Das Thema Wasser ist eines der wichtigsten in der Westbank und besonders im Jordantal. Fahren wir über Land in die Gemeinden, zu den Bauern, den Arbeitern und Arbeiterinnen oder den Hirtenfamilien, dann berichten sie über den Wassermangel, die Höhe der Wasserpreise, das Fehlen oder die Zerstörung von Wasserinfrastruktur.
Wir EAs aus Europa haben anfangs nicht ganz verstanden, warum das Gespräch immer wieder um das flüssige Nass kreist. Wir sind es gewöhnt, diese natürliche Ressource im Überfluss zu besitzen. Doch in den besetzten palästinensischen Gebieten sieht das vollkommen anders aus: Wasser ist Mangelware und daher eines der meist geschätzten Güter überhaupt.
Das Thema begleitet uns mittlerweile Tag für Tag. Bei unseren Fahrten durch das Jordantal greifen wir automatisch zur Kamera, wenn wir fließendes Wasser sehen. Auch auf uns wirkt ein kleiner Bach mittlerweile wie ein Wunder.
Und wir achten ganz automatisch auf „Wasserzeichen“ oder „Wasserspuren“ im Jordantal: Wir suchen nach Wassertanks, wenn wir zu Bauern und Beduinen kommen, die etwas abgelegen leben; wir sehen auf der Route 90 (sie führt entlang der jordanischen Grenze durch das Jordantal) die großen, wie Hochsicherheitsanlagen abgeriegelten Brunnenanlagen der israelischen Firma Mekorot. Sie ist für einen Großteil der Wasserversorgung in Israel und der Westbank verantwortlich. Die Brunnen reihen sich wie Perlen einer Kette entlang des Tals. Wir haben ein Auge für vom israelischen Militär zerstörte palästinensische Brunnen, Wasserauffangbecken und Wasserrohre, wir sehen aufgelassene Pumpstationen, wir erkennen am Zustand der Felder, ob sie von palästinensischen Bauern bewirtschaftet werden oder von illegalen israelischen Siedlungen. An der Art der Pumpstationen und am Durchmesser der Wasserrohre können wir ablesen, wie die Wasserzuteilung durch die israelische Militärverwaltung aussieht.
Die Kontrolle über das Wasser ist vielerorts – nicht nur in Israel – eine der Grundlagen für Machtausübung. Der Zugang zu Wasser ist die existentielle Basis für das Überleben von Menschen und Tieren. Wird er eingeschränkt oder ist gar nicht vorhanden, ist alles Leben gefährdet. Letzteres ist in den besetzten Gebieten der Fall, vor allem im Jordantal. Israel hat kurz nach dem 6-Tage-Krieg 1967 die große Bedeutung des Themas Wasser für die vollständige Kontrolle der besetzten Gebiete erkannt und schnell gehandelt. Durch verschiedene Anordnungen hat sich das Militär die Entscheidungsgewalt über den Zugang, die Verteilung und die Nutzung des Wassers gesichert (1).
Es gibt in Israel und in der Westbank mehrere unterirdische, wasserführende Gesteinsschichten. Eine der wichtigsten – genannt Mountain Aquifer – hält sich nicht an die Grenze, sondern durchzieht die Westbank (zum Großteil) und israelisches Gebiet. Die Verteilung des Wasser ist das eigentliche Problem: in den Oslo-Verträgen wurde festgelegt, dass 80% der Fördermenge aus der Mountain Aquifer an Israel gehen würde und nur 20% an die Palästinenser (2). 52% der gesamten Wasserversorgung in der Westbank wird von Mekorot organisiert. Israel und damit auch die illegalen israelischen Siedlungen in der Westbank benötigen mindestens 10mal so viel Wasser wie die Palästinenser (3). Dementsprechend ist die Wasserverteilung geregelt. Die Siedlungen und deren landwirtschaftliche Flächen werden beispielsweise mit großen Wasserrohren ausgestattet, durch die das Wasser mit hohem Druck gepumpt werden kann. Den Palästinensern werden kleine Wasserrohre mit sehr geringem Wasserdruck zugestanden. Regelmäßig reduziert Mekorot das Wasser für palästinensische Gemeinden während der heißen Sommermonate (Temperaturen bis 50 Grad), während sich der Verbauch in den Siedlungen verdoppelt (4).
