Jabal al Baba – Standhaftigkeit angesichts drohender Umsiedlung

Es ist das zweite Mal, dass wir die Beduinengemeinschaft Jabal al Baba besuchen. Das Dorf  befindet sich auf einem Hügel in der Westbank, zwischen der israelischen Siedlung Ma’ale Adumim und der palästinischen Stadt Al-‘Eizariya. Die Siedlung Ma’ale Adumim wurde 1975 gegründet und befindet sich ca. sieben Kilometer östlich von Jerusalem[1]. Mittlerweile leben hier etwa 38.000 Menschen. Der Bau von Siedlungen und Siedlungsaußenposten in den besetzten palästinensischen Gebieten verstößt gegen humanitäres Völkerrecht.[2]

Jabal al Baba liegt zwischen der völkerrechtswidrigen Siedlung Ma‘ale Adumim und Al Eizariya; © UNOCHA-OPT, Kartenausschnitt aus Humanitarian Atlas 2019

1994, unter dem damaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin, wurde der Siedlung das sogenannte „E1“-Gebiet (East 1) zugeschlagen, das die Fläche der Siedlung verdoppelte.[3] Durch internationalen Druck, vor allem seitens der Vereinigten Staaten, konnte die Umsetzung der Baupläne in E1 (etwa 3.500 Wohneinheiten[4])  in den folgenden Jahren verhindert werden. Auch für die EU sind die Bauvorhaben in E1 eine der „roten Linien“, die nicht überschritten werden sollen, da sie die Schaffung eines palästinensischen Staats verhindern würden.[5] Nichtsdestotrotz wurde 2008 das neu gebaute Hauptquartier der israelischen Polizei in E1 eröffnet. 2012 wurde der Planungsprozess für die Bebauung von E1 wieder aufgenommen, u.a. als Reaktion auf die Entscheidung der Vereinten Nationen zur Anerkennung des Staates Palästina als Beobachterstaat. Auch aktuell gibt es wieder Bemühungen, die Planungsverfahren weiter voranzutreiben, eine nächste Anhörung ist laut der israelischen Organisation PeaceNow für Mitte Juli geplant.[6]

Nicht größer könnte der Kontrast zur palästinensischen Gemeinde Jabal al-Baba sein. Sie ist eine von 46 Beduinengemeinden in der Gegend zwischen Jerusalem und dem Jordantal, die von erzwungener Umsiedlung bedroht sind[7] und in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder von Hauszerstörungen betroffen waren. Während die benachbarten israelischen Siedlungen wachsen, bekommen die Menschen in Jabal al Baba keine Baugenehmigungen von den israelischen Behörden.

Attalah, der Vorsteher der Gemeinde Jabal al Baba, begrüßt uns mit einem freudigen Lächeln. Er kennt unser Programm sehr gut, seit Jahren besuchen Ökumenische Begleiter:innen das Dorf regelmäßig.

Bei unserem ersten Treffen mit Attalah sitzen wir in seinem Büro, trinken Tee und Attalah gibt uns einen Überblick über die Herausforderungen seiner Gemeinde: Im Jahr 2014 wurden ihm zufolge sieben Häuser und zwei Tierunterkünfte zerstört, 2016 wurden fünfzehn Gebäude zerstört, u.a. EU-finanzierte Wohngebäude. Elf Gebäude und die Moschee des Dorfes bekamen einen Abbruchbefehl, so Attalah. UNOCHA listet insgesamt 17 weitere Zerstörungen in den Jahren 2017-2019 auf.[8] Die Zerstörungen sind eine der Herausforderungen, mit denen die Einwohner:innen von Jabal al Baba zu kämpfen haben: „Einige von uns waren im Gefängnis, einige von uns wurden erschossen“, erzählt uns Attalah. Immer wieder habe das Dorf in der Vergangenheit mit Gewalt von israelischen Sicherheitskräften zu kämpfen gehabt.

Jabal al Baba, Attalah; © WCC-EAPPI

Attalah wuchs gemeinsam mit seinen vier Geschwistern und seiner Mutter auf. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war. Er erinnert sich bis heute, wie die ersten Häuser in Ma‘ale Adumim gebaut wurden. Damals fragte er sich selbst: „Wer sind diese Menschen und warum dürfen Sie Häuser bauen“? Als er sechs Jahre alt war, sah er Soldaten auf seinem Schulweg und musste an Checkpoints anhalten. Er begann, die Nachrichten zu verfolgen, und beschäftigte sich in seiner Freizeit immer mehr mit dem Nahostkonflikt. Mit fünfzehn besuchte er seine erste Demonstration. Während eines Protest wurde er verhaftet und für fünf Monate eingesperrt: Attalah nutzte die Zeit im Gefängnis und studierte die Geschichte von Israel und Palästina. Nach seiner Freilassung begann er, wieder auf Demonstrationen zu gehen. Er öffnet sein Hemd und zeigt uns eine Narbe auf der rechten Schulter: Bei einer Demonstration wurde er angeschossen und musste ins Krankenhaus, wo er eine Woche später erwachte. Weitere drei Monate musste er zuhause bleiben, um sich zu erholen. Das, so erzählt er uns, hinderte ihn aber nicht daran, weiterhin für seine Recht einzustehen.

