Laufen für Veränderung

Right to movement – unter diesem Titel hat sich im Jahr 2013 auf Initiative von jungen Palästinenser:innen und Dän:innen in Bethlehem eine Graswurzelbewegung gegründet, die es inzwischen an verschiedenen Orten im Westjordanland mit einem umfangreichen sportlichen Angebot gibt. Zugleich organisierte die Gruppe im selben Jahr auch den ersten Palästina-Marathon mit ca. 650 Teilnehmenden, der in den Folgejahren auf über 10.000 Teilnehmende anwuchs und mittlerweile von einem Gremium der palästinensischen Autonomiebehörde – dem Palestinian Higher Council for Youth and Sports – durchgeführt wird. In diesem Jahr fand die Veranstaltung am 10. März statt.

Teilnehmende des Marathons laufen entlang der israelischen Trennmauer, die sich im Norden Bethlehems durch die Stadt schlängelt; © WCC-EAPPI/Nadine

Die Wahl des Namens deutet schon auf das Anliegen hin. Das Recht darauf, sich frei bewegen zu können (im Deutschen etwas umständlich „Freizügigkeit“ genannt), wird sowohl im humanitären Völkerecht als auch in den Menschenrechten garantiert. In Fällen einer Besatzung wie in den palästinensischen Gebieten hat die Besatzungsmacht die Pflicht, den Menschen in den besetzten Gebieten diese Freiheit zu ermöglichen. Einschränkungen sind nach internationalem Recht u.a. aus Gründen der Sicherheit möglich, müssen aber unbedingt nötig und angemessen sein und dürfen niemanden diskriminieren.

Das Recht, sich frei bewegen zu können, hat auch einen direkten Zusammenhang zu anderen Grundrechten, nämlich z.B. dem Recht auf Arbeit, Gesundheit und Bildung. Die Oslo-Abkommen Mitte der 1990er Jahre sicherten der palästinensischen Bevölkerung noch einmal ausdrücklich zu, dass die Bewegungsfreiheit von Personen und Fahrzeugen im Westjordanland gegeben sein muss und nicht durch Checkpoints oder Straßensperren eingeschränkt werden soll.[1]

Die Wirklichkeit sieht allerdings fast 30 Jahre nach den Oslo-Abkommen anders aus. Ein Beispiel: Obwohl Ramallah von Bethlehem nur 20km Luftlinie entfernt liegt, braucht man mit palästinensischem Autokennzeichen bis zu vier Fahrstunden aufgrund von nicht zugänglichen Straßen und Checkpoints. Selbst Krankenwagen müssen zuweilen an Checkpoints warten. Schüler:innen müssen auf dem Weg zu ihrer Schule Sicherheitsschleusen durchqueren und haben Wartezeiten oder werden durchsucht.

Lange Wartezeiten morgens am Checkpoint 300; © WCC-EAPPI/Simon

Am bekannten Checkpoint 300 in Bethlehem kommt es nicht selten vor, dass in Israel Arbeitende bis zu zwei Stunden warten müssen oder erfolglos wieder nach Hause umkehren. Familien, die Angehörige im 7km entfernten Jerusalem oder im Gazastreifen haben, können diese gar nicht oder nur sehr selten besuchen. Das Wachstum der israelischen Siedlungen, die das internationale Recht als völkerrechtswidrig beurteilt, lässt das Westjordanland immer mehr zu einem Flickenteppich mit immer weniger Bewegungsmöglichkeiten werden.

Tausende Menschen haben sich im Start-Ziel-Bereich des Bethlehem-Marathons vor der Geburtskirche eingefunden; © WCC-EAPPI/Simon

„Right to Movement“ möchte auf diese Umstände hinweisen. Schon die Streckenführung des Palästina-Marathons tut dies. Weil es kaum möglich ist, eine 42km lange Strecke zu finden, die ausschließlich durch Gebiete unter palästinensischer Verwaltung führt, wird die Runde zweifach gelaufen. Ein Teil davon führt an der Mauer entlang, die durch Bethlehem verläuft.

Die Absperrungen, die am Tag des Marathons von den Veranstaltern aufgestellt worden sind, stören nur wenige. An der Strecke gibt es Bühnen mit Musik, Essen und Trinken und an Start und Ziel auf dem Platz an der Geburtskirche tummeln sich schon am frühen Vormittag tausende Menschen, die Stimmung ist ausgelassen. Es ist ein ungewohntes Bild auf der Straße, auf der man sonst nur ausgesprochen selten jemanden joggen sieht. An diesem Tag sind bei strahlendem Sonnenschein Tausende miteinander unterwegs – sportlich ambitioniert auf Strecken zwischen 5km und der Marathon-Distanz, oder einfach spazierend.

Ökumenische Begleiter:innen beim Bethlehem-Marathon; © WCC-EAPPI/Nadine

Auch wir Teilnehmende des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel sind am Start – unterschiedlich gut vorbereitet auf diese sportliche Herausforderung, aber mit viel Freude und Überzeugung für die Sache. Viele Mitlaufende oder am Rand Zuschauende erkennen die Westen des Programms und jubeln uns zu. Und am Ende gibt es sogar etwas zu feiern, denn ein Teammitglied schafft es tatsächlich, den Halbmarathon für sich zu entscheiden.

Wie schön wäre es, wenn die Freude an der Bewegung, die am heutigen Tag von so vielen geteilt wurde, eines Tages wieder zur Selbstverständlichkeit wird, und alle Menschen dieses Landes ihr Recht auf uneingeschränkte Bewegungsfreiheit erfüllt sehen.

Simon, im März 2023

Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] Vergleich https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/Countries/PS/SG_Report_FoM_Feb2016.pdf

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