Verhinderung nachhaltiger Landwirtschaft unter Besatzung

Moussas* Hof gehört zu der Ortschaft Qawawis, einer Ansammlung von Einzelgehöften eingezwängt zwischen den israelischen Siedlungen Mitzpe Yair, Susiya und Avigayil.  1500m südöstlich von Moussas Hof beginnt das militärische Sperrgebiet – auch bekannt als Firing Zone 918 – aus welchem die vom Obersten Gerichtshof Israels nach jahrelangem Verfahren für rechtmäßig erklärte erzwungene Umsiedlung von über 1.000 dort lebenden Menschen jederzeit umgesetzt werden kann.

Moussas Hofstelle liegt im sogenannten C-Gebiet, das unter vollständiger israelischer Kontrolle steht. Zum Glück gilt das Hauptgebäude des Hofes als Altbestand (in der Regel Gebäude, die vor Beginn der Besatzung errichtet wurden). Spätere Bauten wurden und werden von der israelischen Militärverwaltung (Civil Administaration) für illegal erklärt, sofern sie ohne deren Genehmigung errichtet wurden. Diese Genehmigungen sind jedoch in den allermeisten Fällen nicht zu bekommen. So hat Moussa im April 2015 eine Baustoppverfügung erhalten, als er einen Viehstall errichten wollte.

Bei einem gemeinsamen Iftar-Mal, dem abendlichen Fastenbrechen während des Ramadans, erzählt Moussa dem EAPPI-Team South Hebron Hills die Geschichte seines Hofes, der seit Generationen in Händen der Familie liegt. Für das Land verfügen sie über die notwendigen verschriftlichten Rechtstitel aus der osmanischen Zeit.

Eigentlich könnte sich Moussa glücklich schätzen. Sein Land umfasst ein fruchtbares Tal mit etwa 200 Olivenbäume, die ihm bis zu 10 Tonnen Oliven pro Jahr bescheren. Auf den fruchtbaren Böden an den Hangfüßen und im Unterhang hat er Gersten- und Weizenfelder angelegt. Ausgedehnte Weideberge mit einer Vielzahl an Futterpflanzen sowie Felsrücken, deren Oberflächenabfluss er bei Regen zum Füllen seiner zahlreichen Zisternen nutzt, runden seinen Besitz ab. Auf dem Hof gibt es Schafe, Hühner, einen Esel und etwas Gemüseanbau.

Unterwegs zum Olivenhain der Familie; © WCC-EAPPI

Vor 1967, d.h. vor Beginn der Besatzung und dem Entstehen der Siedlungen, konnte die ganze Familie gut vom Ertrag ihrer Ländereien leben. Der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit auf den Ackerflächen erfolgte über eine Fruchtfolge aus Getreide, Linsen, Kichererbsen und Eintrag von Schafmist aus den Ställen. Die Braunredeböden sind sehr fruchtbar. Moussa erzählt uns, dass früher sogar Getreide bis Saudi-Arabien exportiert werden konnte. Die Weiden waren so ausgedehnt, dass es nicht zur Überweidung kam. Jahreszeitlich zogen sie mit der Herde, die aus bis zu 200 Tieren bestand, über Wochen tief in die Berge von Masafer Yatta.

Heute ist alles anders: Der Großteil von Masafer Yatta ist als militärisches Sperrgebiet für die Beweidung nicht mehr zugänglich. Die Wiesen in Siedlungsnähe sind ohne gewaltsame Konflikte kaum mehr zu beweiden. Die Getreidefelder werden von den Viehherden der Siedler zerstört, die Gerste, welche als Zufutter in der kargen Jahreszeit für die Schafe benötigt wird, kommt kaum mehr zur Reife. Moussa schätzt, dass die Viehherden der Siedler etwa 90% seiner Felder zerstört haben. Ähnlich sieht es bei seinen Nachbarn aus. Moussa hat die Konsequenzen gezogen und hält nur noch 20 Schafe, mehr gibt sein Land nicht mehr her. Es ist aber zu wenig, um eine Familie zu ernähren.

