„Ich traute meinen Augen kaum, so schnell waren sie beim Bauen… naja, wenn man eine Armee im Rücken hat, geht eben alles schneller“, sagt eine Dorfbewohnerin und blickt auf den etwa 50 Meter entfernten klapprigen Eisenzaun, bevor sie nach Kardamom duftenden Kaffee in Papierbecherchen gießt. Eine israelische Drohne surrt über ihrem Haus.
Wir sind nach Fasayil im Jordantal aufgebrochen, nachdem uns am Tag zuvor die Nachricht aus dem Dorf erreichte, dass 40-50 Siedler, darunter auch Kinder und Jugendliche, aus der nahegelegenen völkerrechtswidrigen Siedlung Tomer einen Zaun um das Dorf errichtet haben. Das israelische Militär sei während des Baus vor Ort gewesen, um die Siedler zu schützen.

Die Gemeinde Fasayil, Heimat von ca. 2.000 Palästinenser:innen, besteht aus drei Ortsteilen: Das untere Fasayil (Fasayil at-Tahta) liegt direkt an der Hauptverkehrsstraße 90 in Zone B, hier ist die Palästinensische Autonomiebehörde für die zivile Verwaltung zuständig und teilt sich, zumindest in der Theorie, die Sicherheitskontrolle mit den israelischen Behörden. Das mittlere Fasayil (Fasayil al-Wusta) und das obere Fasayil (Fasayil al-Fauqa) liegen in Zone C, unter vollständiger israelischer Kontrolle und Verwaltung.
Fasayil liegt heute vollkommen eingezwängt zwischen den stetig wachsenden Siedlungen Tomer und Petzael und mehreren Außenposten, den riesigen landwirtschaftlichen Flächen, die von den Siedlungen ebenso völkerrechtswidrig bewirtschaftet werden (auf der Karte lila-gemustert) und israelischen militärischen Sperrgebieten (auf der Karte grau). Siedlergewalt und die Sorge vor Hauszerstörungen prägen den Alltag der Menschen in Fasayil, die Menschenrechte und das Völkerrecht scheinen hier, wie an vielen Orten in den besetzten palästinensischen Gebieten, ausgesetzt zu sein.

Der neue Zaun umschließt alle drei Teile des Dorfes. Er verläuft über Weideflächen, die für die Schafe genutzt werden, und schränkt den Zugang der Gemeinschaft zu den Bergen ein, wo sie im Frühling traditionell ihre Tiere weiden ließen. Mehrere Dorfbewohner:innen berichten von Interaktionen mit den Siedlern nach oder während des Baus, die ihnen untersagten, sich dem neu errichteten Zaun zu nähern. Die Häuser einiger Bewohner:innen Fasayils befinden sich nun hinter dem Zaun, sprich außerhalb des von den Siedlern abgezäunten Dorfgebiets, in dem Bereich, den die Siedler nun für sich beanspruchen. Beim Bau wurden an diesen Stellen im Zaun Lücken hinterlassen. Ein Dorfbewohner erklärt: „Sie haben ein Loch im Zaun gelassen, nicht aus Freundlichkeit, oder um mir mein Leben zu erleichtern, sondern weil sie darauf warten, dass ich mein Zuhause aufgebe und mein Land durch diese Lücke im Zaun verlasse.”

Fasayil al Wusta – Brennpunkt von Siedlergewalt und Hauszerstörungen
Besonders Fasayil al-Wusta ist stark von der Gewalt der Siedler betroffen. Ein Dorfbewohner berichtet von mehreren Vorfällen, bei denen Siedler nachts mit Taschenlampen in sein Haus eindrangen und versuchten, seine Schafe zu stehlen: „Erst gestern waren die Siedler wieder da“, erzählt er. „Meine Familie rief mich an, als ich in der Moschee war. Ich sagte: „Egal, nehmt die Schafe, nehmt alles. Ich bin so müde. Wenn ich nicht einmal mehr beten kann – wie soll ich dann noch leben?‘“
Die Siedler fahren Quadbikes durch das Dorf und bedrängen die Menschen, regelmäßig fliegen Drohnen über dem Ort. Ein weiterer Dorfbewohner berichtet von einer 24/7 Schutzpräsenz durch internationale Aktivist:innen, nachdem Siedler versucht hatten, sein Wohnzelt anzuzünden. Vor einigen Tagen habe er seinen Job in der Siedlung Tomer verloren, den er fast 20 Jahre innehatte. Er vermutet, dass der Jobverlust damit zusammenhängt, dass er sein Zuhause nicht aufgeben will und sich Unterstützung geholt hat. Nun hat er nur noch seine Schafe, die er nicht weiden kann und Geld, um Futter zu kaufen, ist knapp.
Auch die Präsenz des Militärs ist erdrückend. „Vor einigen Wochen wurde meine 15-jährige Tochter festgenommen“, erzählt einer der Männer aus Fasayil. „Angeblich, weil sie einen Soldaten angeschrien haben soll, dabei hat sie nur mit ihrem Bruder gesprochen.“ Das Mädchen sei mehr als 5 Stunden lang festgehalten worden, mit Handschellen gefesselt, die Augen verbunden und von israelischen Soldat:innen beschimpft.
Die meisten Familien in Fasayil haben Abrissbefehle von der israelischen Zivilverwaltung erhalten. Der Grund, so erzählen sie uns: Ihre Grundstücke befänden sich in einem “archäologischen Gebiet“. Wir sprechen mit einem Dorfbewohner, der sich sorgt, dass sein Haus bald von den israelischen Bulldozern zerstört wird, genau jetzt, kurz bevor der Winter vor der Tür steht: „Alle meine Kinder sind in diesem Haus geboren. 20 Jahre haben wir hier gelebt. Wie sollte ich jetzt in ein Zelt ziehen, ohne Wasser und Strom? Ich habe keinen Plan B.“
Die Sorge ist nicht unberechtigt: UNOCHA hat seit Beginn der systematischen Erfassung (2009) die Zerstörung von über 200 Wohn- und Nutzgebäuden sowie Infrastrukturobjekten in Fasayil dokumentiert, mehr als 300 Menschen verloren so bereits ihr Zuhause.[1]

