“Wenigstens ist es jetzt vorbei“ – so reagiert Abu Omar* auf die Zerstörung des Hauses seiner Tochter. „Irgendwo ist das eine Erleichterung“, sagt er, „jetzt fragen wir uns wenigstens nicht mehr jeden Tag, ob es heute soweit ist, leben nicht mehr in ständiger Unsicherheit.“

Abu Omar erzählt uns vom Ablauf der Zerstörung. Am frühen Morgen klopfte die israelische Armee an der Tür. Die Kinder schliefen noch. Bitten, der Mutter Zeit zu geben, um sich zu verschleiern, wurden ignoriert. Der Familienvater sei von Soldaten zu Boden geschupst worden, stieß sich an der Couch. Dann fingen israelische Arbeiter an, Möbel aus dem Haus zu tragen. Hinterher habe die Familie festgestellt, dass Gold und der Schmuck der Mutter nicht mehr auffindbar waren, so Abu Omar.
15 Minuten später fingen die Bulldozer an, das Haus einzureißen, eine halbe Stunde und es stand nicht mehr. Acht Jahre haben sie hier gewohnt, zwei Kinder lebten hier. Es gab eine Terrasse mit Brunnen, viele Pflanzen – ein gemütliches Zuhause für eine kleine Familie. Davon ist jetzt nichts mehr übrig. Die Familie klettert durch das Geröll, sucht nach Gegenständen, die noch verwendbar sind. Gleichzeitig werden Möbel und Taschen auf einen Transporter geladen, um sie andernorts unterzustellen. Effizienz als Copingstrategie. Uns wird Kaffee aus einer Thermoskanne gereicht, dazu Falafel und Brot, irgendwoher kommt noch eine Glasschale mit Süßigkeiten – palästinensische Gastfreundschaft inmitten der zerstörten Existenz. Abu Omar deutet auf einen Haufen Restmüllsäcke auf der Terrasse, mindestens 20 Säcke müssen das sein. „Die haben sie hier abgeladen, bevor sie das Haus abgerissen haben“ erzählt er uns. Eine zusätzliche Demütigung in einer ohnehin vulnerablen Situation.

