Ein Projekt, das das Leben von Vielen verändert

Az Za’ayyem (oder A-Za‘im), ganz in der Nähe von Jerusalem.

Eigentlich eine sehr schöne Gegend, teils recht große Farmen mit vielen Bäume und Tieren, Beduinen, die ihre Ziegen weiden… aber leider befindet sich diese Gegend in der E1 („East1“) Zone[1], einem Gebiet in der besetzten Westbank, das nach Vorstellungen der israelischen Regierung Teil eines israelischen „Groß-Jerusalem“ werden soll[2], Pläne, die während der ersten Amtszeit von Donald Trump befürwortend aufgegriffen wurden, wie sich in seinem damaligen „Friedensplan“ zeigte.[3] Pläne, in denen für palästinensische Gemeinden kein Platz mehr ist.

Der „Friedensplan“ aus Präsident Trumps erster Amtszeit sah unter anderem die Annexion großer Gebiete außerhalb Jerusalems zum Staatsgebiet Israels vor; Karte © Ir Amim
Der „Friedensplan“ aus Präsident Trumps erster Amtszeit sah unter anderem die Annexion großer Gebiete außerhalb Jerusalems zum Staatsgebiet Israels vor; Karte © Ir Amim

Im Januar verkündete der Bürgermeister von Maale Adumim, der mit fast 40.000 Einwohnern größten israelischen Siedlung in der Gegend, dass E1 nach Donald Trump in „T1“ umbenannt werden soll, sobald die entsprechenden Bauprojekte dort zum Abschluss gekommen sind.[4]

Im Bereich von Az Za’ayyem führt die geplante sogenannte „Sovereignity Road“ entlang, die die Verkehrswege von israelischen Siedlern und Siedlerinnen, die (nach internationalem Recht illegal) in der Westbank wohnen, und die Straßen der palästinensischen Bevölkerung voneinander trennen soll – offiziell aus Sicherheitsgründen.

Geplante „Sovereignty Road“, © PeaceNow
Geplante „Sovereignty Road“, © PeaceNow

Allerdings wurde seit Beginn der Planung häufig ein anderer Grund für dieses Projekt geäußert. Vor einigen Jahren schon bestätigte laut PeaceNow der Bürgermeister der israelischen Siedlung Maale Adumim das Ziel, dass durch die Schließung eines großen Gebietes in der zentralen Westbank für die palästinensische Bevölkerung dieses Gebiet ein integraler Teil von Israel wird[5].

Wenn die neue Straße[6] – eine Art Tunnel – fertig ist, soll der gesamte palästinensische Verkehr zwischen nördlichem und südlichem Westjordanland darüber geleitet werden. Die Bewohner und Bewohnerinnen von Maale Adumim und weiterer nach internationalem Recht illegaler israelischer Siedlungen in der Umgebung würden ohne Kontakt zu palästinensischem Verkehr und ohne Durchquerung von Checkpoints nach Jerusalem fahren können. Der Zugang der palästinensischen Bevölkerung per Fahrzeug zu Dörfern und ihren eigenen landwirtschaftlichen Flächen und Weidegründen in dieser Gegend wäre fortan abgeschnitten und Maale Adumim und weitere Siedlungen in E1 würden sich noch mehr in einen Vorort von Jerusalem verwandeln.

Am 29.03.2025 hat das israelische Sicherheitskabinett beschlossen, nochmals 335.000.000 NIS (entspricht ca. 1 Mio. Euro) für die Konstruktion dieser Straße zwischen El Azariya und Az Za‘ayyem zur Verfügung zu stellen. Verteidigungsminister Israel Katz äußerte dazu, dass diese „historische“ Entscheidung zum Bau der Straße „…den Siedlungsbau vorantreiben, Sicherheit und Wohlergehen aller (israelischen, Anm. de Autorin) Bewohner der Gegend erhöhen und unseren Anspruch auf Judäa und Samaria stärken wird“.[7]

Das Projekt wird zudem nicht aus dem israelischen Staatshaushalt finanziert, sondern aus palästinensischen Geldern, die von der sogenannten Zivilverwaltung, einer für die zivilen Angelegenheiten in den israelisch kontrollierten Gebieten der Westbank zuständigen Behörde innerhalb des israelischen Verteidigungsministeriums, verwaltet werden. Laut Gesetz sind diese Gelder zum Wohle der palästinensischen Bevölkerung bestimmt.[8]

Wie sieht es für Betroffene bei diesem Projekt aus?

