Die Tage im Süden von Hebron sind geprägt von Anspannung, Angst – und dennoch auch von bemerkenswerter Entschlossenheit. In Wadi Al-Rakhim, einem kleinen palästinensischen Dorf südlich von Yatta, mussten Landwirte ihre Weizenernte vorzeitig einholen. Nicht, weil das Getreide reif waren. Sondern weil es ihre einzige Chance war, überhaupt noch etwas zu retten. Was auf den ersten Blick wie ein friedlicher Ort wirkt, ist in Wahrheit ein Brennpunkt täglicher Gewalt, Einschüchterung und Landnahme. In der letzten Woche hatten sich die Übergriffe durch israelische Siedler aus nahegelegenen Außenposten gehäuft. Diese kommen meist mit ihren Schafen auf palästinensisches Privatland, zerstören Felder und bedrohen Familien. Immer wieder wurden die Bewohner:innen des Ortes von ihrem eigenen Land vertrieben. Unter diesen Umständen zu arbeiten, zu leben, zu überleben, ist unvorstellbar – und doch der Alltag vieler Menschen hier.

Zusammen mit meinen beiden Kolleg:innen aus dem EAPPI-Team in den South Hebron Hills haben wir uns mit der israelischen Organisation Rabbis for Human Rights (RHR – Rabbiner für Menschenrechte) zusammengeschlossen, um die palästinensischen Landwirt:innen in Wadi Al-Rakhim bei der Ernte zu unterstützen. RHR sorgt dabei für eine schützende Präsenz aus Israelis und Internationalen, indem sie die palästinensischen Landwirte begleiten, Gewalt und Schikanen zu verhindern versuchen, damit diese ihr Land sicher betreten und bearbeiten können. Eine Woche zuvor hatte die Familie bereits versucht, selbstständig in Wadi Al -Rakhim zu ernten – sie wurde von Siedlern aus der benachbarten Siedlung Susya gewaltsam vertrieben[1]. Danach versuchten die Siedler laut Augenzeugen, die Felder in Brand zu stecken.
Obwohl der Weizen noch nicht ganz reif war, blieb keine andere Wahl: Wenn sie jetzt nicht ernteten, würde bald nichts mehr übrig sein. Am Freitagmorgen, den 25. April, wagten wir gemeinsam mit den lokalen palästinensischen Familien von Wadi Al-Rakhim und ca. 20 jüdischen Aktivist:innen von RHR, die Ernte einzuholen.
Kaum hatten wir begonnen, tauchten junge Siedler auf, begleitet von einem Dutzend Schafen, die gezielt auf das Feld getrieben wurden, um den Weizen niederzutrampeln und zu fressen. Gestapelte Heuballen wurden gezielt durch Fußtritte zerstört.

Dem nicht genug, kamen bald darauf weitere Siedler in militärischer Kleidung und mit Sturmgewehren an und richteten diese auf uns und die palästinensischen Bewohner:innen. Über zwei Stunden wurden wir physisch und verbal belästigt. Schließlich traf die israelische Armee ein. Statt einzuschreiten, tauschten einige Soldaten:innen freundliche Gesten mit den Siedlern aus – eine Szene, die eine tiefe Verflechtung zwischen Armee und der hiesigen Siedlungsbewegung vermuten lässt. Für uns überraschend bestätigte der Kommandant dann jedoch, dass das Land den Palästinenser:innen gehört und forderte die Siedler auf, sich zurückzuziehen.
Die Siedler zogen sich an den Rand der Felder zurück. Kurze Zeit später rasten ein Reiter und ein Motorradfahrer über das Feld. Fassungslos schauten wir diesen nach und fühlten uns für einen kurzen Moment in den Wilden Westen versetzt.

Trotz aller Unterbrechungen gelang es uns schließlich, zumindest einen Teil der Ernte einzuholen. Inmitten der Felder, mit Staub auf der Haut und Hitze in der Luft, tranken wir mit den palästinensischen Familien und den israelischen Aktivist:innen gemeinsam Tee. Es war ein Moment des Atemholens, des Austauschs, und der Ruhe.
Zum Abschied erzählte uns Adam Rabea, Direktor für Aktivitäten in den palästinensischen Gebieten bei RHR, dass es ein großer Erfolg war, überhaupt etwas ernten zu können. Denn häufig werden Aktivist:innen von Armee und Polizei gestoppt und können gar nicht zu geplanten Aktivitäten kommen, weil sie auf dem Weg aufgehalten werden. Oder die Situation vor Ort eskaliert durch Übergriffe von Siedlern oder den Einsatz der Armee, die in der Regel das betroffene Gebiet dann zur militärischen Sperrzone erklärt, sodass alle Beteiligten den Ort verlassen müssen.

Wir verließen das Feld mit einem zwiespältigen Gefühl. Ja, die Ernte war gelungen – zumindest teilweise. Doch die Bedrohung bleibt. Zum Schutz der palästinensischen Gemeinde blieben den Tag über drei Aktivist:innen vor Ort. Aber der Alltag in Wadi Al-Rakhim bleibt geprägt von Unsicherheiten. Jederzeit können Siedler wiederkommen und die Familien, ihre Tiere und ihren Besitz angreifen. Für die palästinensischen Familien bedeutet das: keine Ruhe, kein Durchatmen. Es ist keine Frage des Ob, sondern nur des Wann – bis der nächste Angriff kommt.
Nadja, im Mai 2025
Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Dieser Bericht gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerkes oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://www.972mag.com/palestinian-wheat-harvest-wadi-al-rakhim/