Siedlungen – Aktuelle Entwicklungen in Bethlehem

Seit fast zwei Monaten bin ich nun in Bethlehem. Siedlungen gehören hier zum Alltag, sie sind einfach überall zu sehen. Im Westjordanland gibt es nach aktuellen Angaben der israelischen Organisation PeaceNow[1] 253 Siedlungen und Außenposten. Etwa 430.000 Siedler*innen leben heute im Westjordanland[2].

Die ersten Siedlungsprojekte wurden bereits im September 1967 gestartet. Alle israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten werden jedoch vom überwiegenden Teil der internationalen Gemeinschaft als völkerrechtswidrig angesehen, gemäß Artikel 49 der IV. Genfer Konvention: ‚Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln.‘ [3]

In meiner Zeit hier habe ich erlebt und gelernt, dass es verschiedene Stufen bei der Entstehung bzw. dem Ausbau einer Siedlung gibt. Es gibt Siedlungen und Siedlungsausbauprojekte, die ganz offiziell von staatlicher Seite geplant und durchgeführt werden. Oft werden dann schon bestehenden Siedlungen große neue Stadtteile hinzugefügt. Die Siedlung Beitar Illit mit etwa 55.000 Einwohner*inne4 ganz im Westen des Verwaltungsbezirks Bethlehem ist ein Beispiel dafür.

Das palästinensische Dorf Wadi Fukin, im Hintergrund der Ausbau der Siedlung Beitar Illit; Foto © EAPPI
Das palästinensische Dorf Wadi Fukin, im Hintergrund der Ausbau der Siedlung Beitar Illit; Foto © EAPPI

Oft beginnt aber auch alles damit, dass Siedler*innen Schafe, Ziegen oder andere Nutztiere  immer wieder an einer bestimmten Stelle grasen lassen, schließlich einen Zaun um dieses Stück Land ziehen und provisorische Ställe für die Tiere errichten.

In einem nächsten Schritt finden sich plötzlich Wohnwagen, Überseecontainer und Wassertanks auf dem Stück Land wieder. Spätestens nun ist deutlich, dass hier ein neuer Außenposten entstanden ist. Nach und nach werden geteerte Straßen, Strom- und Wasserleitungen angelegt. Das Ganze wird umzäunt, Tore und Überwachungskameras installiert und Sicherheitsfirmen zum Schutz der Bewohnenden engagiert.

Neue Außenposten 2012 - 2019; © PeaceNow
Neue Außenposten 2012 – 2019; © PeaceNow

Auch nach israelischem Recht gelten solche Außenposten als illegal. Jedoch wurde mit einer Gesetzesänderung 2017 der Weg für die rückwirkende Legalisierung illegaler Siedlungsaußenposten geebnet. 16 Außenposten wurden bereits legalisiert, mindestens 35 Außenposten befinden sich im Prozess der Legalisierung[4].

Illegaler Siedlungsaußenposten nahe Beit Jala; Foto © EAPPI
Illegaler Siedlungsaußenposten nahe Beit Jala; Foto © EAPPI

Nach Angaben von PeaceNow[5] wurden seit November 2016 25 neue Außenposten errichtet. Nummer 25, entstanden im September 2019, befindet sich hier in der Region Bethlehem, zwischen Beit Jala und Battir. Erst im August war in unmittelbarer Umgebung das Wohnhaus und Restaurant einer palästinensischen Familie von den israelischen Behörden zerstört worden. Als wir im Januar die Gegend besuchten fanden wir den Familienvater in einem Zelt, das er am Ort der Zerstörung errichtet hatte. Zu der Zerstörung war es gekommen, weil die Familie keine Baugenehmigung für ihre Gebäude erhalten hatte. Nun steht in der Gegend, bisher scheinbar unbehelligt von den Behörden, ein israelischer Außenposten, ebenfalls ohne Genehmigung.

Auch das so genannten „E2“ Siedlungsausbaugebiet befindet sich nahe Bethlehem, im Süden der Stadt[6]. Ungefähr 1.200 Dunum (ca. 12 Hektar) sind hier bereits zu israelischem Staatsland erklärt und der Bau von bis zu 2.500 Wohneinheiten geplant worden[7].