Viele israelische Siedler und Siedlerinnen (Bewohner von nach internationalem Recht illegalen Siedlungen in der Westbank) werden bessere und vor allem schnellere Verbindungen nach Jerusalem haben, Checkpoints und Kontrollen bei der Einreise nach Jerusalem werden für sie wegfallen und die bestehenden Siedlungen können wachsen und gemeinsam mit Jerusalem das geplante „Greater Jerusalem“ bilden.

Großflächige Hausabrisse in Az Za’ayyem; Foto © WCC-EAPPI/Sabine
Großflächige Hausabrisse in Az Za’ayyem; Foto © WCC-EAPPI/Sabine

Verschiedene palästinensische Dörfer und Gemeinden (vor allem Beduinen) werden von der restlichen Westbank abgeschnitten sein und keine direkte Straßenanbindung mehr zu den palästinensischen Städten und Dörfern der Umgebung haben. Die israelische Trennbarriere wird in dem Bereich fertig gebaut werden können und Zugangsprobleme noch verschärfen. Der Zugang nach Ost-Jerusalem ist bereits heute für den Großteil der palästinensischen Bevölkerung dieser Region weitgehend ausgeschlossen. Zusätzlich zu der heute schon bestehenden und wachsenden Siedlergewalt, Hauszerstörungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben diese Entwicklungen das Potential, zu einer Vertreibung der betroffenen Gemeinden in größerem Stil zu führen.

Zum Bau der Straße und auch zur Verbreiterung vorhandener Straßen werden viele Häuser und landwirtschaftliche Gebäude in palästinensischen Dörfern abgerissen.

Zerstörte Stallungen in Az Za’ayyem; Foto © WCC-EAPPI/Sabine
Zerstörte Stallungen in Az Za’ayyem; Foto © WCC-EAPPI/Sabine

Auch Az Za’ayyem ist betroffen. Viele Familien, Hausbesitzer und Bauern in der Gegend haben Abrissverfügungen der israelischen Behörden bekommen.

Zwischen dem 25.02.2025 und dem 03.03.2025 haben israelische Behörden in der Gegend von Az Za‘ayyem 33 Gebäude -Häuser, landwirtschaftliche Gebäude und Stallungen sowie ein größeres Wassernetzwerk- zerstört und für die dortigen Bauern den Zugang zu ihren Feldern gesperrt.[9]

Auch Familie A*, Besitzer einer Farm, ist betroffen. Sie haben nach Erhalt des Abrissbefehls „erfolgreich“ gegen den angedrohten Abriss geklagt, das Urteil des Gerichtes Ende Februar 2025 lautete, dass der Abriss zumindest bis 2027 zur weiteren Prüfung ausgesetzt würde. Aber… wenige Tage nach der Urteilsverkündung kamen um 5 Uhr morgens 3 Bulldozer und ca. 100 Soldaten und rissen die gesamte Farm – die Wohngebäude, Tierställe, Olivenbäume, Zäune, Wasserspeicher ab – trotz des Gerichtsentscheides. Hier haben 5 Familienmitglieder- darunter 3 minderjährige Kinder- ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage verloren.

Der Kühlschrank ist gefüllt, die Waschmaschine ist auch noch gelaufen als überraschend morgens die Bulldozer kamen…; Foto © WCC-EAPPI/Sabine
Der Kühlschrank ist gefüllt, die Waschmaschine ist auch noch gelaufen als überraschend morgens die Bulldozer kamen…; Foto © WCC-EAPPI/Sabine

Die Nachbarn und Verwandten von  Familie A, Familie B*, hatten seit Beginn der  1990ger Jahren die schon bestehende Farm ausgebaut, in 3 Häusern wohnten 3 Familien, insgesamt 35 Menschen mit 10 Kindern. In mehr als 4.000 m2 Stallungen  hatten sie 2.440 Ziegen, 400 Kühe, Pferde, Hühner und andere Kleintiere, große Futtersilos und Wasserspeicher.