Auch wenn es in den letzten Monaten keine physische Konfrontation mit israelischen Sicherheitskräften gab, erzählt uns Attalah, so fliegen doch fast jede Nacht Drohnen über dem Dorf, israelische Militärjeeps patrouillieren in der Gegend bis zu zweimal pro Woche.

Auf unsere Frage, wohin die israelische Regierung die Beduinengemeinden umsiedeln will, antwortet Attalah müde: „Sie wollen uns in eine Gegend in der Nähe von einer Müllhalde umsiedeln. Diese Gegend passt nicht in den Lebensstil von Beduinen“. Er erzählt uns weiter, dass die Beduinengemeinden in Palästina und Israel den gleichen Ursprung haben, die Wüste Negev, arabisch Naqab. Während des Kriegs von 1948 mussten die Großeltern von Attalah ihre Heimat verlassen und siedelten sich am heutigen Ort des Dorfes an: „Wir lehnen es ab, noch einmal gewaltsam vertrieben zu werden“, meint Attalah zu uns.

Jabal al Baba; © WCC-EAPPI

Attalah leistet seit Jahren Advocacyarbeit, um auf die Probleme und Herausforderungen der Gemeinde unter israelischer Besatzung aufmerksam zu machen: Vor einigen Jahren fuhr er nach Rom, um mit dem Papst über das Schicksal des Dorfes zu sprechen. Ein Großteil des Hügels, auf dem die Gemeinde liegt, ist Eigentum des Vatikans. Das Grundstück wurde 1964 Papst Paul VI während eines Besuchs des Heiligen Landes vom damaligen jordanischen König geschenkt, daher auch der Name Jabal al-Baba – Papsthügel. Attalah, so erzählt er uns, erhielt die Zusage des Vatikans, dass die Gemeinde auch weiterhin auf dem Grundstück bestehen bleiben könne. „Ich habe viele Menschen auf der ganzen Welt kennengelernt und mit ihnen über die Besatzung und unsere Gemeinde gesprochen. Ich habe Vorträge an Universitäten und in Parlamenten gehalten, und durfte unterschiedlichste Menschen als Gäste unserer Gemeinde empfangen“. Für Attalah ist es ebenfalls wichtig, mit Israelis zusammenzuarbeiten. Er möchte ihnen das Leben und die Realitäten für Palästinenser:innen zeigen. Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen hat das Dorf Zugang zu Wasser, Elektrizität und konnte ebenfalls ein kleines Gesundheitszentrum und einen Kindergarten aufbauen.

Trotz Attalahs Bemühungen meint er zu uns: „Wir sehen keine konkreten Erfolge unseres Engagements, wenn es um die Sicherstellung unserer Existenz hier geht. Weiterhin sind wir von Hauszerstörungen und Umsiedlung bedroht.“

Jabal al Baba; © WCC-EAPPI

Um die finanzielle Situation des Dorfes zu sichern, bietet Attalah Übernachtungen für Tourist:innen an. Während der Pandemie konnten Sie keine Gäste empfangen, Attalah ist sehr glücklich, dass dies jetzt wieder möglich ist. Während unseres ersten Besuchs erzählte er uns, dass seine Zelte für Übernachtungen bereits gebucht seien. Das Tourismusprojekt ist für Attalah zudem eine weitere Möglichkeit, Menschen aus aller Welt das Leben der Beduinengemeinde unter der Besatzung näher zu bringen.

„Ich habe erst fünfzig Prozent von dem erreicht, was ich für die Zukunft unseres Dorfes und für die Menschen in Palästina tun will“, meint Attalah zu uns, als wir uns von ihm und Jabal al Baba verabschieden.

Tabea, im Juli 2022

Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von/des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://peacenow.org.il/en/settlements/settlement70-en

[2] Genfer Konvention IV, Artikel 49 „Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln.“

[3] Ir Amim „E1 report“ Dezember 2012, S. 2 https://www.ir-amim.org.il/en/report/e1-report

[4] https://peacenow.org.il/en/objection-to-building-a-new-settlement-in-e1

[5] https://www.haaretz.com/eu-seeks-talks-with-israel-over-red-lines-in-west-bank-1.5318523

[6] https://peacenow.org.il/en/despite-its-promise-the-government-is-promoting-the-e1-plan-which-is-considered-deadly-for-the-future-of-two-states

[7] https://www.ochaopt.org/atlas2019/wbthematic.html

[8] https://www.ochaopt.org/data/demolition, Breakdown nach “Communities”

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