„Ich bin so froh, dass ihr hier seid“

Silwan – Fundstätte der ältesten Zeugnisse menschlicher Siedlungen in Jerusalem – Ort der Verdrängung von Palästinensern

Zu viele Häuser, zu wenig Geschichte? Teile von Silwan sollen der „City of David“ weichen. Foto © EAPPI
Zu viele Häuser, zu wenig Geschichte? Teile von Silwan sollen der „City of David“ weichen. Foto © EAPPI

„Hello, my name is Mara“, sagt die jüngste Gastgeberin dieses Treffens in ziemlich perfektem Englisch und mit strahlenem Lachen. Mara, dieser Name steht im Arabischen für  Freude. Und tatsächlich leuchten die Augen der Teenagerin, als sie den Ökumenischen Begleiter*innen des Weltkirchenrats ihre Fotos von Tanzstunden im palästinensischen Dabke-Tanz zeigt.

Für Mädchen und Jungen: Torwand im Madass-Center von Silwan. Foto © EAPPI
Für Mädchen und Jungen: Torwand im Madass-Center von Silwan. Foto © EAPPI

Tanzen, singen und spielen – möglich ist all das im Madass-Center von Silwan, einem palästinenischen Stadtteil südlich der Altstadt von Jerusalem. Für die Kinder ist dies eine Stätte weitreichender Hoffnungen, wenn auch unter sichtlich schwierigen Bedingungen. Das Madass-Center ist in einem kleinen, schlichten Gebäude untergebracht, das sich, wie alle einfachen  Häuser hier, an den steilen Osthang von Silwan klammert. Doch dort gibt es Spielgeräte, einen kleinen Bolzplatz mit  Torwand und Bildern gemeinsam spielender  Mädchen und Jungen, einen Computerraum, einen Übungsraum zum Tanzen, Lesen und Lernen – und darüber einen Dachgarten mit gigantischem Ausblick auf die Mauern der Jerusalemer Altstadt.

„Für unsere Kinder ist dies ein  wichtiger Rückzugsort“, sagt Jadala Rajabi vom Madass-Zentrum, „damit sie von der Straße weg sind.“ Denn da sind nach seinen Worten oft Gruppen junger Siedler unterwegs, die, meist schwer bewaffnet, hier, östlich der Grünen Linie und damit im international als besetzt anerkannten Ost-Jerusalem, einige Monate im Dienst der israelischen Siedlerbewegung verbringen.  Einen ganzen Straßenzug hat die Siedlerbewegung schon am Osthang aufgekauft, sagt Rajabi, und auch gegenüber, auf der westlichen Seite des Kidrontals, breiten sich seit den Achtzigerjahren Siedler unter den mehr als 50.000 palästinensischen Einwohnern aus, die unter wachsendem Vertreibungsdruck leiden.

Die Siedlerorganisation Elad nennt diesen Ort in Anspielung auf König David „City of David“, weil Archäologen unter dieser tatsächlich ältesten Siedlungsstätte Jerusalems nach jüdischen Siedlungsspuren suchen.

Tiefe Kluft: Grabungen im Schatten der Altastadt von Jerusalem. Foto © EAPPI
Tiefe Kluft: Grabungen im Schatten der Altastadt von Jerusalem. Foto © EAPPI

„Es gibt dort jüdische Spuren“, sagt Talya Ezrahi. „Allerdings ist bislang nicht der Name auch nur eines einzigen Königs aufgetaucht.“ Die Israelin  gehört zu Emek Shaveh, einer Gruppe kritischer Archäologen, die sich gegen die Instrumentalisierung ihrer Forschung im Dienste einer israelischen Landnahme engagieren.  Dies sei als politische Zumutung zurückzuweisen, und außerdem seien die unter der Regie von Elad stattfindenden Ausgrabungen wissenschaftlich problematisch. Denn dabei werde nicht vertikal Schicht um Schicht – von palästinensischen über muslimische, christliche und jüdische bis zurück zu kanaanitischen Spuren – freigelegt, sondern gezielt horizontal nur nach jüdischen Spuren gesucht.

Doch solche Kritik hält Elad nicht davon ab, auf bunten Hochglanzfolien für den Besuch der „City of David“, für Segway-Touren und für das Schürfen nach Schätzen in den archäologischen Stätten zu werben. Die „City of David“ – ein Museum, Freizeitpark und Klondyke-Event zugleich?

