Das Tent of Nations bedrängt wie nie zuvor
Sie nennen es Sumud, das arabische Wort für Standhaftigkeit, Durchhaltevermögen und stetige Ausdauer. Und sie sind stolz darauf. Wir besuchen in den ersten Tagen unseres Einsatzes das Tent of Nations (Zelt der Völker), ein christliches Friedenszentrum außerhalb der Stadt Bethlehem.

Das Tent of Nations liegt im sogenannte C-Gebiet, das vollständig unter israelischer Verwaltungs- und Sicherheitskontrolle steht. Daoud Nassar und seine Familie kämpfen seit Jahrzehnten vor israelischen Gerichten für ihre Eigentumsrechte, die ihnen von den israelischen Behörden und Siedlern streitig gemacht werden. Sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie ihr 42 ha großes Land behalten können, das seit über 100 Jahren in ihrem Besitz ist. Sie haben dafür einen offiziellen Landtitel, der ihr Eigentumsrecht dokumentiert und beweist.
Zunehmende Bedrängung
Mittlerweile ist das Farmland von 5 israelischen Siedlungen umgeben, ein Siedlungsaußenposten – illegale nach internationalem und israelischem Recht – ist gerade im Bau. Dieser besteht bereits aus 15 Häusern und grenzt direkt an das Farmland der Nassars.

In der letzten Woche sind die ersten israelischen Familien in die Wohnblocks eingezogen, es wurden Kameras installiert. Damit ist die tägliche Arbeit auf den Feldern der Familie Nassar unter ständiger Kontrolle, sie fühlen sich unter permanenter Beobachtung.

Es gab bereits Vorfälle von Siedlern, die sich durch das Zerschneiden der Zäune Zutritt auf das Privatland der Nassars verschafft haben. Nicht selten kommen sie zu mehreren und sind bewaffnet; sie schikanieren und schüchtern die Menschen ein. Damit wird die Arbeit auf dem Land zunehmend erschwert und es ist umso wichtiger, internationale Präsenz von Freiwilligen vor Ort zu haben.

Bei unserem Besuch stellen wir fest, dass ein Teil der Ackerfläche bereits nicht mehr bewirtschaftet wird, da dieser Bereich des Geländes der ständigen Gefahr von Überfällen ausgesetzt ist. Seit dem 7. Oktober ist es aufgrund der anhaltenden Spannungen auch leider kaum mehr möglich, auf dem Gelände des Tent of Nations Gruppen zu beherbergen oder ‚summer camps‘ für Kinder durchzuführen.
Überzeugt, dass am Ende die Gerechtigkeit siegt
Die Familie hat bereits über 300.000 USD für den Rechtsstreit ausgegeben. Mehrere Abrissverfügungen wurden in den vergangenen Jahren erlassen, sind aktuell aber ausgesetzt. Uns wird berichtet, dass sich die Situation seit dem 7.Oktober 2023 massiv verschlechtert hat und zunehmend angespannter wird: es wurden zwei Straßen durch das Grundstück der Familie gebaut, die per israelischem Gerichtsbeschluss illegal sind und entfernt werden müssen. Dieser Beschluss wird jedoch von den israelischen Behörden ignoriert. Der Zugang zur Farm über die Schnellstraße (Route 60) wurde vom Militär gesperrt. Die mehr als 200[1] zum Teil mobilen Straßensperren, die seit dem 7.Oktober zusätzlich zu den damals etwa 650 existierenden Sperren im gesamten Westjordanland wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, erschweren den Transport von landwirtschaftlichen Produkten wie Oliven, Mandeln, Feigen, Aprikosen erheblich, auch für die Familie Nassar. Der Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte auf den Märkten ist stark eingeschränkt, ein Einkommen ist so gut wie gar nicht mehr zu erwirtschaften. Die Wasser- und Stromversorgung wurde komplett unterbunden: Regenwasser wird deshalb zur Bewässerung gesammelt, Strom über Sonnenkollektoren erzeugt. Trotzdem geben sie nicht auf und bleiben standhaft. Sie wissen, dass das Recht auf ihrer Seite ist.

Auch im Umfeld des Tent of Nations werden die Spannungen immer deutlicher. Viele Palästinenser:innen haben seit dem 7. Oktober ihre Arbeit verloren, da die israelischen Behörden fast alle Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser:innen in Israel gesperrt haben. Die sich zunehmend verschlechternde ökonomische Situation treibt viele in die Verzweiflung, der Ausbau der völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen bietet Jobs, die sonst nicht zu bekommen sind. Das schafft großen Unmut in der Dorfgemeinschaft, die die palästinensischen Arbeiter teilweise als Kollaborateure sehen. Andere suchen Wege, auszuwandern, weil sie für sich keine Zukunft mehr in ihrer Heimat sehen. Für Daoud ist es keine Alternative, aufzugeben. Der gewaltlose Widerstand der Familie geht weiter.
Internationale Solidarität, internationaler Druck
Doch sie brauchen Unterstützung. Die Arbeit auf dem Feld ist unter den gegebenen Umständen beschwerlich; Daher, mit 70 Jahren der älteste Bruder, verrichtet immer noch täglich harte körperliche Tätigkeiten. Die ökologische Bewirtschaftung ist sehr arbeitsintensiv, es braucht viele helfende Hände. Die Familie freut sich immer sehr, wenn Freiwillige aus den unterschiedlichsten Ländern für ein paar Tage, Wochen oder gar Monate mit anpacken. Aber nicht nur die Unterstützung auf dem Feld ist wichtig, maßgeblich ist auch die Präsenz und internationale Aufmerksamkeit. Sie bietet einerseits einen gewissen Schutz vor Angriffen, andererseits ist sie gelebte Solidarität.

Das Tent of Nations zieht auch immer wieder Delegationen aus dem Ausland an. So konnten wir eine schwedische Delegation bestehend aus Parlamentariern und Kirchenvertretungen bei einem morgendlichen Besuch des Geländes begleiten, die sich über die Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten ein eigenes Bild verschaffen wollte. Es wurde deutlich, dass einerseits der Druck der Weltgemeinschaft für ein Ende der Besatzung, für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung schnell und deutlich erhöht werden muss, und andererseits Initiativen zur Völkerverständigung stärker unterstützt werden sollten.
Wir weigern uns Opfer zu sein…
…und wir weigern uns zu hassen. Das ist das Motto der Familie Nassar. Immer wieder gehen auf ihrem Land neue Pflanzen ein oder werden zerstört. Der Druck auf die Familie seitens der Siedler war noch nie so groß, wie heute. Wenn es kein entschiedeneres Handeln der internationalen Gemeinschaft gibt, wird sich ihre Situation nur noch weiter verschlechtern, dessen sind sie sich bewusst.

Aber es werden auch immer wieder neue Bäume gepflanzt, die es schaffen groß und widerstandsfähig zu werden. Familie Nassar ist sich sicher: Am Ende überlebt der Olivenbaum und trägt Früchte – am Ende siegt die Gerechtigkeit.
Beate, im September 2025
Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Dieser Bericht gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerkes oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
[1] https://www.ochaopt.org/content/movement-and-access-update-west-bank-may-2025