Zu Beginn der 2000er Jahre bauten die Israelischen Sicherheitskräfte auf drei Seiten militärische Einrichtungen um die Farm herum, seit 2006 gilt das Gebiet als militärisches Sperrgebiet und die Familie bekam eine Räumungsklage.  Es wurde Widerspruch eingelegt, im Februar 2025 wurde nach jahrelangen Verhandlungen ein Gerichtsurteil gefällt, dass die Abrissverfügung bestätigt. Bereits 2 Tage nach der Urteilsverkündung kamen die israelischen Behörden mit mehr als 100 Soldaten und mehreren Bulldozern und rissen die gesamte Farm mit allen Anlagen ab. Auch hier wissen die Menschen nicht, wo sie wohnen und von was sie jetzt leben sollen…..die Tiere wurden bei anderen Bauern untergestellt (natürlich gegen Bezahlung) und die Zukunft für die Familie ist ungewiss.

Menschen haben ihre Häuser und Lebensgrundlagen verloren, wertvolles Land und das, was Familien in vielen Jahren aufgebaut und angepflanzt haben, wurde zerstört.

Gerettete Möbel und Hausrat…leider gibt es kein Haus mehr dazu; Foto © WCC-EAPPI/Sabine
Gerettete Möbel und Hausrat…leider gibt es kein Haus mehr dazu; Foto © WCC-EAPPI/Sabine

Eine Entschädigung gibt es nicht und der Versuch, etwas wieder aufzubauen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn seit 2018 gibt es ein Gesetz, nach dem sofort und gleich beim Neubau oder Wiederaufbau ein Objekt ohne Baugenehmigung von den israelischen Behörden ohne eine richterliche Verfügung abgerissen werden darf.[10] Dass in dem oben beschriebenen Fall trotz einer einstweiligen Verfügung der Abriss erfolgte, scheint dabei keinen Unterschied zu machen.

Wenn übrigens das Land über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren nicht bearbeitet oder bewohnt wird, kann unter Rückgriff auf Rechtsprechung aus der Zeit des Osmanischen Reiches „legal“ durch den Staat Israel konfisziert werden.[11]

Als die Entscheidung des Sicherheitskabinetts zum Bau der neuen Straße am 29.03.2025 beschlossen und veröffentlicht wurde, zitierte eine Nachrichtenseite den Bürgermeister Shai Alon der nach internationalem Recht illegalen israelischen Siedlung Beit El wie folgt: „Nach Jahren der völligen und rücksichtslosen Missachtung des palästinensischen … Plans, staatliches Land zu übernehmen und die Infrastruktur für die Errichtung eines de facto palästinensischen Staates zu schaffen, ist es nun an der Zeit, ihn vollständig zu begraben.“[12]

Eine mehrstöckige Scheune wurde abgerissen; Foto © WCC-EAPPI/Sabine
Eine mehrstöckige Scheune wurde abgerissen; Foto © WCC-EAPPI/Sabine

Auch wenn das Projekt noch nicht vollständig umgesetzt ist und die Straßen noch nicht fertig gebaut ist, sind schon jetzt viele Menschen betroffen, Leben verändert und Lebensgrundlagen entzogen.

Sabine, im April 2025

* Namen werden aufgrund der Sorge der Betroffenen vor negativen Konsequenzen hier nicht angegeben

Ich habe für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teilgenommen. Dieser Bericht gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerkes oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.


[1] https://imeu.org/article/fact-sheet-israels-e1-settlement

[2] https://peacenow.org.il/en/proposed-bill-of-annexation-jerusalem-metropolin,

[3] https://www.ir-amim.org.il/sites/default/files/Planned%20Annexation%20in%20Greater%20Jerusalem%20-%20Ir%20Amim%20map%20June%202020-min.jpg

[4] https://www.jpost.com/israel-news/article-838672

[5] https://peacenow.org.il/en/the-sovereignty-road-in-the-area-of-al-azariya-maale-adumim-is-advancing-to-the-implementation-stage

[6] https://peacenow.org.il/en/sovereignty-road-cabinet-decision

[7] https://www.timesofisrael.com/security-cabinet-greenlights-separate-road-for-palestinians-in-contentious-e1-area/

[8] https://peacenow.org.il/en/sovereignty-road-cabinet-decision

[9] https://www.ochaopt.org/content/humanitarian-situation-update-270-west-bank

[10] https://www.nrc.no/shorthand/stories/helping-palestinians-stand-up-to-the-forces-of-displacement/index.html Military Order 1797 und Military Order 1252

[11] https://peacenow.org.il/en/methods-of-confiscation-how-does-israel-justify-and-legalize-confiscation-of-lands

[12] https://www.jns.org/israel-to-build-new-road-for-palestinians-near-jerusalem/ Übers. d. Autorin

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