Erste Eindrücke

Seit unserer Ankunft in Jerusalem sind nun vier Wochen vergangen. Obwohl wir noch täglich mit Willkommensgrüßen wie „Ahlan“ und „Welcome to Palestine“ begrüßt werden, so setzt doch langsam ein Alltagsgefühl ein. Der Hummushändler unseres Vertrauens, das freundliche „Good Morning“ des Ladenbesitzers am Damaskustor während unseres morgendlichen School Runs, die Straßen unseres Viertels, die gülden glänzende Kuppel des Felsendoms, der Geschmack des arabischen Kaffees – all diese alltäglichen Gewohnheiten geben mir ein Gefühl der Sicherheit und des Angekommenseins.

Blick auf den Stadtteil Al’Eizariya nahe Jerusalem: Das Jerusalem Team ist nun seit drei Wochen in und um Jerusalem herum im Einsatz. © WCC-EAPPI

Doch leider beobachte ich hier vor Ort täglich Situationen, an die ich mich nicht gewöhnen möchte und die in mir eher ein Gefühl des Unbehagens auslösen:

Maschinengewehre und Messer

In den vergangenen vier Wochen ist kaum ein Tag vergangen, an dem ich kein Maschinengewehr gesehen habe. An Checkpoints und Eingängen von religiösen Stätten hatte ich damit gerechnet, jedoch nicht an den Toren zur Altstadt, im öffentlichen Nahverkehr oder in Einkaufsstraßen.

Erschreckt hat mich der Anblick eines israelischen Paares bei dem Besuch der archäologischen Stätte Masada, sie hochschwanger, er lässig eine Pistole an seinem Gürtel zur Schau tragend. Israelischen Zivilisten, die ihre Infanterieausbildung absolviert haben, ist es gesetzlich erlaubt, einen Waffenschein zu beantragen und auch im Alltag Waffen zu tragen (1).

Nachdenklich gestimmt hat mich in Hebron die Aussage eines jungen palästinensischen Aktivisten, der sich gemeinsam mit der Organisation Youth Against Settlements für einen gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung einsetzt: Den Kauf eines Küchenmessers meldet er im Voraus bei der lokalen Behörde an, um eine mögliche Festnahme durch Soldaten am Checkpoint auf Grund von „Waffenbesitz“ zu vermeiden.

Mauern und Zäune

Mauerabschnitt in Abu Dis: 500m hinter dieser Mauer liegt unser Ziel. © WCC-EAPPI

Um an Bargeld zu kommen, suchten wir an einem unser ersten Tage die für diesen Zweck nächstgelegene Bank. Laut Google Maps sollte es eine von unserer Wohnung fußläufig erreichbare Filiale der Bank of Palestine geben. Also machen wir uns auf den Weg, lernten das ein oder andere neue Viertel kennen und folgten der von Google vorgeschlagenen Route. Etwa 500 Meter vor unserem Ziel ging es jedoch nicht weiter: Wir standen plötzlich vor der Mauer. Ziemlich hoch und ziemlich grau. Die Länge der Mauer in und um Jerusalem herum beträgt insgesamt 202 km, eine Kombination aus einer sieben bis acht Meter hohen Betonmauer und elektronisch gesicherten Zäunen (2). Keine Chance also, auf die andere Seite zu kommen, ohne

(1) einen Bus zurück zum Busbahnhof zu nehmen,
(2) dort in einen zweiten Bus umzusteigen,
(3) einen Checkpoint zu überqueren und
(4) je nach Verkehrslage nach ein bis zwei Stunden auf der anderen Seite, 500 Meter von unserem jetzigen Standort entfernt, Geld abzuheben.

Kartenausschnitt des Stadtteils Abu Dis. X= Unser Standort. Es ist kein Hinweis auf die Trennungsbarriere zu erkennen. Wie entsprechende Entscheidungen zur Abbildung von Barrieren bei Google getroffen werden, ist für mich noch eine ungeklärte Frage. © Google Maps

Für das palästinensische Ehepaar, mit dem wir kurz ins Gespräch kamen, ist dies trauriger Alltag: Um den Rest ihrer Familie zu besuchen, die früher innerhalb von zehn Minuten zu erreichen war, ist dieser Umweg inzwischen Routine.

