Unter Christen

Welche Religion hat ein Palästinenser? Vielleicht denkt manch einer: Palästinenser sind Araber, Araber sind Muslime und daraus schließt sich: Palästinenser sind natürlich Muslime.

St. Georg in Taybeh, Foto @EAPPI
St. Georg in Taybeh, Foto @EAPPI

Tatsächlich ist etwa 1-2,5 % der palästinensischen Bevölkerung christlich. Es gibt eine große Zahl unterschiedlicher Denominationen, wobei die griechisch-orthodoxe Kirche die größte Kirche in den palästinensischen Gebieten ist. Das Einsatzgebiet meines Teams umfasst sowohl Nablus, wo die Ruinen des biblischen Orts Sichem gefunden wurden und eine kleine christliche Gemeinde lebt, als auch Ramallah. Hier lebt eine muslimische Mehrheit, doch die Stadt gilt ursprünglich als christlich[1] und hat bis heute eine vergleichsweise große christliche Minderheit. Traditionell begleiten Christ*innen das Amt der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters in Ramallah, wie auch in Bethlehem. Ganz in der Nähe der Stadt liegt Taybeh, das einzige mehrheitlich christliche Dorf in den palästinensischen Gebieten, welches auf den biblischen Ort Ephraim zurückgeht. Bei einem Besuch unseres Teams in Taybeh sagte unsere Führerin stolz, dass die allerersten Christen hier von Jesus selbst bekehrt wurden. Archäologisch nachweisbar lebten hier schon im 5. Jahrhundert Christen.

St. Katharina in Bethlehem, Foto @EAPPI
St. Katharina in Bethlehem, Foto @EAPPI

Ein Teil unserer Aufgaben während des Dienstes war es, Gottesdienste zu besuchen, um Solidarität mit den lokalen christlichen Gemeinden zu zeigen. In meinem Einsatzgebiet liegen fünfzehn Kirchen, zu viele, um sie alle zu besuchen. Da ich selbst katholisch bin und daher den Ablauf der Messe kenne, entschloss ich mich, die lateinischen (römisch-katholischen) Kirchen näher kennen zu lernen. Eine besondere Entdeckung in den Messen war für mich die Musik. Neue Melodien für viele vertraute alte Texte wie das Sanctus, arabische Kirchenmusik aber auch ein Kirchenlied zur Melodie von Freude schöner Götterfunken.

Leider war ich während der ersten zwei Wochen meines Dienstes prompt krank, welche genau die Osterfeiertage waren. Da die orthodoxe und die lateinische Kirche unterschiedliche Termine für das Osterfest haben, wird in Jerusalem zweimal gefeiert. Im Westjordanland haben die Kirchen eine praktischere Regel gefunden. Hier wird Ostern nach orthodoxem Kalender gefeiert und dafür Weihnachten am lateinischen Termin.

EAs begleiten das „Wall Prayer“ an der Mauer in Bethlehem, Foto @EAPPI
EAs begleiten das „Wall Prayer“ an der Mauer in Bethlehem, Foto @EAPPI

Somit besuchte ich meine erste Messe nach den Osterfeiertagen in Bethlehem. Ein EAPPI Team ist hier stationiert, das ich für ein Wochenende besucht habe. Am Freitag waren wir abends direkt an der Mauer neben dem Checkpoint 300 und nahmen am „Wall Prayer“ teil. Ein gemeinsames Rosenkranzgebet, das in verschiedenen Sprachen gebetet wird, während man langsam den Weg entlang der Mauer abläuft. Es endet mit einem Gebet für Frieden, in dem die Hoffnung zum Ausdruck kommt, dass die Mauer eines Tages fallen wird.

Dieses „Wall Prayer“ findet seit dem Bau der Grenzanlagen 2004 jeden Freitag statt und ist offen für jeden, der kommen will. Während meines Besuchs war die Gruppe recht klein und ich musste schnell feststellen, dass es sehr hilfreich ist, den Rosenkranz bereits zu kennen und mindestens Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch oder Arabisch zu sprechen. Die Schwestern, die das „Wall Prayer“ jede Woche gemeinsam beten, sind sehr geübt und schnell. Mitbeten wird so zu einer kleinen sprachlichen Herausforderung. Am Sonntag in der Messe stellte ich erleichtert fest, dass ich ihr folgen konnte, ohne Arabisch sprechen zu können. Katholische Messen haben weltweit den gleichen Ablauf und benutzen die gleichen universalen Begriffe wie Halleluja oder Kyrie Eleison, sodass es möglich ist, die Messe zu verfolgen, ohne die eigentliche Sprache zu verstehen.

Die lateinische Kirchgemeinde in Nablus ist klein, gerade einmal einhundert Personen passen bequem in die Kirche. Sie ist jedoch jeden Sonntag gut besucht. Eine Bekanntschaft, die ich hier machen durfte, war Mona. Sie organisiert in lateinischen palästinensischen Gemeinden Lehrgänge des Neokatechumenalen Wegs[2] mit. Viele Christen sind in den vergangenen Jahrzehnten aus Palästina ausgewandert, ihre Zahl schrumpft auch heute weiter und viele verlieren Mona zufolge auch ihren Glauben und ihre Spiritualität im Alltag der Besatzung. Sie hofft, mit ihren Programmen nicht nur Menschen einen neuen Zugang zum Glauben zu geben, sondern sie so auch enger an ihre lokalen Gemeinden zu binden, um sie zum Bleiben zu motivieren.

Gesangbuch in der Kirche der Heiligen Familie Ramallah, Foto @EAPPI
Gesangbuch in der Kirche der Heiligen Familie Ramallah, Foto @EAPPI

Die lateinische Kirche in Ramallah ist vergleichsweise groß, sie betreibt eine Schule und mehrere Pfadfinder- und Jugendgruppen. Beim Besuch des Gottesdienstes fällt auf, wie kinderreich die Gemeinde ist. An jedem Sonntag fand mindestens eine Taufe statt. Wie in jeder lateinischen Kirche, die ich besucht habe, arbeiten Rosenkranzschwestern aktiv am Gemeindeleben mit. Die Gemeinschaft der dominikanischen Schwestern des heiligen Rosenkranz zu Jerusalem ist die einzige palästinensische Kongregation. Im Westjordanland einschließlich Jerusalem betreiben sie mehrere Schulen und kümmern sich darüber hinaus um die lokalen Kirchen. In einigen Kirchen leiten die Schwestern ein Rosenkranzgebet vor der Messe an, in anderen organisieren sie den Chor, die Liederzettel am Eingang oder bereiten den Kaffeeempfang vor.

Nach jedem Gottesdienst wird arabischer Kaffee in kleinen Papierbechern angeboten, manchmal auch Gebäck. Vor allem während des Ramadans fühlte es sich als Privileg an, tagsüber mit Menschen bei einem Tässchen Kaffee ins Gespräch kommen zu können.

Ich habe es nicht jeden Sonntag in die Kirche geschafft und doch war jeder Besuch etwas Besonderes und erlaubte mir noch einmal einen ganz anderen Einblick in die Gesellschaft.

 

Pia, im Juni 2019

 

Ich nehme für pax christi Deutschland am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ramallah

[2] Der Neokatechumenale Weg ist ein anerkannter Bildungsweg der katholischen Kirche, der zum Ziel hat, bereits getauften Christen einen neuen Zugang zum persönlichen Glauben zu eröffnen.

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