Gemeinsames Gedenken: Die israelisch-palästinensische Joint Memorial Day Zeremonie

Am Mittwoch, dem 04.Mai, wird in diesem Jahr in Israel der Yom HaZikaron begangen, der Tag der Erinnerung für Israels gefallene Soldaten und für Opfer von Terrorismus. Ein Tag, der tief eingewoben ist in die Erinnerungskultur der jüdischen Menschen in Israel. Am Vorabend um 20 Uhr klingen durchdringende Sirenen in ganz Israel. Eine Minute Gedenken an verlorene Angehörige.

Die Einladung zur israelisch-palästinensischen Gedenkzeremonie wurde weltweit geteilt; © CfP

Zur gleichen Zeit findet in Beit Jala und in Tel Aviv zum bereits 17. Mal die Joint Memorial Day Ceremony statt. Die Aufzeichnung wurde inzwischen hier veröffentlicht [1]. Palästinenser:innen und Israelis begehen diesen Abend gemeinsam, sie erinnern an ihre geliebten Toten auf beiden Seiten und wollen so Samen der Hoffnung und des Friedens säen. Die Idee zu dieser gemeinsamen Zeremonie stammt ursprünglich von Boma Inbar, dessen Sohn 1995 als Soldat im Libanon gefallen ist, und anderen Friedensaktivist:innen. Heute wird die Veranstaltung von Combatants for Peace[2] und  Parents Circle Families Forum[3] durchgeführt.

Die gemeinsame Erinnerungsfeier ist umstritten sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite. Beide Seiten sagen, Mörder und Opfer würden gleichgestellt- allerdings sind sie sich nicht einig, wer was ist (eigene Übersetzung), so steht es im Liveblog der Nachrichtenseite Times of Israel.[4] Trotzdem ist die Zahl der Teilnehmenden seit der ersten Zeremonie im Jahr 2006 immer weiter gestiegen. Heute gehen die Zahlen in die Tausende, trauernde israelische und palästinensische Familienmitglieder. Die Entscheidung, die Feier direkt am israelischen Memorial Day abzuhalten, ist den Veranstaltenden sehr wichtig. So richtet sich die Botschaft an beide Seiten: Den gemeinsamen Schmerz und die gemeinsame Hoffnung erkennen und zu versuchen, die Generation der potentiell nächsten Opfer vor diesem Schicksal zu bewahren.[5]

Dieses Jahr findet die Zeremonie gleichzeitig an zwei Veranstaltungsorten statt: In einem Theater mit 1000 Plätzen in Tel Aviv und in einem kleinen Haus in Beit Jala nahe Bethlehem. Dort finden in drei leergeräumten Zimmern ca. 60-80 Teilnehmende Platz – und viel Technik. Medienvertreter:innen sind ebenfalls anwesend, z.B. vom ARD Studio Tel Aviv, auf deren Instagramkanal später auch berichtet wird.[6] Die Zeremonie wird online weltweit übertragen. Wir EAs sind auch eingeladen. Die Teams aus Bethlehem und Jerusalem sind dabei. Zusammen stehen wir dicht gedrängt im kleinen Vorraum. Ein Sprachengewirr – Arabisch, Hebräisch und Englisch. Es sind viele Palästinenser:innen, Israelis und Internationals beisammen. Wir sind gespannt und sehr dankbar, an dieser besonderen Feier teilnehmen zu können.

Im Trubel der Veranstaltung in Beit Jala steht ein Vertreter der Combatants for Peace mit dem T-Shirt der Organisation. Darauf ist zu lesen; There is another way; © WCC-EAPPI

Endlich – Punkt 20.30 beginnt die Übertragung. Auf unserem Bildschirm erscheint Tel Aviv. Wir sehen die vielen Teilnehmenden in dem Theater dort. Diese sehen uns in Beit Jala. Die Übertragung wechselt zwischen den Veranstaltungsorten.

Im Wechsel sprechen auch israelische und palästinensische Betroffene von ihren geliebten Töchtern, Söhnen, Vätern, Müttern und weiteren Angehörigen, die ihr Leben verloren haben in Kriegen, Anschlägen, gewalttätigen Übergriffen und Auseinandersetzungen und unter Besatzung.

Der israelische Friedensaktivist Boma Inbar spricht als erster: „Mein Sohn starb drei Tage vor meinem Geburtstag, den ich seitdem nicht mehr feiere“. Er endet mit dem Bekenntnis: „Nur das Ende der Besatzung kann Frieden bringen. Es kann hier Zukunft für alle geben“.

Nashreen Abu-al-Jadin, Mutter dreier Kinder, die einen Sohn, ihren Ehemann und ihre Schwiegermutter bei einem israelischen Bombenangriff in Gaza während des Kriegs 2012 verloren hat, endet mit dem Wunsch: „Die Geschichte, dass Hoffnung möglich ist, soll über die ganze Welt verbreitet werden.“

Mashka Litvak, die in einem Kibbuz als Kriegswaise aufwuchs, erzählt, dass sie auf den Friedhof gehen musste, um mit ihrem Vater sprechen zu können. Sie sagt: „Für mich ist klar, dass es keinem Unterschied gibt zwischen dem Schmerz einer palästinensischen Mutter und dem Schmerz einer israelischen Mutter.“

Weitere beschwörende Sätze sind mir in Erinnerung:

“Don’t say the day will come. Make the day come.”

“Peace is a brutal need. Peace is possible. But we have to work on it.”

Huda Abuarquob, Regionaldirektorin der Alliance for Middle East Peace, hält eine flammende Rede auf Arabisch. „So rise up peacebuilders!”

Zum Abschluss der Zeremonie singt der Rana-Chor, ein arabisch-jüdischer Frauenchor. Sie singen auf Hebräisch und Arabisch. Wir lesen in den Untertiteln die Frage: How long will the circle of violence go on?

Nachdenklich machen wir EAs uns nach der Veranstaltung auf den Heimweg. Wir hören, dass online 200.000 Menschen weltweit an diesem Joint Memorial teilgenommen haben. Das sind viele, aber ob das reicht? Wie viele werden aktiv werden, sich für ein Ende von Gewalt, von Feindschaft und von Besatzung aussprechen? Es bleibt zu hoffen, dass es viele sein werden.

Mir klingen die Geschichten der Erzählenden bis jetzt nach. Ich bewundere die Stärke, im gemeinsamen Schmerz die Samen der Hoffnung und des Friedens zu suchen.

Elisabeth, Mai 2022

Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von/des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://www.youtube.com/watch?v=cTs9ttfPVO0

[2] https://cfpeace.org/

[3] https://www.theparentscircle.org/en/pcff-home-page-en/

[4] https://www.timesofisrael.com/liveblog-may-3-2022/  The event is controversial among  both Israelis and Palestinians, who say it equates murderers with their victims — although they disagree on which is which

[5] https://www.theparentscircle.org/en/pcff-activities_eng/memorial-ceremo

[6] https://www.instagram.com/p/CdGutkyrjAG/?utm_source=ig_web_copy_link

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