„Diese Internationals tragen zur Deeskalation bei“

Tritte und Schläge, Beleidigungen und Arrest – der Lehrer Bassam Khalil erlebt rund um seine Schule in der Altstadt von Jerusalem fast täglich Übergriffe israelischer Sicherheitskräfte gegen seine Schüler – und schätzt daher die Präsenz von Ökumenischen Begleiter*innen auf den Wegen zur Schule.

Bassam Khalil vor der Schule in Jerusalems Altstadt. Foto © EAPPI
Bassam Khalil vor der Schule in Jerusalems Altstadt. Foto © EAPPI

Wenn Bassam Khalil morgens vor dem altehrwürdigen Tor seiner Schule steht, ein Teeglas in der Hand, mal mit ernstem Blick auf die Uhr schauend, meist aber lächelnd, dann wirkt er gelassen, ruhig und entspannt. Dabei steht er im Zentrum eines Spannungsfeldes. Denn er gehört zum Leitungsteam der Dar-al-Aytam-Schule. Und die 15- bis 17-jährigen Schüler dieser einzigen Sekundarschule für Jungen in der Altstadt von Jerusalem sind besonders im Visier der israelischen Sicherheitskräfte.

Der Vizedirektor steht vor dem Schuleingang, um zu spät kommende Schüler abzupassen und zu ermahnen, aber auch um zu erfahren, warum sie zu spät kommen. Oft liegt es daran, dass die Schüler von den Soldaten angehalten, überprüft und nicht selten auch schikaniert werden. „Ich  habe selbst mehrfach erlebt, wie meine Schüler beleidigt, geschlagen oder getreten worden sind“, sagt Khalil. Umso wichtiger ist es in seinen Augen, dass die Ökumenischen Begleiter*innen („EAs“), die als Gäste des Weltkirchenratsprogramms EAPPI auch die Sicherheit von Schulwegen beobachten, frühmorgens zusammen mit ihm die steile Gasse vor der Schule hinabblicken. „Diese Internationals tragen zur Deeskalation bei“, sagt Khalil, „denn unter ihren Augen halten sich die israelischen Sicherheitskräfte eher zurück.“

Auch während der Unterrichts-zeiten wäre eine EAPPI-Präsenz an der Schule bisweilen womöglich hilfreich. Das hat der Direktor zuletzt mitten in der Sukkot-Woche, während der zehntägigen Feier des jüdischen Laubhüttenfests, erleben müssen. Da verschafften sich knapp ein Dutzend Soldaten Zugang zum Schulgelände, mit der Begründung, sie seien auf der Suche nach Steinewerfern. „Ich wollte ihnen am Schultor den Zutritt verwehren“, sagt Bassam Khalil. „Aber sie haben damit gedroht, dann das Schultor zu zerstören.“ Ein Video zeigt die Soldaten auf dem Schulgelände mit ihren Gewehren, teils auf die Schüler gerichtet, teils auch sichtbar mit dem Finger am Abzug. Bassam Khalil kennt solche Durchsuchungen, nach seinen Worten gibt es Zeiten, da sie fast täglich vorgekommen. „Diesmal dauerte das Ganze nur zehn Minuten, aber auch danach sind einige unserer Schüler so verstört, dass mit ihnen kein Unterricht mehr möglich ist.“

Israelische Sicherheitskräfte auf dem Gelände der Dar-al-Aytam-Schule vor Vizedirektor Bassam Khalil (rechts). Bildausschnitt Video © Dar-al-Aytam School
Israelische Sicherheitskräfte auf dem Gelände der Dar-al-Aytam-Schule vor Vizedirektor Bassam Khalil (rechts). Bildausschnitt Video © Dar-al-Aytam School

Bassam Khalil hat sich selbst nicht träumen lassen, dass er einmal so viel politischen Druck auf eine Schule erleben würde, als er 2008 an der Dar-al-Aytam-Schule angefangen hat. Dabei ist er selbst in Jerusalem, auf der Westseite des Ölbergs, aufgewachsen, hat an der Al-Quds-Universität Englische Literatur studiert, war als Lehrer an der Lutherischen Bethanien-Schule im benachbarten Eisariya, benannt nach der dortigen Heiligenstätte des Lazarusgrabs. Zum Schulwechsel bewogen hat ihn der Bau der israelischen Sperrmauer, die Eisariya vom Westen abgeschnitten hat. Denn damit wurde  sein eigener Schulweg unerträglich lang – zu Fuß sogar nur durch die weit entfernt gelegenen Checkpoints Qalandiya (vor Ramallah im Norden) oder den Checkpoint 300 (vor Bethlehem im Süden) erreichbar.

