M´ai – Ch´ai: Wasser ist Leben

Früh am Morgen treffen wir uns zu mit Elad Orian, dem Leiter der gemeinnützigen israelisch-palästinensischen Organisation „Comet Me“[1], die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Familien in den abgelegenen Dörfern der South Hebron Hills mit Elektrizität aus Sonnenenergie und sauberem Wasser mittels Wasserpumpen und Filteranlagen zu versorgen. Ausgerechnet während dieses Meetings zum Thema Strom und Wasserversorgung erfahren wir durch einen Anruf, dass Wasserleitungen in Masafer Yatta[2], in der Nähe des Dorfes At-Tuwani zerstört werden.

Zerstörung der Wasserleitungen in Masafer Yatta; Foto © EAPPI
Zerstörung der Wasserleitungen in Masafer Yatta; Foto © EAPPI

Die Leitungen waren erst im September letzten Jahres verlegt worden, um 12 Gemeinden in der Region mit Frischwasser zu versorgen. Da sie von den israelischen Behörden keine Genehmigung für das Verlegen von Wasserleitungen bekamen waren die Bewohner zuvor auf das Wasser aus ihren Zisternen angewiesen. Dieses reichte aber nicht aus, um Land und Vieh zu versorgen. So musste immer wieder zusätzlich Wasser, das von Tankfahrzeugen geliefert wird, teuer eingekauft werden.

Eine Wasserinfrastruktur ist in der Region durchaus vorhanden. Der israelische Wasserversorger Mekorot verlegte Leitungen in den gesamten South Hebron Hills, um Siedlungen[3] und Außenposten sowie landwirtschaftliche Projekte der Siedlungen wie Milchviehbetriebe, Gewächshäuser und Weinberge mit Wasser zu versorgen. Die israelische Firma bezieht das Wasser zum Teil aus dem Grundwasser in den besetzten Gebieten, so auch aus Masafer Yatta. Die Palästinenser dürfen nach den noch immer geltenden Übergangsregelungen der Osloer Verträge eigenes Wasser nur im begrenzten Maße[4] fördern. In Yatta, wo es Grundwasservorräte gibt, dürfte gar nicht gefördert werden, erklärt uns Nidal Yones, Vorsitzender des Gemeinderats von Massafer Yatta.

Die Infrastruktur für die Siedlungen verläuft in unmittelbarer Nähe der palästinensischen Dörfer, aber mit Ausnahme des Dorfes A-Tuwani wurde diesen Dörfern nie der Anschluss an die Wasserversorgung genehmigt. Stattdessen wurden Zerstörungsanordnungen gegen zahlreiche Wasserzisternen verhängt, mit der Begründung, sie seien ohne Genehmigungen gebaut worden. Und das, obwohl einige von ihnen noch aus der britischen Mandatszeit stammen[5].

Die zunehmende Wasserknappheit macht den von der Landwirtschaft lebenden palästinensischen Bauern große Probleme. Nachdem es im letzten Sommer zu erheblichen Engpässen in der Wasserversorgung gekommen war, entschied der Gemeinderat, die zwölf Gemeinden in Masafer Yatta an die Wasserversorgung der Nachbargemeinde A-Tuwani anzuschließen. Mitte Februar nun stürmten israelische Soldaten in A-Tuwani die Räumlichkeiten, in denen die Wasserpumpen sowie Messgeräte installiert sind, und untersuchten die Leitungen, die den östlichen Teil Masafer Yattas versorgen[6]. Das war offensichtlich der Auftakt, die Wasserversorgung der Bewohner in Masafer Yatta zu unterbinden.

Wir fahren durch die Berge zum Dorf Al Fakhet, wo die Zerstörung[7] aktuell stattfindet. Oberhalb des Dorfes sehen wir von der einspurigen Schotterstraße aus, dass sich die Kolonne, bestehend aus 14 Fahrzeugen (Militärfahrzeuge, Bagger, Geländewagen, Bulldozer), inzwischen die Straße hinaufbewegt, genau in unsere Richtung. Unser Fahrer ist besorgt, dass man ihn verhaften könnte, deshalb wendet er und fährt ins Nachbardorf Khalet Athaba. Von dort aus beobachten wir, wie die Fahrzeuge an der Zufahrtsstraße des Dorfes anhalten.

Arbeiter durchtrennen die Wasserleitungen in Masafer Yatta; Foto © EAPPI
Arbeiter durchtrennen die Wasserleitungen in Masafer Yatta; Foto © EAPPI

Wir können uns zu Fuß der Kolonne nähern. Aus den Fahrzeugen steigen Mitglieder der DCO (District Coordination Office der israelischen Armee), der Borderpolice, Arbeiter. Die Bagger graben die Straße auf, um die Wasserleitungen zu finden und aufzuheben. Es ist brutal mit anzusehen, wie die Leitungen mit einer Säge durchtrennt werden und das Wasser herausströmt und versickert. Gleichzeitig verliert das Dorf seine Wasserzufuhr. Die Leitungen werden systematisch in Abschnitte von 2 bis 3 Metern zerschnitten und konfisziert.

Ein Schäfer kommt mit seiner Herde zum Dorf, um seine Schafe zu tränken. Er sieht was passiert ist, stellt sich den Soldaten empört entgegen und redet verzweifelt auf sie ein. Dabei höre ich immer wieder das Wort M´ai.

