Vier Wochen Yanoun

Schafe blöken, zwei Katzen fauchen sich an und der Hahn schreit mit dem Esel um die Wette –  typische Hintergrundgeräusche von Yanoun. Seit fast vier Wochen gehören diese Geräusche zu unserem Alltag, der sich aus ganz unterschiedlichen Aufgaben zusammensetzt. Hierzu gehört die ständige Präsenz im Dorf sowie Aktivitäten in unserem Einsatzgebiet zwischen Ramallah und Nablus. So bleibt unter der Woche, wenn möglich, ein Teammitglied tagsüber in Yanoun, während die anderen eine Vielzahl von Aufgaben erledigen, darunter die Begleitung von Schulkindern, Hirten und Bauern oder Besuche in Gemeinden und bei Organisationen.

Yanoun

Der Weg von Lower Yanoun nach Upper Yanoun © EAPPI
Der Weg von Lower Yanoun nach Upper Yanoun © EAPPI

Über die Geschichte des Dorfes haben schon viele EAs geschrieben[1]. Seitdem die Einwohner*innen 2002 nach Yanoun zurückgekehrt sind – mit Hilfe israelischer und internationaler Friedensaktivist*innen – leben Teilnehmende unseres Programms im Dorf. Physische Übergriffe sind in dieser Zeit zurückgegangen, aber die das Dorf umgebenden Siedlungsaußenposten sind stetig gewachsen und auch auf angrenzende Hügel erweitert worden.

Yanoun ist seit Ende der 90er Jahre umgeben von stetig wachsenden Außenposten der Siedlung Itamar. Nach internationalem und auch noch israelischem Recht gelten solche Siedlungsaußenposten als illegal © EAPPI
Yanoun ist seit Ende der 90er Jahre umgeben von stetig wachsenden Außenposten der Siedlung Itamar. Nach internationalem und auch noch israelischem Recht gelten solche Siedlungsaußenposten als illegal © EAPPI

Die Schulbegleitung

Während der Schulzeit begleitet das Team dreimal wöchentlich die Schüler der Assawiya-Al-Luban Boys School auf ihrem Weg zur Schule. Die Schulbegleitung basiert auf dem Recht aller Kinder auf Zugang zu Bildung[2] und wird in Kooperation mit UNICEF durchgeführt. Das Ziel unserer Begleitung ist,  das Sicherheitsgefühl der Kinder zu stärken, indem wir etwaigen Übergriffen durch unsere internationale Präsenz vorbeugen.

EA begleitet Schulkinder vorbei an einer Gruppe von Soldaten © EAPPI
EA begleitet Schulkinder vorbei an einer Gruppe von Soldaten © EAPPI

Die Assawiya-Al-Luban Boys School liegt an der Route 60, einer Hauptstraße, die sowohl von palästinensischen als auch israelischen Autos genutzt wird. Der Schulweg läuft direkt an dieser Straße entlang und jeden Tag stehen hier bewaffnete Soldaten, denn für das israelische Militär gelten die Jungen als Sicherheitsrisiko. Der Vorwurf lautet, sie könnten Steine auf israelische Autos werfen. An einem Tag ohne Zwischenfälle stehen die drei bis sieben Soldaten verteilt etwas neben dem Weg und beachten die Jugendlichen kaum. Wir haben aber auch schon beobachtet, dass Soldaten die Kinder bedrängen, mit ihren Waffen auf sie zielen oder den Weg blockieren. Obwohl bisher während unserer Anwesenheit keine größeren Vorkommnisse zu verzeichnen waren, ist die Schulbegleitung nervenaufreibend. Die Soldaten wechseln jede Woche und man weiß nie, wie sie sich gegenüber den Schüler*innen und uns verhalten werden.

Begleitung von Hirten oder Bauern aufs Feld

Mit den Hirten auf der Weide © EAPPI
Mit den Hirten auf der Weide © EAPPI

Ein bis zweimal pro Woche unterstützen wir lokale Hirten und Bauern. Landbesitz ist unter israelischer Besatzung ein heikles Thema. Laut der israelischen Friedensorganisation PeaceNow wurden bis heute etwa 140.000 Hektar Fläche in der Westbank zu israelischem Staatsland erklärt, dessen Nutzen fast ausschließlich den nach internationalem Recht illegalen Siedlungen zukommt[3]. So entstehen Straßen, Wohngebäude und Infrastruktur auch auf Land, das ursprünglich zu einem der lokalen palästinensischen Dörfer gehörte. Das Gebiet rund um eine israelische Siedlung ist eine Sicherheitszone. Palästinensische Land-besitzer können hier nicht oder nur in seltenen Fällen und unter vorher koordinierter Aufsicht der israelischen Armee Zugang erhalten. In unserer Arbeit begleiten wir, gestützt auf internationales Recht[4] Bauern und Hirten bei ihrer Arbeit.

Häufig sind wir in einer kleinen Beduinengemeinde in der Nähe des Jordantals. In direkter Nachbarschaft liegt ein Militärcamp, in dem von Siedlern vor wenigen Jahren ein illegaler Außenposten gegründet wurde. Seitdem bedrängen bewaffnete Siedler dort regelmäßig die Hirten. Wir begleiten sie deshalb beim Schafe hüten und dokumentieren die Übergriffe der Siedler. Ein Szenario, dass wir dabei schon häufiger erlebt haben: Der Verantwortliche des Außenpostens kommt herunter zum Weideland und fordert die Hirten auf, die Gegend zu verlassen. Sie verneinen und fordern ihn zum Gehen auf. Er ruft das Militär an. Manchmal passiert nichts, bei bisher einem unserer Besuche kamen auf den Anruf hin Soldaten und erklärten das Gebiet zur militärischen Sperrzone.

