Wie lange noch können sie dem Druck standhalten?

Palästinensische Bauern in den South Hebron Hills fürchten um ihre Existenz

Nadim*, auch nach seinem erstgeborenen Sohn Abu Achmad genannt, hat seinen kleinen Bauernhof im Osten des palästinensischen Dorfs Mantiqat Shi’B al Butum. Es ist ein für die Gegend typischer Mischbetrieb: Schafe, Ziegen, ein paar Gänse, Kaninchen, ein Bauerngarten mit Gemüse, ein paar Olivenbäume und in den Talauen Getreidefelder für Futtergerste und Weizen.

Früher hatte Nadim noch zwei Nachbarn. Doch die sind längst weggezogen, sie haben dem Druck der Siedler und deren gewalttätigen Übergriffen nicht mehr standgehalten. Bisher lebte der Bauer hier mit seiner Frau und der 16jährigen Tochter. Die vier Söhne sind verheiratet und aus dem Haus. Sie arbeiten in Yatta, Ramallah oder als Arbeitsmigranten in Israel, und kommen an den Wochenenden zur Unterstützung. Vor einiger Zeit hat Nadim seine Frau und seine Tochter zu Verwandten geschickt – die Lage ist ihm unheimlich geworden. Eines Nachts erschienen Soldaten, um die Ausweise der Familie zu kontrollieren. Er und seine Familie haben hier seit Generationen ihren Sitz, das sei den Behörden einschlägig bekannt, berichtet er uns. Wozu also eine solche Kontrolle? Er fühlt sich unter Druck gesetzt, seiner Frau und der Tochter möchte er diesen Zustand nicht zumuten.

Ein Siedler führt seine Schafherde mitten durch die Herden der palästinensischen Bauern; Foto © WCC-EAPPI/Rudolf

Nahezu täglich wird Nadim von Siedlern des benachbarten Siedlungsaußenpostens Avigayil bedrängt und bedroht. Es ist Frühling, seine Gersten- und Weizenfelder würden gedeihen, wären da nicht die Schafe und Ziegen der Siedler, die sich – geführt von jungen Siedlern – über seine Felder und die der anderen Gehöfte des Dorfes hermachen. Auch eine Strafanzeige von Nadim bei der israelischen Polizei hat bisher nichts an dieser Situation geändert. „Die Anzeigen liegen auf dem Polizeiposten in der Siedlung Kiryat Arba in der „Ablage“, so der verzweifelte Bauer.

Wir Ökumenische Begleiter:innen werden inzwischen fast täglich Zeug:innen solcher Übergriffe. Der Bauer Ijad* rief uns an, eine Viehherde der Siedler würde seine und die Felder der Nachbarn abfressen. Als wir eintrafen weideten in der Tat rund 90 Ziegen und Schafe, begleitet von zwei Hirten mit einem Esel, in der mit Getreide kultivierten Talniederung östlich seines Hofes. Mitglieder der Gruppe Center for Jewish Nonviolence waren schon vor Ort und hatten die israelische Polizei angerufen. Mit ihrem Fahrzeug verweilten die Beamten erst einmal bei den Siedlern und schlossen dann zu unserer Gruppe auf, wo Ijad seine Beschwerde vorbrachte. Die Polizisten sagten ihm, er könne Anzeige auf der Polizeistation in Kiryat Arba erstatten. Danach fuhren sie zurück zu den Siedlern, deren Ziegen und Schafe weiterhin friedlich im Acker der palästinensischen Bauern weideten, und unterhielten sich eine weitere halbe Stunde mit diesen, bevor sie schließlich wieder wegfuhren – ohne Konsequenzen.

Für den Folgetag hatten wir Ijad zugesagt, ihn beim Weidegang zu begleiten, um damit vielleicht zu verhindern, dass er und seine kleine Herde erneut von Siedlern bedrängt werden. Als wir gegen 9:00 Uhr im Weidegebiet ankamen, waren die Viehhalter bereits in heller Aufruhr, die Herden wurden zurück ins Dorf getrieben. Die Siedler hatten die Herden bereits angegriffen und kamen nun auch uns unangenehm nahe. Sie schrien uns auf Hebräisch sehr aggressiv an, was uns zum Rückzug veranlasste.

Ökumenische Begleiter:innen unterwegs mit Hirten in den South Hebron Hills; Foto © WCC-EAPPI/Rudolf

Wenigstens konnten wir Ijad auf dem weiteren Weidegang in eine andere Richtung begleiten. Die gleichen Siedler tauchten auch dort auf, beließen es aber bei unflätigen Gesten und Geschrei, so dass  Ijad sich nicht beirren ließ. Die Herde konnte abends mit vollen Bäuchen und die Muttertiere mit vollen Eutern den Stall aufsuchen.

Inzwischen haben sich die Herdenbesitzer des Dorfes zusammengetan und machen gemeinsame Weide nach dem Motto ‚In der Gruppe sind wir stärker‘, aber auch jetzt fragen sie unsere Begleitung an, damit wir zumindest dokumentieren, wenn es zu Vorfällen kommen sollte. Beweidet werden jetzt auch die eigenen Getreidefelder: „Lieber lassen wir unsere Ziegen und Schafe unsere sprießende Saat abweiden, als die Herden der Siedler“ so Abed*, ein weiterer engagierter Bauer und Viehhalter des Dorfes, der fest entschlossen ist, nicht aufzugeben.