Das Wort erinnert mich an eine Situation vor mehr als 30 Jahren. Für eine Friedensorganisation arbeitete ich in Israel und nahm bei einer pensionierten Lehrerin etwas Hebräischunterricht. Von ihr lernte ich vor allem, dass Sprache nicht nur eine Funktion hat, sondern dass sich in der Sprache eine ganze Welt widerspiegelt. So erklärte sie mir, dass Wasser im Hebräischen M´aim heißt. Dieses Wort hat dieselbe Wurzel wie Ch´aim, was Leben bedeutet. Das hat mich damals berührt, ich habe es bis heute nicht vergessen. Das arabische Wort M´ai bedeutet Wasser, Ch´ai heißt Leben. Beide Wörter haben dieselbe Wurzel: Wasser bedeutet Leben. Das Zerschneiden der Wasserleitungen ruft in mir die Assoziation des Durchtrennens von Arterien hervor. Nimmt man den Menschen das Wasser, zerstört man ihre Lebensgrundlage.

Ein lokaler Schäfer redet mit israelischen Soldaten während der Zerstörung der Wasserleitungen in Massafer Yatta; Foto © EAPPI
Ein lokaler Schäfer redet mit israelischen Soldaten während der Zerstörung der Wasserleitungen in Massafer Yatta; Foto © EAPPI

Die Baufahrzeuge fahren schließlich im Schritttempo weiter ins nächste Dorf, nach Al Rakhez, wo auf dieselbe Weise die Straße beschädigt wird, um Leitungen zu finden. Auch hier versucht ein Schäfer erfolglos durch heftiges Reden, die Armee und die Polizei davon zu überzeugen, von der Zerstörung der Wasserversorgung abzusehen. Immer wieder höre ich auch von ihm: M´ai!

Wir folgen der Kolonne mehr als fünf Stunden. Zumindest in den ersten beiden Stunden können wir das Geschehen problemlos dokumentieren. Niemand hält uns davon ab. Als wir schließlich aufgefordert werden, Abstand einzuhalten liegt das wohl eher daran, dass wir bei den Arbeiten im Weg stehen.

Nidal Yones, der Vorsitzende des Gemeinderats, hatte sich gleich zu Beginn der Zerstörungsmaßnahme vor Ort an den Verantwortlichen der DCO gewandt und protestiert. Er wurde kurzer Hand festgenommen und in eines der mit Gittern versehenen Fahrzeuge eingesperrt. Nach Beendigung der Maßnahme wurde er wieder freigelassen. Er erklärt uns, dass 12 kleine Dörfer mit über 1500 Menschen von der Zerstörungsaktion betroffen sind.

In seinem Bericht zur Menschenrechtssituation in den besetzten palästinensischen Gebieten wies der UN-Generalsekretär 2017 darauf hin, dass es einer Besatzungsmacht nicht nur untersagt ist, die eigenen Bevölkerung in den besetzten Gebieten anzusiedeln, sondern auch, die in den besetzten Gebieten ansässige Bevölkerung umzusiedeln. Diese erzwungene Umsiedlung könne auch ausgelöst werden durch Lebensumstände, die den betroffenen Menschen keine andere Wahl lassen, als fortzugehen[8]. Die Zerstörung der Wasserleitungen in den South Hebron Hills könnte ein solcher Schritt sein, die Menschen in dieser Region aus ihrem Leben auf ihrem Land zu vertreiben.

Christiane, im Februar 2019

 

Ich nehme für pax christi Deutschland am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] http://comet-me.org/

[2] Masafer Yatta ist eine Ansammlung von 19 kleinen palästinensischen Weilern, südlich von Hebron, in Area C. Das Gebiet wird von der israelischen Armee als „Feuerzone 918“ bezeichnet und für militärische Übungen genutzt. Zwölf traditionelle palästinensische Dörfer, die im Übungsgelände gelegen sind, erhielten 1999 vollständige Zerstörungsanordnungen. Etwa 700 Einwohner*innen wurden Ende 1999 aus den Dörfern vertrieben. Seit 2000 gehen einige der Familien gegen die Zerstörungsanordnungen gerichtlich vor. Z.Zt. sind mehr als 1000 Bewohner*innen von Vertreibung bedroht.

Vgl.: https://law.acri.org.il/en/2016/02/21/firing-zone-918-infosheet/

[3] Laut IV. Genfer Konvention, Artikel 49, darf eine Besatzungsmacht nicht Teile der eigenen Bevölkerung in den besetzten Gebieten ansiedeln. Hinzu kommt, dass die Versorgung der unter Besatzung lebenden Bevölkerung sichergestellt werden muss.

[4] https://www.btselem.org/water

[5]https://www.btselem.org/video/20190214_civil_administration_cuts_and_confiscates_water_pipe_servicing_12_communities_in_masafer_yatta#full

[6] https://www.maannews.com/Content.aspx?id=782511

[7]https://www.btselem.org/video/20190214_civil_administration_cuts_and_confiscates_water_pipe_servicing_12_communities_in_masafer_yatta

[8] https://www.ochaopt.org/content/coercive-environment-intensified-herding-communities-southern-hebron

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