Die Beduinen berichten uns außerdem, dass von Zeit zu Zeit eine Gruppe Siedler bewaffnet mit Maschinengewehren in die Gemeinde kommt und die Beduinen bedroht. Sie erklären uns auch, dass sich das Gebiet, welches die Siedler für sich beanspruchen, seit der Gründung des Außenpostens zunehmend vergrößert hat. Da wir die Hirten nicht jeden Tag begleiten können koordinieren wir die Besuche mit Ta’ayush[5], einer israelischen-palästinensischen NGO, die ebenfalls die Hirten begleitet.

Begleitung von Gemeinden

Ein weiterer Teil unserer Arbeit ist der Besuch der verschiedenen Gemeinden in unserem Einsatzgebiet. In den meisten Fällen sind es Orte, die bereits von vorherigen Teams besucht wurden und schon länger mit dem Programm arbeiten. Wir bekommen einen Überblick über die dortigen Probleme vermittelt und treffen Menschen, die besonders unter den Auswirkungen der Besatzung leiden.

Abwasser fließt durch die Landschaft © EAPPI
Abwasser fließt durch die Landschaft © EAPPI

Bruqin ist eines dieser Dörfer. Es liegt nahe der großen Siedlung Ariel, der Siedlung Bruchin und dem Industriegebiet Barqan Industrial Zone. Der Bürgermeister berichtete uns, dass durch die nahen Siedlungen Bauern aus Bruqin Probleme haben, ihr Land zu erreichen, das nun zu einem großen Teil in der Sicherheitszone der Siedlung liegt oder sogar von dieser bebaut wurde. Auch haben ca. 100 Gebäude im Dorf einen Abbruchbescheid, da sie ohne israelische Genehmigung gebaut wurden, darunter eine Moschee. Die Hirten des Dorfes berichten, dass Siedler sie immer  wieder drangsalieren und Olivenbäume beschädigen. Das Hauptproblem in Bruqin sei jedoch, dass das nahe gelegene Industriegebiet sein Abwasser ungefiltert in das Tal ableite, um das Bruqin gebaut ist. Auch das nicht ausreichend gefilterte Abwasser der Siedlungen Ariel und Bruchin fließe in dieses Tal. Es entsteht so ein Bach, dessen Wasser schwarz ist und beißend riecht. Das Dorf hat laut ihrem Bürgermeister eigentlich genug Spenden eingesammelt, um eine Filteranlage zu bauen, doch wartet es nun seit fast einem Jahr auf die israelische Genehmigung. Während dieser Verzögerung fließt das Abwasser weiter durch Bruqin.

Treffen mit lokalen und internationalen Organisationen

Im Westjordanland ist eine Vielzahl an internationalen, palästinensischen und auch israelischen Organisationen tätig. Einige, wie UNOCHA, operieren im gesamten Gebiet, viele sind jedoch auf bestimmte Zielgruppen und Themen spezialisiert. Der Austausch mit ihnen gehört ebenfalls zu unseren Aufgaben und die Treffen bereichern unser Wissen. Neben der oben erwähnten israelisch-palästinensischen Gruppe Ta’ayush haben wir bereits UNOCHA getroffen. Vor ein paar Tagen waren wir bei Addameer[6] zu Besuch. Die Organisation ist spezialisiert auf Rechtsfragen im Hinblick auf palästinensische Gefangene. Mit ihrer Hilfe hoffen wir, in den nächsten Tagen den minderjährigen Sohn eines unserer Kontakte zu einer Verhandlung vor dem Militärgericht begleiten zu können.

Solidarität mit lokalen Christen

Ein weiterer Teil unserer Arbeit ist die Begegnung mit den lokalen Kirchen. Jeden Sonntag besuchen wir eine andere Gemeinde im nahegelegenen Nablus. Es gibt auch mehrere christliche Organisationen, einige kleine christliche Gemeinden und ein christliches Dorf in unserem Einsatzgebiet, deren Besuche wir momentan planen. Da unser Programm als Antwort auf die Bitte der Kirchenoberhäupter von Jerusalems ins Leben gerufen wurde sind die Präsenz in den Gemeinden und der Austausch mit den lokalen Christen für uns eine wichtige Aufgabe.

Messe in einer katholischen Kirche in Ramallah © EAPPI
Messe in einer katholischen Kirche in Ramallah © EAPPI

Pia, im Mai 2019

Ich nehme für pax christi Deutschland am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] z.B. hier http://www.eappi-netzwerk.de/das-ende-der-strasse/

[2] 4. Genfer Konvention (GCIV): Artikel 50. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR): Artikel 26. Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC): Artikel 28 -29. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR): Artikel 13.

[3] https://peacenow.org.il/en/state-land-allocation-west-bank-israelis

[4]Das Recht auf Zugang und Lebensunterhalt wird zugesichert durch: GCIV: Artikel 27 + 50, UDHR: Artikel 13, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR): Artikel 12, ICESCR: Artikel 6 + 10-13.

[5]Ta’ayush ist eine Menschenrechtsorganisation, die die Besatzung durch gewaltfreien Protest beenden will. Sie ist im gesamten Westjordanland aktiv und begleitet unter anderem regelmäßig palästinensische Hirten.  https://www.taayush.org

[6]Addameer (Prisoner support and Human Rights Association) http://www.addameer.org/

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