Die nächste Runde im Kampf ums Land

Nach internationalem Recht sind alle israelischen Siedlungen und Siedlungsaußenposten in den besetzten palästinensischen Gebieten illegal. Wie eine neue Siedlung dennoch entsteht und heranwächst – das ist derzeit östlich von Jerusalem zu erleben, wo auf der kahlen Kuppe des Jabal al-Muntar eine „Landwirtschaftliche Farm“ als neue Form der Außenposten entsteht. Die palästinensischen Besitzer des Landes kämpfen dagegen mit juristischen Schritten und politischem Protest.

Spannungsgeladen: Vorn das Protestzelt der Palästinenser aus Sawahre Al-Sharqiya, hinten der neue Outpost, der Grundstein einer künftigen israelischen Siedlung im besetzten Westjordanland. Foto © EAPPI
Spannungsgeladen: Vorn das Protestzelt der Palästinenser aus Sawahre Al-Sharqiya, hinten der neue Outpost, der Grundstein einer künftigen israelischen Siedlung im besetzten Westjordanland. Foto © EAPPI

Weiß, blau und groß ist die Fahne, die da über der kargen Berglandschaft  im Osten von Jerusalem weht. So groß, dass sie, die israelische Flagge, auch aus einigen Dutzend Metern Entfernung noch gut zu erkennen ist, wo an einem zweiten Flaggenmast die palästinensische Fahne weht.

Ein Flaggenappell wie ein Showdown – dabei können hier draußen, in Jabal al-Muntar, bloß wenige Notiz davon nehmen. Denn auf der einen Seite dieser Flaggenachse sind nur Hütten und Ställe von Beduinen, auf der anderen Seite breiten sich die um diese Jahreszeit leeren Felder der palästinensischen Bauern aus. Und doch herrscht knisternde Spannung zwischen den beiden symbolträchtigen Bannern. Neben der israelischen Flagge sind ein Caravan, einige Zelte und etliche Autos zu sehen, neben der Flagge der Palästinenser steht nur ein Zelt.

Die israelische Fahne weht hier seit der zweiten Septemberwoche, die palästinensische wurde wenige Tage später aus Protest errichtet. Denn genau so starten oft neue Siedlungen: mit Außenposten, die erst einmal nur aus ein paar Leuten, Zelten, Wohnwagen bestehen – und die auf palästinensischen Territorium, ohne offizielle Genehmigung der israelischen Behörden, auch nach offiziellem israelischen Rechtverständnis theoretisch erst einmal illegal sind. Seit 2017 jedoch gibt es mit dem „Regulation Law“ eine gesetzliche Handhabe, mit deren Hilfe illegale israelische Außenposten auf palästinensischem Grund rückwirkend legalisiert werden können.

© Peace Now. Die Lage des neu errichteten Außenpostens östlich von Jerusalem
© Peace Now. Die Lage des neu errichteten Außenpostens östlich von Jerusalem

Ganz neu ist der Versuch einer Landnahme gerade dieses Territoriums nicht. Die israelische Friedensorganisation Peace Now weist darauf hin, dass israelische Unternehmer bereits früher versucht haben, das Land als Investition für die Errichtung einer zukünftigen Siedlung zu vermarkten. Im Jahr 2016 habe das Unternehmen United Jerusalem Foundation dafür unter dem Namen „Givat Adumim“ geworben.[1]

„Es ist bestimmt kein Zufall, dass dieser Außenposten zwei Tage nach der Ankündigung von Premier Benjamin Netanjahu errichtet wurde, das Jordantal zu annektieren“, sagt Yunis Ali Jaffar, der frühere  Bürgermeister des palästinensischen Dorfes Sawahre Al-Sharqiya, zu dem auch Jabal al-Muntar gehört.  „Aber wir lassen es nicht zu, dass die Israelis ihre Hand auf unser Land legen. Wir haben unser Protestzelt gegen den drohenden Landraub errichtet – als ein Zelt des Rechts, der Würde und des Stolzes darauf, hier zu sein als die wahren Eigentümer dieses Landes.“

Die Worte des Honoratioren klingen machtvoller als der alte Herr tatsächlich ist. Nach der Errichtung des Protestzelts halten mehr als hundert Palästinenser hier noch ein Freitagsgebet ab, doch schon am Sonntag darauf wird das Protestzelt von israelischen Soldaten zerstört. Dabei sind, so erzählen die Palästinenser, auch Soundbomben und Tränengasgranaten eingesetzt worden. Der Schließungsbefehl, den die Soldaten präsentiert haben, bezog sich nach Darstellung von Peace Now auch auf den Siedleraußenposten: „Aber tatsächlich hat Israels Armee nur das Protestzelt beseitigt und den illegalen Außenposten nicht angerührt – außerdem hat sie die Zugangswege zu dem Gebiet blockiert.“

Unversehrt, anders als das palästinensische Protestzelt - der Außenposten der Siedler. Foto © EAPPI
Unversehrt, anders als das palästinensische Protestzelt – der Außenposten der Siedler. Foto © EAPPI

Die Ökumenischen Begleiter*innen des Weltkirchenrats, die einige Tage später als erste Vertreter einer internationalen Organisation dort eintreffen, müssen daher zwar in Geländewagen umsteigen. Doch das Protestzelt der Palästinenser steht zu diesem Zeitpunkt schon wieder.

