Standhafte Frauen und internationaler Druck

Eine fragile Erfolgsgeschichte aus Jubbet Adh Dhib

Fadia in ihrem Garten; Foto © WCC-EAPPI

Nach einer halbstündigen Fahrt aus Bethlehem kommen wir in Jubbet Adh Dibh an. Es ist eines der entlegensten Dörfer im Verwaltungsgebiet der Stadt Bethlehem. Wir betreten das mit Klimaanlage gekühlte Wohnzimmer von Fadia, die uns freundlich mit Wasser und arabischem Kaffee begrüßt. Wir sind hier mit Hamed, der für die UNOHCHR arbeitet und zwei seiner Kolleg:innen. Hamed ist im Dorf bekannt, schon häufig konnte er unterstützen und vermitteln, wenn Hilfe im Dorf benötigt wurde.

Erst seit ein paar Jahren hat das Dorf rund um die Uhr Zugang zu Elektrizität und ausreichend Wasser. Lokale und internationale Organisationen haben bei der Umsetzung geholfen, aber es ist vor allem auch ein Verdienst von Frauen wie Fadia, die unermüdlich für ihre Rechte und die des Dorfs eintreten[1].

Jubbet Adh Dhib (im roten Oval) liegt im Verwaltungsgebiet des Bezirks Bethlehem; Karte © UNOCHA-OPT

Jubbet Adh Dhib liegt im sogenannten C-Gebiet der Westbank, also in den etwa 60%, die vollständig von Israel kontrolliert werden. Palästinensische Gemeinden in den C-Gebieten erhalten so gut wie keine Baugenehmigungen. Die israelische Organisation PeaceNow berichtet[2], dass in den Jahren 2019-2022 Baugenehmigungen für 265 palästinensische Wohneinheiten (die zum Teil schon gebaut worden waren) und für über 16.300 Wohneinheiten in israelischen Siedlungen in den C-Gebieten ausgestellt wurden. Nach internationalem Recht ist die Ansiedlung der eigenen Bevölkerung einer Besatzungs-macht in besetztem Gebiet nicht erlaubt, heute leben mehr als 680.000 Siedler:innen[3] in der Westbank, einschließlich Ost-Jerusalem.

Unweit des Dorfes Jubbet Adh Dhib wurde Ende der 90er Jahre ein – selbst nach israelischem Recht – illegaler Siedlungsaußenposten namens Sdebar errichtet und nach Angaben von PeaceNow 2005 rückwirkend legalisiert[4]. Uns wird berichtet, dass für den Außenposten viel Weidefläche im Umland des Dorfes beschlagnahmt wurde und viele Dorfbewohner, die ihre Lebensgrundlage mit ihren Herden sicherten, plötzlich ihr Vieh nicht mehr weiden lassen konnten. Viele Männer im Dorf sahen sich deshalb gezwungen, Arbeit in Israel zu suchen. Seither müssen sie allmorgendlich sehr früh das Dorf verlassen um rechtzeitig in Bethlehem am Checkpoint 300 nach Jerusalem anzustehen. Abends kommen sie erst sehr spät zurück. Da die Männer die meiste Zeit weg waren mussten die Frauen im Dorf alleine mit alltäglichen Herausforderungen wie dem Fehlen von Wasserversorgung und Elektrizität zurechtkommen mussten.

Auf dem Weg nach Jubbet Adh Dhib, im Hintergrund das Herodion; Foto © WCC-EAPPI

Mit Unterstützung des YMCA (Christlicher Verein junger Menschen) Beit Sahour gründeten mehrere Frauen in Jubbet Adh Dhib ein Frauenkomitee. Der Austausch und die Beschäftigung mit wichtigen Fragen halfen ihnen dabei, ihre Bedürfnisse zu formulieren und an geeigneter Stelle mit Nachdruck vorzutragen. Und das fruchtete mit der Zeit. Die Wasserversorgung wurde von der palästinensischen Autonomiebehörde mit Hilfe der UN im Dorf verbessert. Die israelisch-palästinensische Organisation Comet-ME errichtete mit finanzieller Unterstützung der Niederlande 96 Solarpanels zur Energiegewinnung. Beide Infra-strukturprojekte waren Meilenstein für die Dorf-gemeinschaft und vereinfachten das Leben der Frauen, Kinder und Männer im Dorf entscheidend.

