Eingebettet zwischen Battir, Husan, Al Walaja und Al Khadr liegt das Tal Al Makhrour, eine fruchtbare Oase zwischen steinigen Hügelkuppen, Weltkulturerbe mit 2000 Jahre alter Geschichte, eine palästinensische Insel im Meer israelischer Siedlungen. Dies ist die Geschichte von einem Dorf und seinen Frauen, die bisher erfolgreich gewaltfreien Widerstand gegen die Auswirkungen der Besatzung leisten. Aber wie lange noch?
Eine einzige Zufahrtsstraße führt nach Battir. Zuerst erreicht man das „neue“ Dorf auf dem Hügelrücken, dann neigt sich die Straße nach unten, in den alten Ortskern. Eine der sieben Quellen von Battir ergießt sich in einem kleinen Wasserfall direkt neben dem „Terrassencafé“ in ein großes Becken, das das Wasser auffängt. Von hier aus sieht man auch die Steinterrassen, die sich durch das gesamte Tal ziehen. Ihre Ursprünge liegen in römischer Zeit. Schon damals wurden hier Getreide und Gemüse kultiviert, Terrassen gebaut und ein Bewässerungssystem angelegt, das bis heute genutzt wird.
Ich bin darauf gespannt, mehr über diesen uralten Ort zu erfahren, und habe mich mit einer Frauengruppe im Gästehaus Abu Hassan verabredet. Ich selbst habe seit vielen Jahren einen Garten und versuche, ökologisch und nachhaltig zu gärtnern. Dabei habe ich gelernt, dass Gärtnern Ausdauer und Beobachtung braucht: Welche Pflanzen gedeihen in welchem Klima und an welchem Standort? Wie züchtet und vermehrt man die besten Pflanzen jeder Art, und welche Pflege brauchen sie? Wie regeneriert man den Boden? Die Farmer:innen in Palästina leben im sogenannten „Fruchtbaren Halbmond“, dem sichelförmigen breiten Gürtel, der sich vom Persischen Golf bis zur östlichen Küste des Mittelmeers erstreckt. Der „Halbmond“ gilt als Ursprungsgebiet für Ackerbau und Viehzucht – durch archäologische Forschung wurde nachgewiesen, dass hier in der Zeit zwischen dem 12. und dem 7. Jahrtausend v. Chr. der Übergang von Sammler- und Jägerkulturen zu Landwirtschaft betreibenden Kulturen stattfand, dass hier aus Wildgräsern die ersten Getreidesorten entstanden.
12 Frauen sitzen im ‚Abu Hassan‘ im Schatten von Weinreben, die voller reifer Trauben hängen. Sie begrüßen mich herzlich, Kaffee und frisch gepflückte Trauben werden gereicht, und ich bitte die Frauen, mir über ihr Heimatdorf zu erzählen.
Wie so oft in Palästina beginnen sie mit dem Jahr 1948, dem Jahr der Gründung des israelischen Staates und dem darauffolgenden Krieg, eine Zeit, von der sie aufgrund der Flucht und Vertreibung hunderttausender Palästinenser:innen von der Katastrophe – der Nakba – sprechen. Maha*, die damals ein Kind war, erzählt: „Ein großer Teil der Bewohner:innen floh aus dem Dorf als die israelischen Soldat:innen kamen. Aber die, die blieben, zündeten jeden Abend das Licht in allen Häusern an und hängten immer wieder Wäsche auf die Leinen – ein normales Dorfleben wurde inszeniert. Das hielt die Soldat:innen wohl davon ab, das Dorf wie so viele andere dem Erdboden gleich zu machen. Aber unser Dorf liegt seither unmittelbar an der sogenannten Grünen Linie, der Waffenstillstandslinie von 1949.“
„Dann, Anfang der 80ger Jahre, wurden große Teile unseres Farmlandes zu israelischem „Staatsland“ erklärt,“ erzählt Amal*. „Seit Beginn der Besatzung betrifft das nicht nur Land von Battir, sondern auch von den Dörfern ringsum, von Husan, Al Khadr, Al Walaja, Beit Jala. Mit Beitar Illit und Har Gilo wurden in diesem Gebiet zwei Siedlungen gebaut, die immer größer werden und immer mehr von unserem Land wegnehmen. 2005 wurden die Pläne für den Bau der israelischen Trennbarriere auf unserem Gebiet konkret. Sie sollte durch das Farmland führen und würde große Teile des alten Bewässerungssystems und unserer Olivenhaine zerstören.“
„Aber wir wollten das nicht zulassen und wehrten uns. Wir schrieben an internationale Organisationen und hatten 2014 endlich Erfolg: die UNESCO erkannte das Gebiet, mehr als 1.000 Hektar, als kulturelles Welterbe an, aufgrund der uralten, von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaft und der damit verbundenen Traditionen.“[1]
Gleichzeitig setzte die UNESCO das Land auf die Liste für „Bedrohtes Kulturerbe“, um die Landschaft vor menschlichen Eingriffen wie der geplanten Trennbarriere zu schützen. Das Gebiet erhielt den Namen “Land of Olives and Vines – Cultural Landscape of Southern Jerusalem, Battir”.