Sind Gemeinden und kleine Dörfer nicht an das Wassersystem angeschlossen, muss das Wasser in Tanks zu ihnen transportiert werden. Die Kosten sind vergleichsweise hoch (5).
Der Bau von Brunnen, Wasserleitungen und Auffangbecken sowie die Renovierung alter Wasserstrukturen unterliegen der vollständigen Kontrolle durch die israelische Militärverwaltung und bedürfen einer Genehmigung. In den Jahren zwischen 2011 und 2013 sind 97% der Anträge, die sich auf den Ausbau oder die Renovierung von palästinensischer Wasserinfrastruktur bezogen haben, von den israelischen Behörden abgelehnt worden. Im selben Zeitraum wurden von der israelischen Armee 205 wasserbezogene Objekte in der Westbank zerstört (6). Ein Drittel aller Infrastruktureinrichtungen war mit internationaler Hilfe finanziert worden.
Das Besondere am Jordantal
• 63% des landwirtschaftlich genutzten Landes in der West Bank liegen in den sogenannten C-Gebieten, die unter vollständiger israelischer Kontrolle stehen (63% der Westbank). Der größte Teil der Zone C ist das Jordantal, eines der fruchtbarsten Gebiete der Westbank. (Foto)
• 10.000 Siedler im Jordantal und am nördlichen Ufer des Toten Meeres, die hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig sind, können über ca. 45 Millionen m³ Wasser pro Jahr verfügen. Das ist knapp ein Drittel der Menge, die für die gesamte palästinensische Bevölkerung in der Westbank (ca. 2.6 Millionen) vorgesehen ist (7).
• Das palästinensische Landwirtschaftsministerium schätzt, dass im Jordantal gegenwärtig aufgrund der Besatzung gerade einmal 5.000 Hektar von palästinensischen Bauern kultiviert werden können, etwa 1/8 der gesamten anbaufähigen Fläche (8).
• Die Wasserverteilung ermöglicht es den Siedlungen, intensivste Landwirtschaft zu betreiben und das Land das ganze Jahr über zu bewirtschaften – auch in den Sommermonaten. Die meisten landwirtschaftlichen Produkte werden in die USA und nach Europa exportiert. Datteln sind dabei eines der Hauptexportgüter.
• In den israelischen Siedlungen wachsen derzeit ca. 3 Mio. Dattelpalmen. Jede Dattelpalme wirft im Jahr ca. 1.000 NIS Gewinn ab. Palästinensische Bauern verfügen über ca. 200.000 Dattelpalmen, für etwa 10.000 dieser Bäume hat die israelische Armee eine „demolition order“ (Zerstörungsanordnung) verfügt (9).
• Ein Teil der Siedlungsprodukte wird zu äußerst günstigen Bedingungen auf den palästinensischen Markt gebracht, pro Jahr etwa im Wert von 500 Mio. Dollar. Die gesamte palästinensische Produktion pro Jahr erreicht dagegen nur einen Wert in Höhe von 342 Mio. Dollar/Jahr (10).
• Die lokalen palästinensischen Produkte sind in der Regel teurer und haben bei den Kunden entsprechend weniger Chancen. So bekommen wir in Jericho – also in der autonomen palästinensischen Zone A der Westbank -hauptsächlich Gemüse und Früchte aus den Siedlungen zu kaufen. Wir müssen zudem lange suchen nach Datteln aus palästinensischem Anbau.
• Nach reinem Grundwasser muss im Jordantal immer tiefer gegraben werden (zum Teil 300 bis 600 Meter), da das Grundwasser der oberen Schichten immer mehr Salz enthält. Die Palmen vertragen recyceltes und Salzwasser, daher wird nun die Landwirtschaft zunehmend auf Dattelpalmen umgestellt. Die bislang üblichen Gemüsesorten wie Tomaten, Paprika, Auberginen, Gurken, Zucchini, Okra, Zwiebeln usw. werden deswegen – nicht nur wegen des mangelnden Gießwassers – zurückgedrängt. In etwa 5 bis 10 Jahren wird aller Voraussicht nach nur noch eine Monokultur im Jordantal existieren. Auch die Böden werden dann „versalzen“ sein, nicht mehr geeignet für den Anbau von Gemüse und Früchten. So besteht die Gefahr, dass das Jordantal seinen Status als eine der fruchtbarsten Regionen dieser Gegend verlieren wird.