Die Solaranlage in Jubbet Adh Dhib; Foto © WCC-EAPPI

Aber wie so oft in den besetzten palästinensischen Gebieten war das nicht das Ende der Geschichte. Die Solarpanels wurden 2017, nur wenige Monate nach ihrer Installation, vom israelischen Militär konfisziert. Weder die Dorfbewohner:innen noch die niederländische Regierung wollten das aber einfach so hinnehmen. Die Frauen traten in internationalen Medien auf, die niederländische Regierung protestierte[5]. Schließlich wurde der Fall von Michael Sfard, einem berühmten israelischen Menschenrechtsanwalt, vor Gericht gebracht, im Auftrag des Dorfrats von Jubbet Adh Dhib und von Comet-ME[6] .

Zeitgleich, so erzählt uns Hamed, gab es aber auch einen internationalen Aufschrei und eine Protestwelle. In dieser Zeit kam der niederländische Botschafter nach Jubbet Adh Dhib, um seine Solidarität mit der Dorfgemeinschaft zu zeigen und sich für die Rückgabe der Solarpanels einzusetzen. Auch UNOCHA[7] machte auf den Fall aufmerksam.

Dieser Mix aus kommunaler Resilienz und internationalem Druck führte zum Erfolg. Die Solarpanels wurden zurückgebracht und noch am selben Tag von Comet-ME wieder installiert.

Doch auch hier hören die Probleme von Jubbet Adh Dhib leider nicht auf. Gegen die Schule des Dorfes – sechs Räume in Containerbauten –deren Vorgänger bereits aufgrund fehlender – da nicht zu bekommender – Baugenehmigung zerstört worden war, liegt seitens der israelischen Behörden ebenfalls eine Abrissverordnung vor. Die in Jerusalem ansässige katholische Rechtshilfeorganisation St. Yves kümmert sich um den Fall, so erfahren wir bei einem Besuch im Büro der Organisation am Tag nach unserem Treffen in Jubbet Adh Dhib.[8]

Jubbet Adh Dhib, im Vordergrund die Schule des kleinen Dorfs; Foto © WCC-EAPPI

Seit der Corona-Pandemie ist zudem nicht nur die finanzielle Situation von vielen Familien im Dorf schwierig, sondern, so erzählt uns Hamed, auch der Zugang zur medizinischen Versorgung hat sich dramatisch verschlechtert. Die örtliche Palestinian Medical Relief Society, die das Dorf vor der Pandemie zumindest einmal pro Woche mit einer mobilen Klinik besuchte, kommt aufgrund von finanziellen Engpässen nur noch selten. Hamed von UNOHCHR will sich darum kümmern, dass zumindest eine medizinische Grundversorgung wieder sichergestellt wird. Und wir hoffen, dass die internationale Gemeinschaft, die dem Dorf schon einmal zu einem Erfolg verholfen hat, nicht aus den Augen verliert.

So, wie wir die Frauen von Jubbet Adh Dhib kennen gelernt haben, werden sie auch den neuerlichen Problemen mit Standhaftigkeit und Resilienz begegnen. Fadia erklärt uns, dass sich auch die Mentalität unter den jungen Mädchen im Dorf ändert. Ihre Tochter macht eine Ausbildung zur Krankenschwester in Bethlehem und möchte einen Ehemann finden, der sie in ihren Karriereplänen unterstützt und sie nicht nur in der Rolle der Hausfrau sieht. Darauf ist Fadia sehr stolz und zu diesen Mentalitätswandel haben sie und das Frauenkomitee im Dorf mit Sicherheit auch beigetragen.

Okan, im Mai 2022

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] Siehe auch dieser Beitrag im ARD Weltspiegel ab 22:20 https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dlbHRzcGllZ2VsLzRkZWIyNmFkLWYwZmMtNGY5Ni05MjliLWUyMDc1NDBiMjE5NA

[2] https://peacenow.org.il/en/approvals-for-palestinians-in-area-c-2009-2020

[3] https://peacenow.org.il/en/settlements-watch/settlements-data/population

[4] https://peacenow.org.il/en/settlements/settlement317-en

[5] https://www.haaretz.com/middle-east-news/palestinians/.premium-dutch-protest-israeli-seizure-of-palestinian-solar-panels-they-funded-1.5490769

[6] https://www.ochaopt.org/content/demolition-and-seizure-service-infrastructure-palestinian-communities-area-c-exacerbates

[7] ebenda

[8] Auch der Norwegian Refugee Council berichtet in „Raized and Raided – Attacks on West Bank Education“ über die Schule in Jubbet Adh Dhib, S. 21 https://www.nrc.no/resources/reports/raided-and-razed/

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