In den letzten Wochen haben bereits vier Familien Fasayil al-Wusta verlassen, da sie der konstanten Bedrohung und Belastung nicht mehr standhalten konnten. Die verbliebenen Dorfbewohner:innen befürchten, dass die Siedler hier einen neuen Außenposten errichten könnten, was eine permanente Siedlerpräsenz zwischen den Dörfern zur Folge hätte. Die Konsequenz wären eine noch größere Bedrängung und eine vollständige Einschränkung der Bewegungsfreiheit zwischen Fasayil al Fauqa und der Hauptstraße, Road 90.
Allgegenwärtige Kontrolle
Als wir einige Tage später zurückkehren wollen, stehen an der Einfahrt nach Fasayil Militärfahrzeuge: ein sogenannter “flying checkpoint”. Unser Kontakt vor Ort hatte uns bereits berichtet, dass dies regelmäßig vorkommt, und dass die Einwohner:innen Fasayils an solchen kurzfristig errichteten Kontrollpunkten oft belästigt, geschlagen und Sachen aus den Autos gestohlen werden. Daher verlassen die Dorfbewohner:innen den Ort nur noch selten. Die Präsenz des Kontrollpostens und die Angst sind mittlerweile zur Normalität geworden.
Vor einigen Tagen wurde ein palästinensischer Aktivist, der den neuen Zaun in Fasayil dokumentierte, an Ort und Stelle verhaftet und befindet sich nun in Administrativhaft – Haft ohne Anklage. Die Verhaftung hat Fasayil hart getroffen. Nun sitzen die Dorfbewohner:innen erschöpft auf den wackeligen Plastikstühlen, die Köpfe in die Hände gestützt. Bei jedem sich nähernden Auto schrecken sie hoch. Ein LKW fährt am Zaun vorbei. In unsere fragenden Gesichter blickend erklärt ein Bewohner: „Das ist ein LKW, der hier Eisenstücke einsammelt, um sie weiterzuverkaufen.“ Ein zwölfjähriger Junge mischt sich ein: „Der Zaun steht doch da! Den kann er von mir aus auch mitnehmen“, scherzt er und zeigt auf den Zaun. Müdes Gekicher. Wenig später bitten uns die Bewohner:innen Fasayils, nur noch in den dringendsten Fällen und in enger Abstimmung zu kommen. Groß ist die Sorge, dass die Präsenz von internationalen, israelischen oder palästinensischen Begleiter:innen und Aktivist:innen zu viel Aufmerksamkeit von Siedlern und Armee auf sie lenken könnte. „Wir rufen euch an, wenn wir etwas brauchen“, sagen sie noch zum Abschied.
Mehr als 50 palästinensische Hirtengemeinden sind seit Sommer 2022 im Westjordanland aufgrund von Siedlergewalt, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der generellen Verunmöglichung eines halbwegs normalen Lebens zur Umsiedlung gezwungen worden. Fasayil soll nicht ein nächster Name auf dieser Liste sein, und auch kein anderer Ort. Doch ohne materielle und finanzielle Unterstützung, effektiven Schutz vor der Gewalt extremistischer Siedler und wirksamen Konsequenzen angesichts der fortgesetzten Annexionsbestrebungen der israelischen Regierung[2], werden die Menschen in vielen weiteren Gemeinden aufgeben müssen. Die internationale Gemeinschaft muss mehr Druck ausüben, damit Israel seinen Verpflichtungen als Besatzungsmacht zum Schutz der besetzten Bevölkerung nachkommt, und damit die Besatzung gemäß Gutachten des Internationalen Gerichtshofs von Juli 2024[3] so schnell wie möglich beendet wird und Menschenrechte und Völkerrecht auch im Jordantal wieder Einzug halten.
Madita, im Dezember 2025
Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://www.ochaopt.org/data/demolition
[2] https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/israelpalestine/252-sovereignty-all-name-israels-quickening-annexation-west-bank
[3] https://www.diakonia.se/ihl/news/summary-icj-advisory-opinion-19-july-2024/