Hoffnungsträger Bildung

Besuch der Bethlehem University

Unser dreimonatiger Aufenthalt in Bethlehem neigt sich dem Ende entgegen. Unsere Erlebnisse waren häufig herausfordernd: Lange Schlangen an Checkpoints, Hauszerstörungen, Kinder, die auf dem Schulweg mit ständiger Militärpräsenz konfrontiert sind. Und dennoch gab es auch immer wieder Lichtblicke.

Wir könnten uns gerne einer der nächsten Gruppen bei einer Führung durch die Universität anschließen, wurde unserer Kollegin Nina vom EAPPI-Team Bethlehem auf ihre Anfrage mitgeteilt – doch dann verlief unser Besuch der Bethlehem University of the Holy Land doch überraschend anders. Am Eingangstor wusste man schon Bescheid über unser Eintreffen. Nach ein paar Minuten, in denen wir, von der lauten, staubigen Straße kommend, die unverhoffte Blütenpracht und die Ruhe und Schönheit des Uni-Innenhofs genossen hatten, wurden wir von Besuchskoordinatorin Amjaad in Empfang genommen. Sie erklärte uns gleich, dass wir einen eigenen Termin mit dem Vizekanzler der Universität, Bruder Peter Bray, und „student ambassadors“ haben würden und brachte uns in den weiträumigen, holzgetäfelten Konferenzsaal. Dort nahm uns sehr herzlich Bruder Peter in Empfang. Er stammt aus Neuseeland, gehört zur christlichen Bruderschaft nach De La Salle und leitet die Universität seit 14 Jahren. Später wird er uns erzählen, dass dies aufgrund all der Unwägbarkeiten die schwierigste Stelle sei, die er je hatte, aber auch die erfüllendste.

Im Gespräch mit Bruder Peter, dem Leiter der Universität; © Bethlehem University

Von Bruder Peter und aus einem kleinen Einführungsfilm, den wir vor Ort schauen, erfahren wir, dass die Gründung der katholischen Universität Bethlehem des Heiligen Landes auf eine Initiative von Papst Paul VI. zurückging. 1964 hatte der Papst das Heilige Land besucht, und in der Folge dieses Besuchs wurde es ihm ein Anliegen, ein Projekt anzustoßen, das nachhaltig etwas für das palästinensische Volk verändern könnte.[1] Viele junge Leute haben damals das Land nach der Sekundarschule verlassen, da es im Umkreis keine Universität gab. Nicht nur habe dies die Familien vor äußerst hohe Kosten gestellt, auch kehrten viele der Student:innen nicht in ihre Heimat zurück, brachten ihr Wissen und ihr Können nicht in Palästina ein.

Vertreter katholischer Bildungseinrichtungen im Heiligen Land schlugen schließlich dem Papst vor, eine Universität einzurichten. 1973 wurde die Universität, gefördert vom Vatikan – „Joint venture with the Vatican“, sagt Peter – mit 112 Studierenden eröffnet. Heute studieren etwa 3.400 junge Frauen und Männer an der Bethlehem University. Es gibt fünf Fakultäten und eine große Zahl an Fächern und möglichen Abschlüssen. Man blickt auf fast 20.000 Absolventinnen und Absolventen zurück.

Die jungen, noch unsicheren Studierenden zu Beginn ihres Studiums zu sehen und dann die Persönlichkeiten, zu denen sie sich entwickelt haben, wenn sie die Uni verlassen, gebe ihm eine große Zufriedenheit, so Bruder Peter. Die Abschlüsse sind auch in Israel anerkannt, was vor allem wichtig ist für Studierende aus Ost-Jerusalem. Zurzeit seien 78% weibliche Studierende an der Uni eingeschrieben – Palästina habe die höchste Rate an Akademikerinnen im Nahen Osten, so Peter.

Auf der Webseite ist zu lesen, dass die Bethlehem University insgesamt 12mal vom israelischen Militär geschlossen wurde, unter anderem von 1987 bis 1990, also während der Zeit der ersten Intifada. Ein wichtiges Ziel der Universität sei es, so Bruder Peter, trotz der Besatzungssituation eine gute Atmosphäre des Lernens zu schaffen und den Studierenden einen sicheren Ort für ihr Studium zu bieten. Viele Studierende haben eine beschwerliche Anreise, müssen Checkpoints passieren und sind dort häufig Schikanen durch Soldat:innen ausgesetzt. Die beim Betreten des Universitätsgeländes zu bewundernde Gartenpracht soll dazu dienen, dass die Studierenden sich wohlfühlen, sich entspannen und so besser lernen können.