Die Siedler erklären laut Peace Now, dass sie das Land von Palästinensern gekauft und bislang an diese verpachtet haben, nun aber dort eine „Agricultural Farm“ planen. Die Palästinenser erklären dagegen, sie verfügen über jahrhundertealte Grundbuchakten, die sie als Eigentümer ausweisen.

„Meine Familie hat das Land vor 300 Jahren gekauft“: Yunis Sheqier im Protestzelt auf dem Jabal al Muntar. Foto © EAPPI
„Meine Familie hat das Land vor 300 Jahren gekauft“: Yunis Sheqier im Protestzelt auf dem Jabal al Muntar. Foto © EAPPI

„Dieses Territorium ist 75.000 Dunam groß und Eigentum von zwölf Familien“, sagt Yunis Sheqier, Ingenieur und einer der Besitzer. „Es reicht vom Toten Meer bis nach Talpiot. Schon 2005 durften wir keinen Brunnen bohren, den wir brauchen, um unsere Herden und unseren Ackerbau zu gewährleisten. Meine Familie hat das Land vor 300 Jahren gekauft, was Dokumente aus dieser Zeit beweisen.“ Er habe bereits Beschwerde bei der nächsten Polizeistation eingereicht, und man bereite gegen die Landnahme nun mit anwaltlicher Hilfe eine Klage vor, die fristgerecht innerhalb eines Monats beim Central Court in Jerusalem eingereicht werden soll.

Einstweilen freilich stehen die Palästinenser gegen die Siedler recht allein da. Wenige Tage nach dem Besuch der Ökumenischen Begleiter*innen wurde das zweite Protestzelt von Soldaten beseitigt und das Territorium zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden. Inzwischen ist das Zelt abermals errichtet worden, diesmal etwas weiter entfernt von dem Außenposten.

 „Agricultural Farms“ als Outposts – der Anfang neuer Siedlungen

Quelle: https://peacenow.org.il/en/return-of-the-outpost-method

Still und leise werden Fakten vor Ort geschaffen, die der Ausweitung israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland dienen, ohne dass offizielle Entscheidungen getroffen werden, die gegen das Gesetz verstoßen. So beschreibt Peace Now den Trend zu „Agricultural Farms“ als ersten Schritt zu neuen Siedlungen. Siedlungsorganisationen errichten danach mit direkter Unterstützung der Behörden und oft öffentlicher Finanzierung diese Außenposten. Israels Regierung fördere einen solchen Aufbau, indem sie Unterstützung zusage und darauf abziele, diese Außenposten zu legalisieren. Im einzelnen erklärt Peace Now:

  • Seit 2012 wurden 32 neue Außenposten errichtet, die meisten davon nach der Wahl von Präsident Trump. Fast alle neuen Außenposten befinden sich tief im Westjordanland in Gebieten, die Israel im Falle einer Zwei-Staaten-Lösung evakuieren müsste.
  • 21 der Außenposten sind landwirtschaftliche Betriebe, die große Weideflächen und Anbauflächen übernehmen, während ihre Siedler darauf abzielen, palästinensische Hirten und Bauern zu vertreiben.
  • An einigen der neuen Außenposten nehmen Gewalt und Angriffe gegen Palästinenser zu.
  • Die Außenposten werden in organisierter Weise unter Einbeziehung der örtlichen Siedlungsbehörden und der Siedlungsabteilung errichtet.
  • Gleichzeitig arbeitet die Regierung daran, bestehende Außenposten rückwirkend zu legalisieren. Bisher wurden 15 Außenposten als eigenständige Siedlungen oder „Nachbarschaften“ in bestehenden Siedlungen legalisiert. Mindestens 35 weitere Außenposten befinden sich im Legalisierungsprozess.
Karte neuer Außenposten © Peace Now
Karte neuer Außenposten © Peace Now

 

Daniel, Oktober 2019

Ich nehme für pax christi- Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi – Deutsche Sektion oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

 

[1] https://peacenow.org.il/en/new-outpost-keidar-east

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