„Ohne Hoffnung gibt es kein Leben“

Wie ein Aktivist in dem kleinen Palästinenserort Nabi  Samwil den Zumutungen der israelischen Besatzung widersteht

Mit ruhigem Stolz: Aeed Barakat auf der neuen Straße von Nabi Samwil. Foto © EAPPI
Mit ruhigem Stolz: Aeed Barakat auf der neuen Straße von Nabi Samwil. Foto © EAPPI

Entspannt, selbstbewusst und lächelnd steht er da und posiert für die Kamera. Ein unspektakuläres Bild, gewiss, doch dahinter steckt eine spektakuläre Geschichte. Aeed Barakat steht auf einer Straße, die vor nicht langer Zeit asphaltiert wurde. Dass in Nabi Samwil überhaupt etwas gebaut wird, kommt einer Sensation gleich. Denn der kleine Ort, der an eine Heiligenstätte zu Ehren des hier der Legende nach begrabenen Propheten Samuel (arabisch: Nabi Samwil) grenzt, ist von Palästinensern  bewohnt, die meist kaum die Chance auf eine Baugenehmigung haben.

Freundlich erzählt Barakat davon, wie er die kaum noch sichtbaren Asphaltreste der Piste für ein Foto ins Bild gerückt hat. Nur so vermochte er  vor Gericht durchzusetzen, dass die Straße frisch gepflastert werden durfte.

Für Aeed Barakat ist dies nur eines von vielen Beispielen in einer Kette von Schikanen, denen der Ort ausgesetzt ist, seit er im Junikrieg 1967 israelisch besetzt wurde. Längst sind Teile der Moschee in eine Synagoge umgewandelt worden, weil Samuel eben auch von Juden verehrt wird. Nabi Samwil galt schon vor Jahrhunderten als Ort jüdisch-muslimischer Koexistenz. Nun jedoch haben sich die Rahmenbedingungen dramatisch geändert. „Seither darf hier nicht mehr gebaut werden“, erzählt Barakat, „und viele, die hierher pilgern, wissen nicht einmal, dass Nabi Samwil nicht nur eine Heiligenstätte, sondern auch ein Wohnort von Palästinensern ist.“

Grabungsstätte statt Wohnort – die Bewohner mussten das historische Dorf Nabi Samwil räumen. Foto © EAPPI
Grabungsstätte statt Wohnort – die Bewohner mussten das historische Dorf
Nabi Samwil räumen. Foto © EAPPI

Begonnen haben die Zumutungen 1971. In diesem Jahr musste das ursprüngliche Dorf, das um das historische Gebäude zu Ehren Samuels herum gewachsen war, auf israelische Anweisung komplett geräumt werden, um Platz zu schaffen für archäologische Ausgrabungen, denen seither alle alten Häuser zum Opfer gefallen sind. Die Dorfbewohner haben sich danach unweit davon angesiedelt, wo es freilich kaum eine Chance auf eine Baugenehmigung gibt und alle trotzdem errichteten Bauten früher oder später einen Abrissbescheid erhalten. Aeed Barakat hat, wie er sagt, im Laufe der Jahre 24 dieser sogenannten „Demolition Orders“ zur Zerstörung seines Eigentums erhalten. Zwischenzeitlich, so berichtet er, sei unter diesem Druck die Bevölkerungszahl deutlich geschrumpft, weil die Menschen in Nabi Samwil für sich keine Perspektive sehen, inzwischen sei sie wieder auf über 200 Einwohner gestiegen.