Die Weltbank hat in ihrem jüngsten Bericht zu den palästinensischen Gebieten vom Juli 2014 festgestellt (11), dass das Potential der Zone C, also vor allem des Jordantals, bezogen auf die wirtschaftliche Entwicklung außerordentlich groß ist. Es gibt sehr viele natürliche Ressourcen (z.B. Mineralien, Steinbrüche, Kali, Bromide usw.), beste Bedingungen für eine Kosmetikindustrie (Mineralien/Totes Meer) und den Tourismus und noch dazu gute Grundlagen für das Baugewerbe. Die umfangreichen Restriktionen der israelischen Besatzung hätten allerdings einen stark dämpfenden Effekt auf Investitionen, es gäbe deswegen derzeit kaum Entwicklungschancen für die palästinensische Industrie, die Arbeitslosigkeit sei sehr hoch, noch dazu sei ein Viertel der Beschäftigen bei der Palestinian Authority (PA) beschäftigt. Dies würde den Mangel an Dynamik widerspiegeln.
Die Zone C ist nach Ansicht der Weltbank d e r Schlüssel für die wirtschaftliche Entwicklung der palästinensischen Gebiete. Die Aufhebung der durch die Besatzung bedingten Restriktionen und besonders der Zugang zu den vorhandenen Wasserressourcen würde zu einem Aufleben der Wirtschaft und zu einer respektablen Erhöhung des palästinensischen Bruttosozialprodukts führen. Die Weltbank schätzt, dass – sollten die Restriktionen aufgehoben werden – ein zusätzliches Potential von mindestens 3,4 Milliarden Dollar/Jahr erwirtschaftet werden könnte, das wären etwa 35% des Bruttosozialprodukts in Palästina (bezogen auf das Jahr 2011).
Als EA im Jordantal ist mir ganz besonders bewusst geworden, wie stark nicht nur die Gegenwart der Palästinenser sondern auch deren Zukunft davon abhängt, ob die Menschen Zugang zu Wasser haben oder nicht. Ohne diese wertvolle Ressource werden die Menschen in den besetzten Gebieten nicht in der Lage sein, eine überlebens- und konkurrenzfähige Landwirtschaft aufzubauen; ohne Wasser wird es ihnen nicht gelingen, eine tragfähige wirtschaftliche Basis für einen eigenen Staat zu schaffen. Das Verfügenkönnen über ausreichend Wasser wäre nicht nur Garantie für ein menschenwürdigeres Leben, sondern würde auch die Chancen für die Schaffung eines palästinensischen Staats erhöhen. Diese existentielle und gleichzeitig hoch politische Bedeutung des kostbaren Nasses haben wir als EAs im Jordantal jeden Tag erfahren können.
Angelika, März 2015
(1) z.B. Military Order Nr. 92 und 158 aus dem Jahr 1967 und Military Order Nr. 291 aus dem Jahr 1968 (2) http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/the%20israeli-palestinian%20interim%20agreement%20-%20annex%20iii.aspx#sch-10 (3) EWASH Fact Sheet "Water for Agriculture in the West Bank", März 2013 (4) EWASH, Fact Sheet "Water resources in the West Bank", Februar 2011 (5) Ein Tank, den Beduinen oder Hirten je nach Jahreszeit und Größe der Familie benötigt, reicht ein bis zwei Tage und kostet zwischen 70 bis 100 NIS (1 Euro = ca. 4,4 NIS) (6) 92 Zisternen, 46 Sanitär-Einrichtungen, 33 Wassertanks, 22 Brunnen, 8 Pipelines und 4 Quellen, s.EWASH, Policies of denial and destruction: Water and Sanitation in the West Bank, 2013 (7) http://www.btselem.org/jordan_valley/water (8) ebenda (9) laut Moayad Bsharat von der Union of Agricultural Work Committees (10) EWASH Fact Sheet "Water for Agriculture in the West Bank", März 2013 (11) Niksic Orhan, Eddin Nur Nasser, Cali Massimiliano, Area C and the future of the Palestinian economy. A World Bank Study, Washington (July) 2014