Doch was ist die Folge, wenn Weidegründe aufgrund der Siedlerübergriffe nicht mehr genutzt werden können und stattdessen die eigene Ernte abgeweidet wird? Die Zufütterung mit gekauftem Viehfutter: Gerste und Kleie wird teuer, die Viehwirtschaft unrentabel, – es bleibt am Ende nur die Hofaufgabe, wenn die Gewalt der Siedler nicht gestoppt wird.

Ein Teil des Hofs von Mahmoud und Ahmed, auf dem Hügel im Hintergrund der neue Außenposten; Foto © WCC-EAPPI/Rudolf

Wir stellen uns die Frage, wie lange die Menschen das durchhalten können, wann die schiere Not einfach zu groß werden wird. Und bald schon werden wir mit dieser traurigen Realität konfrontiert. Mahmoud* und sein Bruder Ahmad* sind so weit. Ihr kleiner Hof in der Feldflur von Wedadie, nahe am Sperrzaun nach Israel und noch näher an einem neuen Siedlungsaußenposten, hat in den letzten Wochen so viele Übergriffe – auch nachts – durch die Siedler des Außenpostens erlebt, dass die kleine und junge Familie mit Säugling das Leben unter ständiger Bedrohung nicht mehr ertragen kann. Mahmoud hat uns mitgeteilt, dass er nach dem Ramadan die Hofstelle aufgibt und wegzieht. Er ist dankbar für die Präsens und Begleitung beim Weidegang durch uns und andere Gruppen. Aber es reicht nicht. Wenn niemand – Internationale oder Israelis – vor Ort war, so Mahmoud, kamen die Übergriffe, die mit Gewalt, Sachzerstörung und Todesandrohungen einhergingen. Wir wurden verschiedentlich Zeug:innen solcher Übergriffe, die aber abgebrochen wurden, wenn die Angreifer unserer Anwesenheit gewahr wurden. Der letzte nächtliche Übergriff mit Zerstörung der Käseproduktion hat den beiden nun den Rest gegeben. Dazu hat laut Mahmoud auch beigetragen, dass Soldaten in der Nähe waren, aber nicht eingegriffen hätten.

Und auch von Nadim gibt es keine guten Nachrichten: Nachdem junge Siedler nachts auf seinem Hof Reifen angezündet haben, hat er Todesangst. Wie lange wird die Begleitung von uns und anderen ihn noch vor der Hofaufgabe bewahren?

Nach der Hauszerstörung in Shib al-Butum wurde der Wasserspeicher wieder aufgerichtet, im Hintergrund der illegale Siedlungsaußenposten Avigayil; Foto © WCC-EAPPI/Rudolf

Die Überlegung, alles aufzugeben und wegzuziehen, wird durch einen weiteren Aspekt der Besatzungssituation angestoßen bzw. verstärkt: den Abriss von Hofstellen. Nur wenige Tage nach unseren Besuchen wurden allein in der Nachbarschaft von Nadim und Ijad vier Wohngebäude mit allen Einrichtungen wie Wassertanks und Solaranlagen durch die israelischen Behörden zerstört. Vier Familien stehen vor dem Nichts. Da nützen ihnen die aus der osmanischen Zeit stammenden verbrieften Bodenrechtstitel nicht viel. Die Behörden lassen palästinensische Baumaßnahmen in den sogenannten C-Gebieten der Westbank, die unter vollständiger israelischer Militärverwaltung stehen, so gut wie nicht zu. Den Bauern bleibt, in Zelte oder Höhlen zu ziehen oder ihre Hofstellen wieder aufzubauen, wenn sie den Mut haben, sich der Armee und den Siedlern entgegenzustellen. So sagte uns die Tochter eines der betroffenen Bauern: „Wir werden bleiben, das ist seit Generationen unser Land, das schon unsere Vorväter bewirtschaftet haben. Wo sollen wir auch hin, wir haben nur dieses Land, von dem wir leben. Wir lassen uns nicht vertreiben.“

Als Ökumenische Begleiter:innen können wir durch unsere Anwesenheit und unser Zuhören Solidarität zeigen und versprechen, dass wir als Augenzeug:innen in unseren Heimatländern berichten werden. Es ist diese Erwartung, die seitens der Familien in den South Hebron Hills immer wieder an uns und andere Begleitgruppen wie Center for Jewish Nonviolence oder die jüdisch-arabische Gruppe Ta’ayush herangetragen wird: Wir sollen mithelfen die internationale Gemeinschaft zu überzeugen, sich gegenüber Israel offen und mit Dringlichkeit für ein Ende der Besatzung und all ihrer negativen Auswirkungen und damit für die Wahrung von Menschenrechten einzusetzen. Die Familien in den South Hebron Hills, ganz ausdrücklich auch die Söhne und Töchter der Bauern und Bäuerinnen, erhoffen sich davon etwas eigentlich ganz Einfaches: Auf ihrem Land bleiben zu können, es wieder ganz normal und ohne Angst bewirtschaften zu können und damit ihre Existenz zu sichern.

*Namen geändert

Rudolf, im März 2023

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

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