Aufgrund der prekären Situation ist die Familie heute auf Unterstützung des Welternährungsprogramms angewiesen; © WCC-EAPPI
Mahmoud als Geburtshelfer auf karger Weide;
© WCC-EAPPI

Ackerbau und Baumkulturen in Siedlungsnähe sind mittlerweile ein riskantes Unterfangen in den South Hebron Hills und in vielen Fällen nur per Genehmigung durch die Militärverwaltung – die nur für einzelne Tage ausgestellt wird – möglich. Ein bürokratisches Verfahren, das einer nachhaltigen Landwirtschaft entgegensteht.

Kommt es trotz Genehmigung zu Konflikten durch die benachbarten Siedler, wird das ganze Gebiet – so haben wir es häufig erlebt – kurzer Hand zum temporären militärischen Sperrgebiet erklärt. Eine Bearbeitung der Felder oder Olivenhaine ist dann nicht mehr möglich, die Genehmigung verfällt.

Nicht besser geht es Mahmoud* in Wedadie, dessen Hof im äußersten Süden der Westbank zwischen Grenzanlagen und der Industriezone Meitarim der Siedlung Shim‘a einschließlich Außenposten eingezwängt wird. Neben den Problemen der Bewirtschaftungen seines Landes, die er mit Moussa teilt, hat er noch ein ganz anderes, auf mittlere Sicht katastrophales Problem.

Auf Mahmouds Land greift die Wassererosion des Oberflächen-abflusses aus den degradierten Hängen bei Starkregen die Ackerböden an den Hangfüßen und im Tal an. Der bestehende Steinverbau wird unterspült. Die Erneuerung und Erweiterung der Steinmauern, wie ihn seine Vorfahren praktiziert haben, kann er sich zum Einen nicht leisten, zum Anderen weiß er nicht, ob er sich noch lange gegen die Siedlergewalt erwehren kann und aufgeben muss. Eine Investition in die Zukunft ist hier schlicht unwirtschaftlich. Da die benachbarten Siedlungen, die Grenzanlagen und die aktive Behinderung bei der Beweidung der Bergrücken in Siedlungsnähe seine Weidemöglichkeiten stark eingeschränkt haben, sind die ihm zugänglichen Flächen überweidet, der Oberflächenabfluss bei Starkregen signifikant erhöht.

Wedadie – Erosionsrinnen fressen sich in den Getreideacker; © WCC-EAPPI

Wir von EAPPI und andere Organisationen wie die israelische Solidaritätsgruppe Ta’ayush und die internationale Gruppe Center for Jewish Nonviolence versuchen, untereinander abgestimmt, über unsere Präsens beim Weidegang Mahmoud dabei zu unterstützen, wieder eine größeres Gebiet mit seiner Herde nutzen zu können. Auch in Siedlungsnähe wieder weiden zu können, würde die dem Hof nahen Weiden zumindest ein wenig entlasten.

Bepflanzung der von der Wassererosion angegriffenen fruchtbaren Böden in den Niederungen mit Oliven, Mandeln und Obstbäumen könnte der Erosion entgegenwirken und die wirtschaftliche Lage des Hofes stabilisieren, jegliche Versuche in der Vergangenheit wurden aber durch die Siedler zunichte gemacht. Entwurzelung von Baumkulturen wie Olivenhainen und Obstgärten sind eine gängige Praxis der Siedler, um den ortsansässigen Bauern die Existenzgrundlage zu entziehen.

Wie viele andere Bauern und Bäuern:innen, Hirten und Hirt:innen in dieser Gegend wissen Moussa und Mahmoud sehr genau, dass sie ihren Lebensunterhalt eigenständig und gut bestreiten könnten, im Einklang mit der Natur, so wie sie und ihre Familien es seit Generationen getan haben. Maßnahmen zur ökologischen und ökonomischen Stabilisierung der bäuerlichen Landwirtschaft der palästinensischen Bauern und Bäuerinnen werden von den Siedlern aber gezielt verhindert. Die natürlichen Lebensgrundlagen erodieren den Bauern quasi unter den Füssen weg. Solange sich an dieser besatzungsbedingten Situation nichts ändern, werden Menschen wie Moussa und Mahmoud weiterhin und zunehmend vor der Frage stehen, wie lange sie auf ihrem Land noch weiter leben und wirtschaften können.

Rudolf, im Juni 2023

* Namen geändert

Ich habe für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teilgenommen. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

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