Die zwei Seiten von Nabi Samwil: Vorn die Grabungsstätte, hinten das aus Blechhütten und Verschlägen errichtete neue Dorf, dazwischen ein mit Kameras und Mikrofonen versehener israelischer Wachturm. Foto © EAPPI
Die zwei Seiten von Nabi Samwil: Vorn die Grabungsstätte, hinten das aus Blechhütten und Verschlägen errichtete neue Dorf, dazwischen ein mit Kameras und Mikrofonen versehener israelischer Wachturm. Foto © EAPPI

Um die Existenz zu fristen, muss sich oft als Arbeiter in einer der benachbarten jüdischen Siedlungen verdingen, wer nicht von der bescheidenen Landwirtschaft leben kann. Und die wird immer stärker begrenzt, nicht einmal durch die wachsenden Siedlungen, sondern durch den weit um die Moschee deklarierten „Nationalpark“, für den nach Barakats Worten hier 3500 von 4500 Dunam palästinensischen Landes  ausgewiesen wurden.  Nach Protesten dürfen die Einwohner Teile dieser 3,5 Quadratkilometer zwar vorerst wieder nutzen, müssen dazu aber Zäune und Checkpoints überwinden. Denn vor einigen Jahren wurde auf eben dem Land, kilometerweit entfernt von der Grünen Linie, die Trennbarriere errichtet. Paradoxerweise befindet sich das Dorf Nabi Samwil nun in der sogenannten „Seam Zone“, also auf der Israel zugewandten Seite der Sperranlage innerhalb der Westbank. Nach Israel hinein fahren dürfen aber die Menschen nicht. Sie haben Identitätskarten, die sie als Bewohner*innen nur der Westbank ausweisen. Ihre Bewegungsfreiheit und die Entwicklung ihres Dorfes sind im wahrsten Sinne des Wortes von allen Seiten begrenzt.

Jüngstes Objekt einer israelischen „Demolition Order“ – das neu errichtete Spielfeld für die Bewohner von Nabi Samwil. Foto © EAPPI
Jüngstes Objekt einer israelischen „Demolition Order“ – das neu errichtete Spielfeld für die Bewohner von Nabi Samwil. Foto © EAPPI

Aeed Barakat und seine Nachbarn trotzen  den Zuständen jetzt mit einem neuen Projekt. Für die Jugendlichen von Nabi Samwil, aber auch als Treffpunkt für die Dorfbewohner haben sie in gemeinsamer Kraftanstrengung und mithilfe nächtlicher Lastwagenlieferungen ein Spielfeld errichtet. Den dafür vorgesehenen Kunstrasen dürfen sie aber nicht auslegen. Denn sonst, so hätten ihm die israelischen Sicherheitskräfte gedroht, werde es auch für den Spielplatz eine „Demolition Order“ geben. „Ich habe sie sogar darum gebeten“, sagt Barakat, „damit ich dagegen gerichtlich vorgehen kann.“ Doch es sei bislang bei einer mündlichen Drohung geblieben.

Wie lebt es sich unter solchen Bedingungen, woraus können Palästinenser in Nabi Samwil noch Hoffnung schöpfen? Aeed Barakat hat auf diese Frage eine klare Antwort, die er ebenso ruhig wie souverän vorträgt: „Ohne Hoffnung gibt es kein Leben.“


Nationalpark – ein Mittel der Landnahme im besetzten Palästina

Karte © Emek Shaveh (zum Vergrößern klicken)
Karte © Emek Shaveh (zum Vergrößern klicken)

Welche Verbindung besteht zwischen einem Nationalpark und einem politischen Konflikt? Warum hat Jerusalem von allen israelischen Städten die meisten Nationalparks und warum sind die meisten in Ostjerusalem? Diese Fragen wirft die besatzungskritische Nichtregierungsorganisation Emek Shaveh auf – und ihre Antwort lautet: Nationalparks werden ebenso wie archäologische Stätten und Ausgrabungen als Mittel im Kampf um die öffentliche Meinung und zur Kontrolle des Landes der palästinensischen Bewohner eingesetzt.1 Nach Darstellung dieser Kritiker der israelischen Besatzungspolitik dienen diesem Zweck neben dem „Nationalpark“ rund um Nabi Samwil weitere vier teils schon realisierte, teils noch geplante „Parks“, als „Green Belts“ bezeichnete Landnahmen in einem Halbkreis rund um Jerusalem.

(1) vgl. Emek Shaveh: https://alt-arch.org/en/tours/tours/the-green-belt/


Daniel, im September 2019

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi – Deutsche Sektion oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

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