Meine Gedanken zu Mauern und Elektrozäunen teilte auch ein EU-Repräsentant bei seinem Vortrag vergangene Woche in Jerusalem: „Je länger die Mauer steht, desto größer wird auch die Mauer in den Köpfen der Menschen auf beiden Seiten“.

(Haus-)Zerstörungen

Dass in der West Bank und Ost-Jerusalem regelmäßig Zerstörungen von Wohnhäusern und Infrastruktur vorkommen, war mir vor meiner Ausreise durchaus bewusst. Nicht jedoch in dieser Häufigkeit und Intensität. In den vergangenen drei Wochen hat unser Team vier solcher Zerstörungen beobachtet und dokumentiert. Dabei handelte es sich um ein Café sowie drei Wohnhäuser.

EAs beobachten eine Hauszerstörung in Sur Baher, im Süden Jerusalems, in dem die Familien von Malik und seiner Schwester mit insgesamt acht Kindern lebten. Da die Kosten für eine Hauszerstörung durch die Israelischen Sicherheitskräften sehr hoch sind, hat die Familie das Haus mit Unterstützung von Bekannten selbst zerstört. @WCC-EAPPI

Laut UNOCHA wurden in 2021 allein in Ost-Jerusalem 177 Einrichtungen zerstört, darunter 53 Wohnhäuser, womit 345 Personen ihr Zuhause verloren, darunter 176 Kinder (3).

Abgerissenes Klettergerüst im Beduinendorf Khan Al Ahmar. © WCC-EAPPI

Sprachlos stimmte mich die Erzählung von Abu Khamis aus dem Beduinendorf Khan Al Ahmar: Da für das neue Klettergerüst mit einer Größe von etwa acht Quadratmetern keine Baugenehmigung vorlag, wurde es kurz nach seiner Errichtung von den israelischen Behörden abgerissen.

 

Positive Eindrücke zum Schluss: Palästinensische Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Resilienz

Trotz dieser schwerverdaulichen Eindrücke in Jerusalem kann ich durchaus Positives berichten: „Ahlan – Willkommen“, viel Tee und Kaffee, Frühstück und Gebäck, das uns in den vergangenen Wochen immer wieder angeboten wurde, sind nur einige Beispiele für die unglaubliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Palästinenser:innen. Sogar beim Warten in der Bank, die wir nach einigen Umwegen erreichen konnten, wurde uns ein Arabic Coffee in die Hand gedrückt.

„That’s my story. Life must go on. Hope is important.“,– in diesen häufig, in verschiedenen Kontexten gehörten Sätzen zeigt sich für mich die Resilienz und hoffnungsvolle Einstellung, trotz der oft schwierigen Lebenslage unter der Besatzung weiterzumachen und können mich nur beeindrucken.

Einen Funken Hoffnung gibt mir das unerschöpfliche Engagement von palästinensischen und israelischen Aktivist:innen und Nichtregierungsorganisationen vor Ort. Beeindruckt haben mich unter anderem meine Begegnungen mit Vertreter:innen der palästinensischen Organisation Jerusalem Legal Aid and Human Rights Center, die Palästinenser:innen kostenlose Rechtshilfe bei Menschenrechtsverletzungen bietet und Advocacyarbeit leistet; die israelischen Nichtregierungsorganisation Breaking the Silence, in der ehemalige IDF-Soldaten die Öffentlichkeit über die Ralität ihrer Einsätze in den besetzten Gebieten informieren; der Graswurzelorganisation Ta’ayush, bei deren gewaltfreien Aktionen, wie dem Pflanzen von Olivenbäumen oder der Begleitung von Hirten, sich Israelis und Palästinenser:innen gemeinsam für eine gerechte, friedvolle Zukunft und das Ende der Besatzung einsetzen; sowie Free Jerusalem. Hier haben es sich israelische Aktivist:innen zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit über die Folgen der Besatzung, vor allem in Ost-Jerusalem, aufmerksam zu machen.

Elisabeth, Februar 2022

Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

(1) Rosa-Luxemburg-Stiftung (2019): Schusswaffen in Israel. Realität, Politik und feministische Kritik. Zugriff 14.02.2022: https://www.rosalux.org.il/schusswaffen-israel-feministische-kritik/

(2) Btselem (2017): The Separation Barrier. Zugriff 14.02.2022: https://www.btselem.org/separation_barrier

(3) UN OCHA (2022): Data on demolition and displacement in the West Bank. Zugriff 14.02.2022: https://www.ochaopt.org/data/demolition

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