer begleitet ohne einen Hund, aber mit seinen energischen unterschiedlichen Rufen und Tönen, etwa 70 Schafe, die in dem kargen Boden immer noch Essbares finden, und sei es das Stroh von der letzten Ernte, das vom leichten Durchpflügen noch obenauf liegt. Es hat ja seit mindestens 3 Monaten nicht mehr geregnet, und etwa ebenso lang muss man auch noch auf die nächste Regenzeit warten.
Janusz Korczak und die Ghettokinder – Skulptur in Yad Vashem
Yad- Vashem – das Denkmal der Namen, das Museum des Holocaust. Der Besuch, gemeinsam mit unserer gesamten EAPPI- Gruppe, war eindrucksvoll. Die Historie ist mir weitgehend bekannt, aus dem Geschichtsunterricht, von den Besuchen in KZ- Gedenkstätten, aus Büchern. Auch in Herford haben wir uns mit den Namen der Opfer beschäftigt, die die Nationalsozialisten aus dem Gedächtnis der Menschheit tilgen wollten. Am eindrücklichsten war mir hier das „Denkmal für die Kinder“ – in völliger Dunkelheit brennen fünf Kerzen, deren Lichter durch viele Spiegel unzählbar oft reflektiert werden – wie ein Sternenhimmel. Dazu werden die Namen, die Nationalität und das Alter der ermordeten Kinder vorgelesen – drei Monate braucht das Tonband für alle.
Daoud Nasser ist ein eindrucksvoller Mensch: Er scheint gleichzeitig an mehreren Orten sein zu können: wenn Studenten helfen beim Bäume pflanzen und abernten, je nach Jahreszeit. Wenn sie dort praktizierte Müllvermeidung organisieren, als gelte es zu beweisen, dass Palästina ganz viel weniger schädlichen und landschaftszerstörenden Abfall produzieren könnte. Wenn sie anfangen, das Regenwasser in ihrem Zentrum in einem großen unterirdischen Becken aufzufangen, und es dann auf andere Stellen umpumpen, mit Sonnenenergie natürlich, die intensiv genutzt wird. Wenn seine Frau und er wo auch immer gebraucht werden. Sie sind bekannt und geschützt durch ihre Bekanntheit in den neuen Medien und die stete internationale Präsenz.
Fast schon trotzig angesichts von Mauer, Ungerechtigkeiten, Schikanen und Brutalität schicke ich Friedensgrüße aus Bethlehem, wo es im Alltag durchaus auch normal, festlich, (un)aufgeregt und uns gegenüber sehr freundlich zugeht. Man kennt „uns“ hier seit vielen Jahren, erkennbar an unseren beigefarbenen Jacken mit der Friedenstaube des ÖRK, die „ökumenischen Begleiter“, „EAs“ genannt.
Am 13.Juli besuchten wir die kleine Gemeinde Jubbet adh Dhib nahe Bethlehem. Wir kamen in ein auf den ersten Blick verlassenes Dorf. Aber dann sammelten sich doch Frauen und Kinder um uns. Hier also war das israelische Militär am Mittwoch, 28.6.2017 um 8 Uhr morgens eingedrungen und hatte ohne Vorwarnung und vorher auszuhändigende “Stop work order” die vor gerade acht Monaten installierte große Solaranlage konfisziert, teilweise zerstört und abtransportiert.
„Vor zwei Wochen haben wir die Fenster und Türen eingesetzt und den Bau damit fertiggestellt“, erzählt ein Handwerker, der wie wir kurzfristig von der Hauszerstörung gehört hat. Jetzt ist alles nur noch ein Trümmerhaufen. Als wir ankommen, sind die Bulldozer gerade fertig mit ihrem Zerstörungswerk. Sie haben den Zugang zum Grundstück mit Flatterband abgesperrt – es liegt mitten im Ost-Jerusalemer Stadtteil Beit Hanina, in direkter Nähe zur Hauptstraße, die vom Qalandia Checkpoint ins Stadtzentrum führt.
An einer Wand im Jerusalemer Stadtteil „Silwan“ habe ich diesen Satz gelesen, auf Englisch: „My homeland is not a suitcase and I am not a traveller“ stand dort geschrieben, wo aufgrund von Ausgrabungen auf dem Gebiet des ersten, des kanaanitischen Jerusalems viele palästinensische Häuser abgerissen werden sollen.
Graffiti in Silwan
Aus dem Koffer können und wollen auch die Beduinen nicht leben, die nach 1948 von dem neu gegründeten Staat Israel aus dem Negev vertrieben wurden oder flohen, und im Osten von Jerusalem neue Weideplätze fanden.
Drei Monate in Jerusalem zu sein, zu leben, Menschen in ihrem Alltag zu begleiten, das muss doch ein Traum sein. Oder eher eine große Herausforderung? Jerusalem, Al-Quds, Yerushalayim – wohl kaum eine Stadt ist von solch einer Aura umgeben, aber auch so umstritten, ja umkämpft im wahrsten Sinne des Wortes.
„Unter Besatzung zu leben bedeutet, viele Dinge zu verlieren. Freiheit und offenes Gelände, auf dem man sich bewegen kann. Man kann nicht arbeiten, wo man möchte und reisen können wir nur unter schwierigen Bedingungen. Mit meinem Auto kann ich nicht mehr nach Israel und Jerusalem fahren und sogar nach Jordanien zu reisen bereitet viele Probleme. Ich sehe leider kaum eine Hoffnung für mich oder kommende Generationen, dass sich daran etwas ändert. Israel wird in der Westbank bleiben, daran arbeiten sie 24 Stunden am Tag, indem sie zum Beispiel die Siedlungen ausbauen. Wir erwarten uns mehr Hilfe von anderen Ländern, bisher haben alle immer nur geredet, aber es müssen Taten folgen. Für mich als Christ ist es besonders bedrückend, dass viele meiner Glaubensbrüder und –schwestern aufgrund dieser deprimierenden Besatzungssituation emigrieren. Die Geburtsstadt Jesu ohne uns Christen, das darf doch nicht sein!“
George Handal ist 65 Jahre alt und lebt in Bethlehem, direkt neben dem Checkpoint 300. Er ist katholischer Christ und arbeitete vor seinem Ruhestand als Arabisch-Lehrer an der Terra-Sancta-Highschool Bethlehem.