Seit zehn Jahren unterrichtet Bassam nun an der Dar-al-Aytam-Schule, und nach seiner Schilderung hat er dort ein Jahrzehnt beständiger Eskalation erlebt. 2014, als es wegen der israelischen Militäraktion „Protective Edge“ in Gaza viele Solidaritätskundgebungen und Proteste auch in Jerusalem gab, wurden die Wacht- und Kontrollposten in der Altstadt zahlreicher. Sie wurden noch verstärkt, als es vor allem 2015 und 2016 immer wieder zu Messerattacken von Palästinensern auf Israelis bzw. israelische Sicherheitskräfte kam. Seither wurden die Schikanen und Übergriffe seitens der Sicherheitskräfte auch gegen Schüler seiner Schule nach Bassams Worten immer häufiger, der Schulweg zunehmend unberechenbar. Eine traurige Konsequenz: Die Schülerzahl hat sich seit 2014 halbiert.

Im Gespräch – eine Ökumenische Begleiterin mit Bassam Khalil vor der Dar-al-Aytam-Schule in der Altstadt. Foto © EAPPI
Im Gespräch – eine Ökumenische Begleiterin mit Bassam Khalil vor der Dar-al-Aytam-Schule in der Altstadt. Foto © EAPPI

Nur wenige Stufen unterhalb der Schule stehen morgens stets fünf Soldaten, in aller Regel mit Helm, M16-Gewehren und oft auch mit Tränengasgranaten gewappnet, an der Kreuzung zwischen muslimischem und jüdischem, afrikanischem und christliche Viertel. Und das ist nur der letzte von sechs Wachtposten, die die Schüler vom Damaskustor der Altstadt bis zu ihrer Schule passieren müssen – ein Weg, den auch die „EAs“ meist zurücklegen. Sie erleben dabei täglich eine Situation, der kein Kind ausgesetzt sein sollte:  Die wenigen jüdische Kinder, die morgens durch die Altstadt zur Schule eilen, werden oft von bis zu fünf bewaffneten Männern in zivil begleitet.  Und die palästinensischen Schulkinder müssen die zahlreichen Wachtposten und Patrouillen passieren.

Warum sind gerade diese palästinensischen Schüler im Fokus der Sicherheitskräfte? Nach Bassam Khalils Worten zählen sie zu einer Altersgruppe, der oft pauschal Steinewerfen oder andere Gewalt unterstellt wird. Der Vizedirektor sieht aber noch weitere Probleme: „Es geht leider um mehr – darum, dass palästinensischer Zusammenhalt, aber auch palästinensische Lebensentwürfe zerstört werden.“ So zum Beispiel, wenn aufgrund des Vorwurfs des Steinewerfens mehrwöchige Hausarreststrafen die Folge sind und deswegen der Schulabbruch droht. „Viele Schulabbrecher wollen lieber schnell Geld verdienen“, sagt Bassam. „Sie sehen nicht, dass ihnen nur einfache, schlecht bezahlte Arbeit beschert sein wird, dass Bildung allein ihnen den Weg in eine bessere Zukunft bahnt.“

Unter Hinweis auf die Schulpflicht verhandelt Bassam in Hausarrestfällen mit den Sicherheitsbehörden. Er versucht dann zu vereinbaren, dass der betroffene Schüler von seinen Eltern zur Schule gebracht und abgeholt wird und ansonsten den Hausarrest einhält. „Die bizarrste Strafe dieser Art war ein zweiwöchiges Verbot für einen Schüler, die Altstadt zu betreten – dabei wohnt er mit seiner Familie in der Altstadt“, sagt Khalil. „Der Schüler hat die Auflage am Ende erfüllt, indem er zwei Wochen zu seiner Tante umgezogen ist.“

Bassam befürchtet, dass bisher erfolgreiche Schüler zu Schulabbrechern gemacht und Jugendliche allgemein aus der Altstadt abgedrängt werden. Auch die Schule selbst sei im Visier. „Uns ist einmal gesagt worden, dass die Schule geschlossen wird, wenn jemals ein Stein vom Schulgelände aus geworfen wird“, sagt er. „Und es waren schon Israelis in unserer Schule, die deren besondere Lage bewundert haben – die stellten fest, dass man vom Dach aus ja den Tempelberg sehen kann.“  Das Misstrauen angesichts der anhaltenden Übernahme von Gebäuden in den arabischen Bezirken der Altstadt durch Siedlerorganisation scheint da schnell geweckt.

Die Bildungsabschlüsse der Schüler und ihre Chancen auf eine gute Zukunft stehen für Bassam Khalil im Mittelpunkt, doch auch um die Existenz der Schule sorgt er sich sehr.

Daniel, Oktober 2019

Ich nehme für Pax Christi am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von Pax Christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

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