Zeina* erzählt, wie es weiterging: „Nach diesem Erfolg haben wir überlegt, was wir noch tun können, um unser Tal zu schützen und unser Erbe zu erhalten. Die Idee war, ein kleines Zentrum für Ökotourismus zu werden, mit Wanderwegen und einem Ökomuseum. Dies wurde Schritt für Schritt aufgebaut. Dann kam Vivien Sansour[2] zu uns. Vivien ist Palästinenserin aus dem Nachbarort Beit Jala, die jetzt in den USA lebt und arbeitet, aber regelmäßig ihre Heimat besucht und uns unterstützt. Sie macht so vieles – sie ist Forscherin, Künstlerin, Umweltschützerin, Geschichtenerzählerin… und mit ihrer Hilfe wurde eine neue Idee geboren: der Aufbau der „Palestine Heirloom Seed Library“, einer Samenbank mit Arten, die über viele Generationen in Palästina entwickelt wurden. Ohne jede Gentechnologie entstanden so über die Jahrhunderte einzigartige Sorten, die an Geschmack alles übertreffen, was man im Supermarkt kaufen kann. Mit der Erhaltung von alten Kultursorten und von Biodiversität vermeiden wir, dass wir die Samen von den großen Saatgutfirmen kaufen müssen. Unsere Farmer:innen trauen diesen Samen nicht. Sie machen uns abhängig von gentechnologisch veränderten Sorten und Hybriden, die man nur einmal aussäen kann, die große Mengen an Chemikalien brauchen um optisch schönes, für den Transport geeignetes Obst und Gemüse wachsen zu lassen, und die den Boden verarmen lassen. Die Monopole für Saatgut verringern die Biodiversität immer mehr!“
Die Frauen zeigen mir die Samenbank von Battir. Im Moment hat die Samenbank Saatgut von 106 Sorten aus ganz Palästina. Dazu gehören natürlich die besonderen Auberginen und Gurken, für die Battir in ganz Palästina bekannt ist. Es gibt Getreidesamen und Samen von Kichererbsen und anderen Hülsenfrüchten, Samen von Zuccini- und Kürbissorten, Samen von Kräutern und Gewürzen… Und es gibt ein bargeldloses Tauschsystem, um die Arten weiter zu erhalten: zur Saatzeit bekommen Farmer so viele Samen wie sie für ihre Felder brauchen – unter der Bedingung, nach der Ernte ein volles Glas mit Samen dieser Sorte in die Seed Library zurück zu bringen. Alle profitieren von diesem Tauschhandel, und die Farmer geben sich alle Mühe, nur die besten Exemplare jeder Sorte ausreifen zu lassen und so die allerbesten Samen zu gewinnen. Herbizide, Pestizide und industriell hergestellt Dünger kommen nicht zum Einsatz, stattdessen werden den Farmern Kurse in traditionellen und in modernen ökologischen Anbauweisen angeboten. Das Prinzip lautet: Voneinander und miteinander zu lernen, wie man den Boden kultiviert, was die Pflanzen brauchen, und wie man Schädlinge mit natürlichen Mitteln in Schach hält.
Was geschah als Nächstes? „Wir wollten den Ökotourismus weiter ankurbeln und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Farmer:innen ihre Produkte zu fairen Preisen verkaufen können. Die Bahnstation von Battir an der Strecke, die seit osmanischer Zeit nach Jerusalem führt, wo die Farmer:innen in früheren Zeiten ihre Produkte verkauften, wurde von israelischer Seite bereits nach dem Unabhängigkeitskrieg geschlossen.“ Zudem würden die Frauen heute eine Genehmigung benötigen, um mit ihren Produkten aus der Westbank nach Jerusalem fahren zu können, diese zu erhalten ist ein schwieriges bis unmögliches Unterfangen. „Also bauten wir in Battir einen Verkaufsstand für unser Obst und Gemüse, für eingelegte Oliven, und für selbst gekochte Marmelade. Unsere nächste Idee war, Besucher aus anderen Ländern im Gästehaus nicht nur zu bewirten, sondern Kochkurse mit saisonalen Produkten von den Feldern anzubieten. Und eine weitere Idee, diesmal von Vivien: die Kochkurse und das Essen dort anzubieten, wo das Gemüse wächst: direkt auf den Feldern. Die kleine mobile Küche „Traveling Kitchen“ wurde gebaut. Zusammen mit dem Kochen und Essen kamen Geschichten – alte Traditionen, Feste, Rezepte wurden ausgetauscht und Freundschaften wurden geschlossen. Battir wurde ein Geheimtipp für Ökotouristen. Es war eine Zeit voller Hoffnung.“
Dann kam Corona. Es gab keine Besucher:innen mehr, das Gästehaus, die Küche und die Wanderwege blieben leer. Die Frauen kämpften um das Überleben ihrer Projekte. Sie schafften es, und ab 2020/2021 ging es langsam wieder bergauf. Jeden Monat waren drei bis vier Gruppen Touristen im Gästehaus, wanderten durch die Terrassen von Battir und ließen sich kulinarisch inspirieren. Aber bald darauf kam der nächste Schlag: der Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023, der darauffolgende Angriff Israels auf Gaza und ein Krieg, der jetzt, 11 Monate später, immer noch andauert. Sperrungen von Straßen und Ortschaften im gesamten Westjordanland, gewalttätige Übergriffe von Siedler:innen und Armee … es kamen keine Ökotourist:innen mehr. Die einzigen ausländischen Gäste seitdem waren wir Ökumenischen Begleiter:innen.
