Vor einigen Tagen begleiteten wir das örtliche Team der Palestinian Medical Relief Society (PMRS) mit ihrer mobilen Klinik in die sogenannte “seam-zone“ (Nahtzone) südlich von Qalqilia. Die PMRS ist eine palästinensische allgemeinnützige non-profit Organisation [1], die unter anderem überall dort medizinische Versorgung leistet, wo Menschen der Zugang zu Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen aus verschiedenen Gründen erschwert ist. So fährt das Team einmal pro Woche in die seam-zone, jene palästinensischen Gebiete, die durch die israelische Trennbarriere vom übrigen Westjordanland abgeschnitten wurden.
Die Infrastruktur in der seam-zone selbst ist überwiegend sehr schlecht und so auch die medizinische Versorgung. Grund dafür ist die fast vollständige Einschränkung palästinensischer Bautätigkeit durch die israelischen Behörden in diesen Gebieten, in denen gleichzeitig der Ausbau israelischer Siedlungen stetig voranschreitet. So hat es sich die PMRS, eine der größten palästinensischen NGOs im medizinischen Bereich, zur Aufgabe gemacht, die Menschen in der seam-zone kostenlos medizinisch zu versorgen.
Wir treffen Suhad, die Ärztin und gleichzeitig Mitbegründerin der Organisation ist. Bei einem ausgiebigen Frühstück erzählt sie uns einiges über PMRS, bevor wir mit ihrem Team und der mobilen Klinik aufbrechen. Diese ist, so stelle ich fest, von Deutschland und Medico International finanziert.
Nachdem wir den Checkpoint passiert hatten, erreichten wir die erste Gemeinde, das Beduinendorf Arab ar Ramadin al Janoubi. Die Menschen dort leben in sehr ärmlichen Verhältnissen, allerdings haben sie, so berichtet man uns, dieses Stück Land während der Zeit der jordanischen Verwaltung (1949-1967) käuflich erworben. Laut Aussage von Suhad weigerten sich die israelischen Behörden jedoch, die jordanischen Papiere anzuerkennen und erklärten die Gemeinde als „illegal“.
In den Oslo-Verträgen von 1993 wurde das Gebiet zur Zone C erklärt und steht seither unter vollständiger israelischer Kontrolle. Die Einwohner von Arab ar Ramadin al Janoubi dürfen weder neu bauen noch ausbauen. Aus diesem Grund hätten alle Häuser, die in den letzten Jahren dort dennoch gebaut wurden, eine „demolition order“, also eine Abrissanordnung erhalten.
Dies gilt auch für die kleine Grundschule, in deren Klassenraum die PMRS ihre kleine mobile Praxis für die nächste Stunde aufbaute. Unser Fahrer hatte beim Einfahren in das Dorf laut gehupt – das Zeichen für alle Patienten, zur Schule zu kommen. In der Zeit, in der das Ärzte-Team die Patienten versorgte, durften wir uns in Dorf und Schule umsehen.
Die Kinder waren total aufgeregt, dass sie internationale Besucher hatten und scharten sich gerne um uns. Die Direktorin nahm sich netterweise auch etwas Zeit für uns und erzählte uns etwas von den Schwierigkeiten, eine Schule zu leiten, die ständig in ihrer Existenz bedroht ist. Vorsichtshalber sei die Schule mit einem Holzdach errichtet worden, da dies noch als „nicht-permanent“ gelte. Dies könne ein Grund dafür sein, dass die angedrohte Zerstörung noch nicht wahrgemacht wurde. Die Unterstützung des Baus durch eine italienische NGO und UNDP könne aber auch dazu geführt haben, dass eine Zerstörung weniger wahrscheinlich ist[2].
Nachdem die Patienten in Arab ar Ramadin al Janoubi versorgt waren fuhren wir weiter zur Nachbargemeinde, Arab Abu Farda. Auf dem Weg dorthin gelangten wir an das Habla gate, einen der landwirtschaftlichen Checkpoints in der Trennbarriere, die palästinensische Bauern der Umgebung passieren müssen (so sie über einen israelischen Passierschein verfügen), um auf ihre Felder zu gelangen.
Die Öffnungszeiten der Übergänge, jeweils morgens, mittags und abends, werden von den israelischen Soldaten sehr strikt eingehalten. So erzählte uns Suhad, dass am 19.April ein 67-jähriger Bauer 400 Meter vom Tor entfernt einen Herzinfarkt hatte. Anstatt das Tor außerhalb der Öffnungszeiten zu öffnen und den palästinensischen Krankenwagen passieren zu lassen, hätten die Soldaten darauf bestanden, selbst Erste Hilfe zu leisten und einen israelischen Krankenwagen zu holen. Dieser habe den Patienten dann zu einem Checkpoint gebracht, wo er in einen palästinensischen Krankenwagen umgelagert und mit viel verlorener Zeit aufgrund des großen Umwegs zum nächsten palästinensischen Krankenhaus gebracht wurde. Insgesamt habe dieses Vorgehen dann 1,5 Stunden gedauert und der Mann verstarb.
Hätte man einfach das nächste Tor aufgeschlossen, so Suhad, dann hätte die Fahrt zum palästinensischen Krankenhaus vielleicht 20-30 Minuten gedauert und der Mann wäre vielleicht noch am Leben. Für eine Medizinerin wie Suhad ist so ein Vorfall natürlich besonders belastend: die benötigte schnelle medizinische Hilfe hätte geleistet werden können, wurde aber durch die strukturellen Auswirkungen der Besatzung verhindert.
Mit diesen Eindrücken gelangten wir zum Dorf Arab Abu Farda, ebenfalls eine Beduinengemeinde. Die Menschen dort teilen ein ähnliches Schicksal wie die Menschen in Ramadin al Janoubi. Sie leben ein sehr einfaches Leben, in Hütten oder Zelten, auch sie dürfen nicht bauen. Die PMRS hupte wieder ein paar Mal laut und errichtete danach ihre Übergangpraxis in einer Lagerhalle. Als wir uns im Dorf umzusehen erregt eine große weiße Anlage unsere Aufmerksamkeit. Wir erkundigten uns bei einem der Bewohner, der uns erzählte, dass Frankreich vor einiger Zeit diese große Anlage geschenkt habe, welche der Aufbereitung und Aufbewahrung von Trinkwasser dienen soll. Da jedoch der Anschluss an ein Wassernetz bisher nicht möglich war steht die große weiße Anlage auf einem Hügel nutzlos in der Gegend. Immerhin spendet sie manchmal Schatten für die Dorfbewohner.
Trotz all dieser bedrückenden Geschichten nehmen wir vor allem die Erinnerung an die Dankbarkeit und die Freude der Menschen mit, mit der sie uns und vor allem dem freiwilligen Medizinerteam begegnet sind.
Rebecca, Mai 2018
[1] http://www.pmrs.ps/index.php
[2] http://www.ventoditerra.org/en/vdt_frontiers/ramadin-al-janubi-school-en-en/#