Gemeinsam trauern, gemeinsam hoffen – Die 19. israelisch-palästinensische Gedenkzeremonie

Am 12. Mai versammelten sich mehr als 100 Menschen in der Volksbühne Berlin, um gemeinsam die Live-Übertragung der israelisch-palästinensischen Gedenkzeremonie zu erleben. Zum 19. Mal hat dieser „alternative Gedenktag“ für israelische und palästinensische Opfer des Konflikts, von Besatzung und Kriegen stattgefunden – wie immer einen Tag vor dem offiziellen Gedenktag in Israel, an dem der israelischen gefallenen Soldat:innen und der Opfer von Anschlägen gedacht wird. Von Anfang an war das Anliegen der Organisator:innen aus den Reihen der israelisch-palästinensischen Organisationen Combatants for Peace und Parents Circle Families Forum, den Blick zu schärfen für das Leid auf beiden Seiten, gemeinsam zu trauern und aus dem Wissen um den gezahlten höchsten Preis – den Verlust von Angehörigen – einander zu sehen und Kraft zu schöpfen für ihr gemeinsames Engagement für Versöhnung. Diese Botschaft tragen sie an diesem Tag in die ganze Welt (Link zur Aufzeichnung).

Mehr als 100 Menschen haben am 12. Mai in der Volksbühne Berlin die Übertragung der Joint Israeli-Palestinian Memorial Ceremony verfolgt. Foto © M.S./NIF Deutschland
Mehr als 100 Menschen haben am 12. Mai in der Volksbühne Berlin die Übertragung der Joint Israeli-Palestinian Memorial Ceremony verfolgt. Foto © M.S./NIF Deutschland

Das Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung, die Alliance for Middle East Peace (ALLMEP), der New Israel Fund (NIF) Deutschland e.V. und der EAPPI-Netzwerk Deutschland e.V. organisierten die Übertragung mit Unterstützung des RomaTrial e.V. im Grünen Salon der Volksbühne Berlin und konnten so in Solidarität mit den Veranstalter:innen in Jerusalem dabei sein. Auch in vielen anderen Städten auf der ganzen Welt haben Übertragungen stattgefunden. Im Gegensatz zum letzten Jahr, in dem 15.000 Menschen vor Ort an der Veranstaltung teilnahmen, fand die Zeremonie dieses Jahr ausschließlich online statt: Die palästinensischen Mitglieder der beiden Gruppen haben derzeit keine Möglichkeit, Einreisegenehmigungen nach Israel zu erhalten, auch war man um die Sicherheit aller Beteiligten besorgt. 

Denn dieses Jahr ist kein einfaches Jahr für ein solches gemeinsames israelisch-palästinisches Gedenken, das auch in der Vergangenheit vor Ort schon stark polarisierte. In diesem Jahr war die alternative Gedenkveranstaltung besonders schmerzlich nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Gemeinden im Süden Israels am 7. Oktober 2023, nach den Geiselnahmen und angesichts des seit mehr als 7 Monaten wütenden Krieges in Gaza, der unermessliches Leid über die Zivilbevölkerung dort gebracht hat und weiterhin bringt. Gleich zu Beginn der Zeremonie berichtet der Moderator, dass es viele Stimmen gab, die ihnen sagten: Dieses Jahr sei es unpassend, es sei nicht die richtige Zeit für eine solche Zeremonie. Dennoch haben es sich die Betroffenen vom Parents Circle Families Forum und von den Combatants for Peace nicht nehmen lassen, ihr Gedenken und ihre Botschaft für Frieden und Verständigung und gegen die fortdauernde Gewalt in die Welt zu schicken.

Aufgrund der schrecklichen Ereignisse der letzten Monate lag der Schwerpunkt der Zeremonie diesmal auf der Wahrnehmung der Kinder, ihrem Umgang mit den Traumata und ihrer Zukunft, was besonders anrührend war. All dies verbunden mit der Frage, wie Hoffnung verbreitet werden kann angesichts der aktuellen Tragödien. Der dringende Wunsch nach einer friedlichen Zukunft und einem Zusammenleben der beiden Völker wurde mit bewegenden Berichten von Menschen beider Seiten unterstrichen, die in den letzten Monaten Angehörige verloren haben.