Das wir so kurz nach der Zerstörung vor Ort sind und die Familie noch antreffen, ist eher Zufall. Eigentlich waren wir heute morgen auf dem Weg nach Al Jiftlik, doch dann kam der Anruf von einem Kontakt: Bulldozer und Armee in Ein ad Duyuk at Tahta, einem Dorf an Jerichos westlichem Stadtrand. Wir drehen um und fahren zu Ahmad*. Vor zwei Wochen hatte er eine Abrissverfügung für die Grundstücksmauer sowie für einen dem Wohngebäude einige Meter vorgelagerten Schuppen erhalten. In diesem hatte Ahmad geschlafen, um schnellstmöglich reagieren zu können, wenn nachts Siedler oder Soldat:innen das Grundstück betraten. Gegen die Abrissverfügung hatte er Einspruch vor Gericht eingelegt, der Fall war noch nicht entschieden. Trotzdem liegt vor ihm jetzt nur noch Schutt. „Uns wurde nicht erlaubt mit den Soldaten und Arbeitern zu sprechen, wir hatten keine Chance“, bedauert Ahmad. „Als ich es trotzdem versucht habe, hat ein Soldat sein Maschinengewehr auf meine Brust gelegt. Ich habe ihm gesagt ‘Bitte dann bring mich jetzt um, ist mir egal, aber ich werde nicht wegschauen, während ihr meinen Besitz zerstört‘.“
Es sei mittlerweile nahezu unmöglich, Abrissverfügungen gerichtlich anzufechten, berichtet uns Samer* von der palästinensischen NGO Jerusalem Legal Aid and Human Rights Centre (JLAC). Die Organisation betreut derzeit rund 1800 Fälle von Abrissverfügungen. Früher konnten diese noch vor dem Obersten Gerichtshof Israels in erster Instanz[1] angefochten werden, doch eine Gesetzesänderung habe dazu geführt, dass Einsprüche gegen Abrissverfügungen nun zunächst ausschließlich vor Bezirksgerichten möglich sind. Diese, so Samer weiter, behandelten die Fälle rein bürokratisch und ohne Berücksichtigung der Dimensionen des Völkerrechts und der Menschenrechte. Dazu komme die massive finanzielle Belastung, die der Rechtsweg mit sich bringt: 15.000 NIS (knapp 4.000 Euro) müssen als Garantie gezahlt werden, damit sich ein Gericht überhaupt erst mit dem Fall befasst. Ein Betrag, den sich viele der sowieso schon ökonomisch geschwächte Palästinenser:innen oft nicht leisten können. Laut JLAC gab es 2024 mehr Hauszerstörungen als je zuvor: 1.763 Gebäude wurden in der West Bank und Ost Jerusalem zerstört, 4.253 Palästinenser:innen verloren so ihr Zuhause, 41% davon Kinder.[2]
Zurück in Ein ad Duyuk at Tahta sind Abu Omar und Ahmad heute nicht die einzigen, die unter dieser Politik leiden. Während wir vor den Trümmern auf Ahmads Grundstück stehen, hören und sehen wir noch die Bulldozer einige Straßen entfernt arbeiten. Etwas später machen wir uns auf, um nach weiteren Betroffenen zu suchen. Am Ende einer Sackgasse, kurz bevor das Dorf in karge Wüstenlandschaft übergeht, treffen wir auf einen verzweifelten Familienvater.
Anas* steht vor den Trümmern seines Hauses. Einige Meter weiter wurde das zusammengetragen, was in einer halben Stunde gerettet werden konnte: ein Kühlschrank, eine Matratze, zwei Fahrräder, eine Kommode, ein Sofa. Fast sieht es so aus, als hätte jemand sein Zuhause unter freiem Himmel errichtet. Anas ist allein, ein Freund verabschiedet sich kurz nach unserem Ankommen. Er wohnte hier mit seiner Frau und zwei jugendlichen Söhnen. Für den jüngeren war die Zerstörung des Zuhauses zu überwältigend; er habe eine Panikattacke erlitten und die Mutter sei nun mit ihm im Krankenhaus. Anas kommt ursprünglich aus Jerusalem, seine Pension steckte er in dieses Haus und steht nun vor dem Nichts. Wir fragen ihn ob er weiß, wo er heute Nacht schlafen kann. „Nein. Wir haben keine Verwandten hier. Vielleicht schlafe ich einfach auf der Matratze im Freien.“

Seine Sachen könne er bei einem Freund unterbringen, bis er eine neue Bleibe gefunden hat. Wir bieten ihm an beim Verladen der Möbel auf einen Transporter zu helfen. Diesen zu organisieren stellt sich aber als schwierig heraus; manche Fahrer wollen gar nicht erst kommen, weil sie Angst haben ihr Fahrzeug könnte im C-Gebiet konfisziert werden. Anas sieht erschöpft aus. Als er von dem erzählt, was heute morgen passiert ist, sieht man seine Fassungslosigkeit, mehrmals kommen ihm die Tränen. Trotz Winter ist die Sonne heiß, wir fragen ihn, ob er heute schon etwas getrunken habe. Er schüttelt schüchtern den Kopf. Bis ein Transporter kommen soll dauert es noch eine halbe Stunde, wir nutzen die Zeit, um ein Falafel-Sandwich und Wasser zu kaufen.
„Wo ist hier die PA[3]?“, fragt unser Taxifahrer, „ich meine, wenn sie das schon nicht verhindern können, können sie doch wenigstens den Leuten beistehen, ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen.“ Wir treffen sie drei Straßen weiter an. Zwei Vertreter der Jerichoer Bezirksverwaltung sind gekommen, um sich ein Bild zu machen und die Vorfälle aufzunehmen. Auch hier wurde ein Haus zerstört, der Eigentümer war zwar nicht vor Ort, dafür aber ein Nachbar. Dieser berichtet von gewaltvollen Szenen: Während der Zerstörung habe sein Bruder versucht auf das Gelände seines Bauernhofs direkt neben dem Ort der Zerstörung zu gelangen. Soldat:innen beschuldigten ihn, zu nah am Geschehen zu sein und feuerten Schüsse. Sein Bruder sei dann verhaftet worden, er wisse weder, ob er durch Schüsse verletzt wurde, noch wo er sich nun befindet.
Einer der Mitarbeiter der Bezirksverwaltung zückt das Telefon um zu versuchen, etwas über den Verbleib des Bruders herauszufinden. Wenig später legt er auf, ohne neue Informationen. „Wir versuchen die Menschen vor Gericht zu unterstützen, sobald sie eine Abrissverfügungen erhalten“, sagt er, „aber um ehrlich zu sein ist es meistens aussichtslos“. 600.000 NIS (ca. 160.000 Euro) hätten sie in den vergangenen acht Monaten investiert. Manche Betroffenen müssten das Geld auch vorstrecken, „wenn wir dann neue Gelder haben können wir es erstatten.“ Seit dem 7. Oktober 2023 habe es im Verwaltungsgebiet 50 Zerstörungen von Wohnhäusern gegeben, sowie von einigen landwirtschaftlichen Strukturen. Über 200 Abrissverfügungen wurden verteilt, erzählen uns die beiden.