Die Studierenden berichten aus ihrem Alltag und von ihren Hoffnungen für die Zukunft; © Bethlehem University

Und das tun sie, erfahren wir von den vier anwesenden Vertreter:innen der Studentenschaft. Alle vier studieren Englisch mit verschiedenen Schwerpunkten, etwa Literatur-wissenschaft oder Übersetzung und Dolmetschen, oder haben einen wirtschaftlichen Schwerpunkt. Sie alle beherrschen die englische Sprache fließend und berichten uns von ihren täglichen Herausforderungen, von Jerusalem aus, wo drei von ihnen zu Hause sind, überhaupt durch den Checkpoint nach Bethlehem und zur Uni zu gelangen. Sie berichten von Schikanen und Belästigungen durch die diensthabenden Soldaten oder Soldatinnen, oder auch schlichten Zurückweisungen. Dann fällt die Uni für sie an dem Tag aus. Eine der vier lebt in Hebron und berichtet, wie sie als Bewohnerin der West Bank einmal den umgekehrten Weg versucht hat, nämlich während des Ramadan zum Fest  Lailat al-Qadr nach Jerusalem zu kommen, um in der Al Aqsa Moschee zu beten. Es ist ihr nicht gelungen – sie durfte nicht passieren.

Sie alle haben bestimmte Hoffnungen und Vorstellungen bzgl. ihrer Karrieren: Eine von ihnen will Lehrerin werden, die andere hofft, im Ausland einen PhD machen zu können, dann aber zurückzukommen. Eine möchte an die Uni zurück als Dozentin. Einer würde gerne in einem internationalen Unternehmen in Palästina arbeiten. Was ihnen gemeinsam ist: Sie wollen in Palästina leben und ihr Land voranbringen.

Warum sie die Bethlehem University ausgesucht haben? Weil hier neben dem Fachlichen eine gute Atmosphäre für alle Palästinenser:innen herrsche, die Religionszugehörigkeit spiele überhaupt keine Rolle, sie interessiere hier niemanden. Und, sehr wichtig, betonen sie nochmals: Die Uni bietet eine sichere Umgebung, „a safe environment“. 2002 habe es den letzten Zwischenfall mit Soldaten auf dem Campus gegeben, fügt Brother Peter hinzu.

Die Uni freue sich immer über Besucher,  weil das zeige, dass man nicht vergessen werde in Palästina, und das sei entscheidend, um die Hoffnung am Leben zu erhalten, so Brother Peter. Da wir von unserer Rolle als EAs hier und später nach unserer Rückkehr in unsere Heimatländer berichtet haben, fragt er die vier: Was möchtet ihr, dass sie zu Hause erzählen? Ihre Antwort: „Dass wir normale Menschen sind, normale Studenten, keine Terroristen, wie es oft im Fernsehen dargestellt wird.“ Und sie möchten, dass wir von den Hindernissen durch die Besatzung in ihrem Leben berichten, und uns dafür einsetzen, dass auch ihre Menschenrechte respektiert und geachtet werden.

Die Geschichte der Universität ist eine Geschichte von Menschen, die sich für ihre Hochschulbildung einsetzen – mit Ausdauer und Mut angesichts von Widrigkeiten und Ungerechtigkeit –, die hoffnungsvoll mit einem immer größer werdenden internationalen Kreis von Kollegen zusammenarbeiten, um eine bessere Zukunft aufzubauen.“[2] Was auch immer „they“, die Besatzer, ihnen tun würden, so betonen die Studierenden am Ende unsere Begegnung, „they cannot take my education.“ So wird die Bildung, und das ist auch das Postulat der Universität, zum „Beacon of hope“, zum Leuchtfeuer der Hoffnung.

EA Kerstin, im Juni 2022

Ich habe für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teilgenommen. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind

[1] https://www.bethlehem.edu/aboutbu/#more-info

[2] https://www.bethlehem.edu/aboutbu/#more-info Übersetzung der Autorin

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