So etwa Ahmed AlHelou, Palästinenser aus Jericho, der 60 Mitglieder seines erweiterten Familienkreises in Gaza verloren hat. Er schließt seine Rede mit den Worten*: „Wir müssen für unsere Kinder eine sichere Zukunft bauen, ohne Angst haben zu müssen vor dem, was morgen kommt, ohne fürchten zu müssen, dass zerstört wird, was wir für zukünftige Generationen aufbauen. Wir müssen mit Ausdauer und Stärke nein sagen zu Krieg, nein zu Zerstörung, nein zu Extremismus und Fanatismus, nein zu Terror, ja zu Koexistenz, ja dazu, gemeinsam in diesem gesegneten, wunderbaren Land in Frieden und Sicherheit, in Würde und Freiheit zu leben.“  

Yonatan Zeigen, Sohn der am 7. Oktober getöteten kanadisch-israelischen Friedensaktivistin Vivian Silver beschwor die Zuhörer:innen*: „Heute blicke ich mit gebrochenem Herzen auf meine Kinder, weil ich daran denke, dass auch ihr Vater zu seinen Lebzeiten möglicherweise keinen Frieden mehr erleben wird. […] Wir müssen Ideale entwickeln, die das Leben unterstützen, die gerechte Verteilung von Ressourcen, den anderen anerkennen, bis er von einem Fremden zu einem Bekannten wird, bis wir nicht mehr willens sind, zu töten und getötet zu werden. Meine Mutter hat ihr Leben diesen einfachen Einsichten gewidmet. […] Gegen meinen Willen wurde diese Fackel nun an mich weitergereicht. Ich trage sie demütig, aber auch mit Entschlossenheit und Hingabe. Möge sie unter meiner Aufsicht verlöschen, so dass ich sie nicht auch noch an meine Kinder weiterreichen muss.“

Vor der Übertragung gab es im Rahmen unserer Veranstaltung in Berlin ein kurzes Gespräch mit zwei Menschen, die sich für diese Ziele in Deutschland engagieren. Die Mutter der Israelin Vered Berman fiel während der Zweiten Intifada einem Terroranschlag zum Opfer. Vered lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Sie ist vor einigen Monaten dem Parents Circle Families Forum beigetreten und arbeitet derzeit am Aufbau eines deutschen Freundeskreises. Mohamed Ibrahim ist in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon zur Welt gekommen und in Deutschland aufgewachsen. Er führt als Trainer im Bereich politische Bildung seit Jahren gemeinsam mit einem israelischen Counterpart Dialogrunden und Gespräche über den Nahostkonflikt durch. Beide berichteten davon, dass sie sich derzeit nicht sehr wohl in Deutschland fühlen: Vered ist sehr besorgt aufgrund des wieder aufflammenden Antisemitismus, den sie auch selbst erfährt. Und sie erzählt, dass ihre Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt in ihrem eigenen Umfeld durchaus auch kritisch gesehen wird: Manchen ist ihre Form des Engagements zu viel, anderen zu wenig. Mohamed macht zu schaffen, dass es an vielen Stellen in Deutschland ein Ungleichgewicht bezüglich der Wahrnehmung des israelischen und des palästinensischen Leids zu geben scheint, aber auch, dass sich Haltungen hinsichtlich des Konflikts in vielen Teilen der Gesellschaft verhärtet haben. Als Mensch mit palästinensischen Wurzeln sieht er sich derzeit nicht selten in seiner Meinungsfreiheit beschränkt.

Gespräch mit Vered Berman und Mohamed Ibrahim vor dem Beginn der Übertragung. Foto © A.S.
Gespräch mit Vered Berman und Mohamed Ibrahim vor dem Beginn der Übertragung. Foto © A.S.

Vered und Mohamed haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen das Schubladendenken aufbrechen, Dialoge fördern. Sie sind dankbar, für ihre Gedanken an diesem Abend eine Bühne bekommen zu haben. 

Das Leid aller Betroffenen zu begreifen und ihnen zur Seite zu stehen, ist die wichtige Botschaft des Abends. Und trotz Verzweiflung, Ängsten und Gegenwehr nicht aufzugeben, an der Hoffnung festzuhalten und aktiv zu bleiben mit dem Ziel, die politisch Verantwortlichen endlich zu mehr Engagement für einen gerechten Frieden für alle Menschen in Palästina und Israel zu bewegen.

*Übersetzung aus dem Englischen

Andreas, im Mai 2024

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