Die Existenz von vier Familien, zerstört in weniger als zwei Stunden, nur weil sie sich im C-Gebiet der Westbank befinden. Hier darf nur bauen, wer eine Genehmigung der israelischen Besatzungsbehörden hat. Eine Baugenehmigung zu beantragen ist jedoch in der Regel aussichtslos, laut der israelischen NGO PeaceNow wurde 2024 keine einzige Genehmigung für palästinensische Wohnhäuser im C-Gebiet des Westjordanlands ausgestellt.[4] In der gleichen Zeit wurden Pläne für fast 10.000 Wohneinheiten in völkerrechtlich illegalen israelischen Siedlungen in den C-Gebieten durch Genehmigungsverfahren gebracht.[5]
„Was bin ich denn für eine Gefahr für den Staat Israel? Mit meinen Schafen und meiner Familie hier?“, fragt Ahmad. Er will die Mauer um sein Grundstück wieder aufbauen, sagt er. Das ist mit erheblichen Risiken verbunden, aber nur so könne er sein Eigentum und seine Familie wenigstens ein bisschen schützen.
Seit im September 2024 radikale Siedler einen Außenposten oberhalb des Dorfes errichtet haben, hat sich die Situation in Ein ad Duyuk at Tahta stark verschlechtert. Noch während wir vor Ort sind, fahren Siedler mehrfach vorbei, halten an, betrachten schaulustig die Zerstörung, machen Fotos und fahren weiter.

Schon bei unseren früheren, wöchentlichen Besuchen in Ein ad Duyuk ad Tahta hatte uns Ahmad von Angriffen und Bedrohungen durch die Siedler vom Außenposten berichtet. Er empfängt uns ein paar Tage nach den Hauszerstörungen in der notdürftig abgedeckten Baracke, Überbleibsel von dem, was zerstört wurde. Am Tag zuvor seien fünfzehn bewaffnete Siedler auf das Grundstück eingedrungen und auf das Dach seines Wohnhauses geklettert. Genau davor sollten Mauer und Tor eigentlich schützen, jetzt haben die Siedler einfach freien Zutritt.
Mily, im März 2025
* Namen geändert
Ich habe für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teilgenommen. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://www.btselem.org/sites/default/files/publications/201902_fake_justice_eng.pdf, Seite 47
[2] https://www.jlac.ps/public/files/file/fact%20sheets/Escalating%20Demolitions%20in%20the%20West%20Bank%20Including%20East%20Jerusalem%202024%20Review%20Final.pdf
[3] die Palästinensische Autonomiebehörde
[4] https://peacenow.org.il/en/the-year-of-annexation-and-expulsion-summary-of-settlement-activity-in-2024
[5] ebenda