Ein Damoklesschwert über dem Recht auf Bildung für die Kinder des Dorfes Khashem al-Karem in den South Hebron Hills
25.Januar 2023, die Bewohner:innen des Dorfes Khashem al-Karem sind in angespannter Aufregung. Der palästinensische Bildungsminister und zahlreiche Vertreter:innen des diplomatische Korps haben sich zu einer Solidaritätskundgebung für die im Ort neu gebaute Schule eingefunden, unter ihnen auch ein Repräsentant des Deutschen Vertretungsbüros in Ramallah. Ende 2022 hat die Schule eine Abrissverfügung erhalten. Der Vorwurf: Sie wurde ohne Genehmigung der israelischen Behörden errichtet. Als Ökumenische Begleiter:innen des EAPPI Programms sind auch wir zu viert vor Ort, um Solidarität zu zeigen. Eine Jeepbesatzung des israelischen Militärs beobachtet die Szene aus der Ferne.
Bei Khashem al-Karem handelt es sich um ein palästinensisches Dorf von rund 500 Einwohner:innen, die von der Viehhaltung leben. Das Dorf liegt im äußersten Südosten der Westbank. Vor drei Monaten wurde hier mit Unterstützung einer Reihe europäischer Staaten, unter diesen auch die Bundesrepublik Deutschland, eine Grundschule mit angeschlossenem Kindergarten gebaut. Wie auf einem Schild am Gebäude zu lesen ist, möchten die finanzierenden Partner mit diesem Schulbau Palästinenser:innen unterstützen, die von erzwungener Umsiedlung bedroht sind. Doch was genau heißt das?
Die Schule liegt innerhalb der sogenannten C-Gebiete der Westbank, die unter voller israelischer Kontrolle stehen. Für Baumaßnahmen von Palästinenser:innen in diesen C-Gebieten werden so gut wie keine Baugenehmigungen durch die sogenannte Zivilverwaltung des israelischen Militärs erteilt. Zur gleichen Zeit wachsen hier die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen.
Es kommt erschwerend hinzu, dass Khashem al-Karem und somit auch die Schule in einer militärischen Sperrzone liegen. Die israelische NGO Kerem Navot berichtete bereits 2015, dass etwas 1/3 der Westbank bzw. 50% der C-Gebiete Sperrgebiete sind.[1] Das macht Entwicklung für palästinensische Gemeinden in diesen Gegenden so gut wie unmöglich.
46 Kinder besuchen die Schule in Khashem al-Karem. Der Kindergarten umfasst 12 Kinder, in der Schule sind 34 Kinder. Sie kommen aus einem Umkreis von 3 km, einige haben auch einen weiteren Schulweg von bis zu 7 km. Die Palästinensische Autonomiebehörde stellt 6 Lehrer. Die Männer kommen alle aus dem Raum Yatta, der nächsten größeren Stadt. Der Schulleiter ist nach allem, was wir bisher erlebt haben, ein engagierter, den Kindern zugewandter Pädagoge.
Der israelische Oberste Gerichtshof hat Petitionen gegen den Abriss der Schule verworfen und eine Abrissgenehmigung zum 28. Januar 2023 verfügt. Im Falle eines Abrisses müssten die Kinder nach al Kaabneh gehen. Diese Schule liegt 4 km von Khashem al-Karem entfernt. Es gibt, so berichtet uns Nidal Younis, der Vorsitzende des Ortschaftsrats von Masafar Yatta, keinen sicheren Schulweg nach al Kaabneh. Öffentliche Transportverbindungen existieren nicht. In der Folge würden nicht mehr alle Kinder in die Schule gehen.
Der Minister betont an diesem Tag, wie wichtig der Einsatz für das Recht auf Bildung ist, und er würdigt die Bemühungen der Menschen in Khashem al-Karem, sich dieses Recht trotz der vielen Herausforderungen der Besatzungssituation nicht nehmen zu lassen. Er dankt für die internationale Anteilnahme und betont, wie wichtig diese Solidarität ist. Die Diplomat:innen bittet er, sich für die von Zerstörung bedrohten Schulen in der Westbank einzusetzen, damit diese erhalten bleiben können.
Andere bereiten sich in Gedanken schon auf Schlimmeres vor. Im Falle einer Zerstörung der Schule von Khashem al-Karem würde man sich erst einmal mit einer Zeltschule behelfen, sagt Nidal Younis. So haben auch die Menschen im nicht weit entfernten Isfey al Fauqa reagiert, dort war die Schule im November 2022 zerstört worden.[2] Der Vorsitzenden des Ortschaftsrats weiß aber auch, dass dann die Konfiszierung der Zelte droht, auch das mussten die Schüler:innen und Lehrkärfte in Isfey al Fauqa bereits erleben.
12 weitere Schulen in den South Hebron Hills leben unter dem Damoklesschwert von verfügten „Demolition Orders“, berichtet Nidal Younis. Er vermutet, dass die israelische Verwaltung mit diesen Maßnahmen versucht, den Menschen in der Raumschaft das Leben so schwer zu machen, dass sie freiwillig wegziehen. Dann wäre der Weg frei für wachsende Siedlungen und neu entstehende Außenposten.
Als Hoffnungsschimmer bleibt anzumerken: Wir haben inzwischen Mitte März, das Abrissultimatum wurde bisher nicht umgesetzt – sollte die breite internationale Öffentlichkeit doch Wirkung zeigen? Wir Ökumenische Begleiter:innen werden auf jeden Fall auch weiterhin vor Ort sein und den Kindern und Lehrkräften in Khashem al-Karem und anderen Dörfern in den South Hebron Hills bei ihrer Wahrnehmung des Rechts auf Bildung zur Seite stehen.
Rudolf, am März 2023
Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://www.keremnavot.org/a-locked-garden
[2] http://www.eappi-netzwerk.de/keine-hoffnung-auf-einen-sicheren-zugang-zu-bildung/