Der Druck der Siedler:innen bereitet dem Ort zunehmend Probleme. Erste Versuche, eine Hügelkuppe auf dem Gebiet des Weltkulturerbes zu besiedeln, gab es schon früher. Aber jedes Mal wurden die Siedler:innen von der israelischen Polizei in ihre Grenzen verwiesen. Das hat sich in den letzten Monaten geändert, inzwischen greifen Polizei und Militär nicht mehr ein oder unterstützen die Siedler:innen sogar, so erzählen mir die Frauen. Im Weltkulturerbe, dem Tal von Al Mahkrour, entstanden seitdem zwei neue Außenposten. Im Juni 2024 wurde zudem die Errichtung von fünf neuen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten durch die israelische Regierung bekannt gegeben. Eine davon ist die Siedlung Nahal Heletz[3], die auf dem Gebiet des Weltkulturerbes entstehen soll, nur wenige hundert Meter entfernt vom Dorf Battir und auf dem Land, auf dem die Olivenhaine und Weinreben von Battir wachsen. Und auch für die Erweiterung der bestehenden Siedlung Har Gilo auf dem gegenüber liegenden Hügel bis hinunter ins Tal gibt es Pläne.[4] Die israelischen bzw. israelisch-palästinensischen Organisationen PeaceNow, Emek Shaveh und Combatants for Peace haben diese Entwicklungen in einem lesenswerten Bericht zusammengefasst.[5]
Siedlungen und Farmen brauchen Wasser – einen Tag nach meinem Besuch riefen mich die Frauen an: Siedler waren im Ort und fotografierten die Quellen und Bewässerungsanlagen von Battir. Und während ich dies schreibe, ringen palästinensische Farmer:innen mit der Unterstützung internationaler, palästinensischer und israelischer Organisationen um ihr Land, das Ende Juli im Tal von Al Makhrour von Siedler:innen besetzt wurde.[6]
Die neuen Außenposten und die neue Siedlung sind augenscheinlich weitere Schritte der Siedlerbewegung mit aktiver Unterstützung der israelischen Regierung, einen Keil zwischen die Dörfer westlich von Bethlehem zu treiben, sie von Bethlehem und Jerusalem abzutrennen und durchgehende israelische Kontrolle vom Siedlungsblock Gush Etzion bis nach Jerusalem zu schaffen. Diese Entwicklung folgt der Logik, dass so eine palästinensische territoriale Kontinuität und somit die Schaffung eines palästinensischen Staats verhindert werden können.[7] Im Schatten des Gazakrieges gehen diese Vorgänge nahezu unter.
Was sagen die Frauen von Battir? „An manchen Tagen wollen wir aufgeben. Jeder Tag ist ein bisschen schlimmer, wir verlieren die Hoffnung. Aber dann sagen wir uns: In unserem Gästehaus arbeiten fünf Frauen, wir kaufen Obst und Gemüse von 17 Farmerinnen, und wir verkaufen in unserem kleinen Laden Marmelade, Olivenöl, Thymian und Auberginen von noch viel mehr Frauen. Wenn wir aufhören, unser Land zu bearbeiten, unsere Pflanzen anzubauen, dann überlassen wir das Land den Siedler:innen. Die Gerechtigkeit wird sich durchsetzen, es wird ein Ende der Besatzung geben. Ihr Menschen von EAPPI gehört zu den Wenigen, die noch kommen und uns zuhören. Erzählt in euren Heimatländern von uns, damit die Menschen bei euch und eure Regierungen uns endlich hören!“
Sabina, im September 2024
* Namen geändert
Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://whc.unesco.org/en/list/1492
[2] https://viviensansour.com/About
[3] https://peacenow.org.il/en/blue-line-for-the-new-settlement-of-nahal-heletz
[4] https://peacenow.org.il/en/further-developments-on-the-expansion-of-the-har-gilo-settlement
[5] https://peacenow.org.il/wp-content/uploads/2024/08/Joint-alert-about-Battir-Peace-Now-CfP-Emek-Shaveh-2.pdf
[6] https://progressive.org/latest/in-the-west-bank-even-israeli-citizens-are-being-evicted-by-illegal-settlers-stein-20240905/
[7] https://peacenow.org.il/en/the-annexation-agenda-of-the-israeli-government