Werbung für die „City of David“. Foto © EAPPI
Werbung für die „City of David“. Foto © EAPPI

Für die palästinensischen Bewohner von Silwan ist all das kein Freizeitspaß. Sie beklagen außer der Umdeutung ihres Heimatortes auch, dass die Grabungen die Statik ihrer darüberstehenden Häuser destabilisieren. Und sie sind mit einer großen Zahl staatlich angeordneter  Hauszerstörungen und einer noch größeren Zahl von „Demolition Orders“ konfrontiert, meist wegen fehlender Baugenehmigung, die zu erhalten für Palästinenser in Jerusalem sehr schwierig ist, wie z.B. ein aktueller Bericht der israelischen NGO Peace Now belegt[1].

Zweierlei Maß: Abrissbescheid mangels Baugenehmigung für das palästinensische Wadi-Hilweh-Information-Center. Foto © EAPPI

Wie sehr dabei mit zweierlei Maß gemessen wird, war hier nach den Worten von Talya Ezrahi Ende August zu erleben. Da gab es einen Abrissbefehl für das palästinensische Wadi-Hilweh-Information-Center auf der Westseite des Kidrontals. „Und das ist ausgerechnet in derselben Woche passiert“, sagt sie kopfschüttelnd, „in der ein ohne Baugenehmigung errichtetes Gebäude der Siedlerbewegung Elad ein paar hundert Meter weiter eine nachträgliche Genehmigung erhalten hat.“

Abrissbefehle für Palästinenser gibt es in Silwan zuhauf: Allein im Wadi Yasul, dem kleinen Tal auf der Westseite von Silwan, sollen fast alle Häuser verschwinden. Für 85 meist von mehreren Familien bewohnte Gebäude gibt es nach Darstellung eines Talbewohners bereits „Demolition Orders“, rund 500 Menschen müssen dort nach Einschätzung von UNOCHA[2] um ihre Bleibe fürchten. Diesmal nicht wegen Religion oder Archäologie, sondern weil Wadi Yasul und andere Teil Silwans als sogenannte „green areas“ ausgewiesen sind.

Hinzukommt, dass in Silwan über 90 Haushalte, ingesamt über 400 Personen, von Zwangsräumung[3] bedroht sind. UNOCHA spricht davon, dass die allermeisten dieser Zwangsräumungsklagen gegen Palästinenser in Ost-Jerusalem von Siedlerorganisationen initiiert werden. Kurz, die Gründe wechseln, das Resultat bleibt dasselbe: Palästinenser unterliegen wachsendem Verdrängungsdruck.

Karte @ UNOCHA-OPT. Silwan liegt südlich der Altstadt von Jerusalem. Grün markiert sind die als „green arae“ ausgezeichneten Teile der Gemeinde, die blauen Punkte stehen für Häuser, die von Siedlerorganisationen übernommen wurden. Rot markiert sind die Häuser im Wadi Yasul, die aktuell von Zerstäörung bedroht sind.Die Häuser mit Zerstörungsanordnungen in die übrigen Teilen Silwans sind in dieser Karte nicht eingezeichnet.
Karte @ UNOCHA-OPT. Silwan liegt südlich der Altstadt von Jerusalem. Grün markiert sind die als „green arae“ ausgezeichneten Teile der Gemeinde, die blauen Punkte stehen für Häuser, die von Siedlerorganisationen übernommen wurden. Rot markiert sind die Häuser im Wadi Yasul, die aktuell von Zerstäörung bedroht sind.Die Häuser mit Zerstörungsanordnungen in die übrigen Teilen Silwans sind in dieser Karte nicht eingezeichnet.

„Existence is resistance“, sagt Sahar Baidoun, die Leiterin des Madass-Centers, „wir füllen diesen Slogan hier.“ Man versuche, den Kindern vor Augen zu führen, dass man keine Steine werfen muss, um Widerstand gegen die Besatzung zu leisten. „Wir zeigen den Kindern, dass es andere Wege gibt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen: Ein Musikinstrument zu lernen, ein Bild zu malen, einen Tanz zu üben – all das kann ein Akt des Widerstands sein, weil man sich damit nicht auf das Gewaltspiel einlässt, das die permanente Präsenz bewaffneter Soldaten und Siedler uns so nahelegt.“

„I am so glad that you were here“, sagt die Teenagerin Mara, als sich die Ökumenischen Begleiter*innen im Madass-Center verabschieden. Man ahnt, dass es mehr als die Freude an der englischsprachigen Unterhaltung ist, die Mara zu diesen Worten motiviert. Und man spürt, dass die Strategie von Sahar Baidoun aufgehen könnte.

Daniel, September 2019

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi – Deutsche Sektion oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://peacenow.org.il/en/jerusalem-municipal-data-reveals-stark-israeli-palestinian-discrepancy-in-construction-permits-in-jerusalem

[2] https://www.ochaopt.org/content/wadi-yasul-community-risk-mass-displacement

[3] https://www.ochaopt.org/content/palestinian-family-evicted-silwan-neighbourhood-east-jerusalem#ftn1

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