Der Verwaltungsbezirk Bethlehem. In lila und rosa sind die Siedlungen, Außenposten und das Land markiert, welches die Siedlungen nutzen, z.B. für Landwirtschaft. Karte © UNOCHA
Der Verwaltungsbezirk Bethlehem. In lila und rosa sind die Siedlungen, Außenposten und das Land markiert, welches die Siedlungen nutzen, z.B. für Landwirtschaft. Karte © UNOCHA

Die eingangs erwähnte Siedlung Beitar Illit liegt im sogenannten Gush-Etzion Block, der sich, abgetrennt durch die Sperranlage von den größeren palästinensischen Gemeinden, über den gesamten Westen des Bezirks Bethlehem erstreckt. Dort befinden sich zurzeit bereits ca. 15 Siedlungen und 8 palästinensische Gemeinden8. Den Zahlen nach leben in diesem Gebiet nur geringfügig mehr Palästinenser als israelische Siedler8. Anhand der Landkarte lässt sich erkennen, dass der Gush-Etzion Block die Entwicklung Bethlehems Richtung Westen verhindert. Gleiches gilt für „E2“ im Süden und die Siedlungen im Süd-Osten von Bethlehem.

Mitten im Gush-Etzion-Block, fast vollständig von Siedlungen umgeben, liegt das international bekannte und ausgezeichnete Tent of Nations[8] – das Zelt der Völker, ein Projekt der christlichen Familie Nasser. Ihr gehört das Land, welches ca. 400 Dunum (40 Hektar) umfasst, seit 1916. 1991 wurde das Land der Nassers zu israelischem Staatsland erklärt, seither befindet sich die Familie in einem Rechtsstreit mit dem Staat Israel. Da sich das gesamte Land im C-Gebiet befindet dürfen keine ‚festen‘ Häuser gebaut werden. Einige 100 Olivenbäume wurden bereits vom israelischen Militär gefällt. Das gesamte Tent of Nations darf nicht an die Strom- oder Wasserversorgung angeschlossen werden. Solarenergie und Regenwasserauffangbecken wurden daher installiert. Immer wieder bekommt das Projekt Zerstörungsanordnungen. Trotz aller Beschwernisse ist das Motto der Familie: „Wir weigern uns Feinde zu sein“. Sie wollen dem Konflikt und der Besatzung etwas Positives entgegensetzen. Jeden Sommer kommen Kinder aus der Region zu einem Sommerferienlager ins Zelt der Völker, im nahegelegenen Dorf Nahalin organisiert die Familie ein Frauenprojekt. Generell lebt das Tent of Nations von vielen Freiwilligen und Besuchern aus aller Welt, die die Familie bei der Bewirtschaftung des Landes und in ihrer Standhaftigkeit unterstützen.

Am 28.01.2020 hat Donald Trump seinen ‚Friedensplan‘ für Israel und Palästina in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Benjamin Netanjahu veröffentlicht. Die oben erwähnten Siedlungen und Siedlungsausbaugebiete würden gemäß der im Plan enthaltenen Karte zu Israel annektiert werden.

Quelle: PeaceNow
Quelle: PeaceNow

Das Verwaltungsgebiet Bethlehem würde also in Zukunft nur noch aus dem Stadtgebiet Bethlehems, einigen benachbarten Dörfern und Gemeinden sowie gen Osten karger Felslandschaft bestehen, mit nur sehr eingeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten. Es scheint, dass die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik der vergangenen Jahre im Raum Bethlehem und der ‚Friedensplan‘ der US-Administration viele Gemeinsamkeiten aufweisen.

Die Menschen, denen wir tagtäglich begegnen, können nur hoffen, dass es einen angemessenen Gegenentwurf zu dieser Entwicklung geben wird, einen Friedensplan, der internationale Vereinbarungen, Völker- und Menschenrecht und die Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigen wird.

Charlotte, im Februar 2020

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von Pax Christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.


[1]              https://peacenow.org.il/en/settlements-watch/settlements-data/population

[2]              Ohne Ost-Jerusalem

[3]              https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19490188/index.html

[4]              https://peacenow.org.il/en/return-of-the-outpost-method

[5]              https://peacenow.org.il/en/new-outpost-on-land-where-the-jnf-evicted-palestinians-near-bethlehem

[6]              http://www.eappi-netzwerk.de/das-gewaechshaus/

[7]              https://peacenow.org.il/en/government-allocates-land-for-new-settlement-in-e2

[8]              http://www.tentofnations.org/

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