Festhalten an Zeichen der Hoffnung

Setzlinge im Tent of Nations; © WCC-EAPPI/Simon

„Wer Bäume pflanzt, hat noch Hoffnung für die Zukunft. Wer Bäume pflanzt, leistet gewaltlosen Widerstand. Wer Bäume pflanzt, sichert das Land. Wer Bäume pflanzt, wird aktiv.“ Aus dem Mund von Daoud Nassar, Mitglied der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem, sind diese Worte nicht selbstverständlich, denn manch eine:r hätte nach einem jahrzehntelangen Kampf um das eigene Land sicherlich schon längst aufgegeben.

1991 erklärten die israelischen Behörden den Hof der Familie Nassar und das umliegende Gebiet zum „Staatsland“, obwohl die Familie im Besitz aller ursprünglichen Grundbucheintragungen aus den Jahren 1924/1925 ist und das Land bis heute kontinuierlich bewirtschaftet hat. Fünf israelische Siedlungen wachsen seit Jahrzehnten auf den Hügeln rund um die Farm. Seit den 90ern müssen die Nassars ihr Land vor israelischen (Militär)Gerichten verteidigen, sei es gegen den Abriss von landwirtschaftlichen Gebäuden, Wasserzisternen und Zelten oder gegen die vollständige Enteignung.

Daher Nassar erzählt, dass eine der alten Höhlen auf dem Hof schon seit jeher als Ort für Zusammenkünfte genutzt wurde, zum Beispiel für Gottesdienste; © WCC-EAPPI/Simon

Im Jahr 2007 entschied der Oberste Gerichtshof Israels, dass die Nassars mit der von Israel geforderten Neuregistrierung ihres Landes beginnen können. In den folgenden fast 16 Jahren musste dieser Prozess mehrfach neu gestartet werden, zum Teil wegen verschwundener Unterlagen bei den Behörden oder wegen nicht vor Gericht erschienener Staatsanwälte und Zeugen.

Zuletzt hatten überraschenderweise neun palästinensische Parteien Einspruch gegen die Registrierung eingelegt. Nachdem diese mit einer Ausnahme vom Gericht wegen nicht vorgelegter Unterlagen zurückgewiesen worden waren, erschien die letzte Partei nicht zum Termin Anfang März 2023. Weder eine schriftliche Erklärung noch angekündigte Zeugenaussagen wurden vorgelegt. Dennoch entschied das Gericht, einen neuen Termin im Mai anzusetzen.

Aufzugeben, das ist für die Nassars keine Option. Genauso wenig aber möchten sie in eine Opfer-Mentalität verfallen oder gar gewaltsamen Widerstand leisten. Stattdessen lautet das Motto ihres sog. „Tent of Nations“ seit vielen Jahren: Wir weigern uns, Feinde zu sein.

Das Bepflanzen des eigenen Landes hat auch eine rechtliche Dimension. Häufig stützen sich israelische Behörden argumentativ auf ein Gesetz aus der osmanischen Zeit, nach dem Landbesitz, der über mehrere Jahre ungenutzt bleibt, als Staatsland konfisziert werden kann. Deshalb ist das Pflanzen von Bäumen zugleich gewaltloser Widerstand als auch Sicherung des eigenen Landbesitzes.

Daneben aber zählt für die Nassars auch die Symbolik des Pflanzens. Das ganze Jahr über besuchen Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus der Region und der ganzen Welt ihren Weinberg. Ihnen erzählt Daoud Nassar immer wieder die Geschichte seiner Familie. Viele von ihnen helfen dann ganz konkret vor Ort mit und packen an. Und erzählen dann zu Hause die Geschichte weiter.

Ökumenische Begleiterin bei einer der derzeit regelmäßig stattfindenden Pflanzaktionen im Tent of Nations; © WCC-EAPPI/Simon

So sehen auch wir Teilnehmende des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel unsere Aufgabe. Gerade in der frühen Jahreszeit, in der weniger internationale Gäste als im Rest des Jahres vor Ort sind, ist schützende Präsenz auf dem Grundstück wichtig. Wenn Besucher:innen da sind, gibt es weniger Übergriffe – dieser Zusammenhang ist sehr deutlich, wie Daoud Nassar betont. Und wenn wir schon einmal da sind, wird auch mal mit angefasst und die Schaufel in die Hand genommen. Die Arbeit ist nicht einfach, der Boden steinig. Nach einiger Zeit haben wir die ersten Blasen an den ungeübten Händen. Daher Nassar, der Älteste der neun Geschwister, lacht, zeigt seine von vielen Jahren Landwirtschaft gezeichneten Hände, kündigt verständnisvoll eine Pause an und serviert einen arabischen Kaffee. Wie sein Bruder Daoud hat er im letzten Jahr bei einem Überfall auf ihrem eigenen Land auch persönlich Gewalt am eigenen Leib erlebt.  Aber auch er hält an der Hoffnung fest und freut sich über alle, die bei der wöchentlichen Pflanz-Aktion mithelfen.

Gewalt kann sich hier in den besetzten palästinensischen Gebieten nicht nur persönlich, sondern auch systemisch zeigen. Diese Form von Gewalt hat die Familie in ihrem jahrelangen Kampf vor verschiedenen israelischen Militär- und Zivilgerichten erlebt. Gefährdet ist das „Tent of Nations“ außerdem durch die mögliche Fertigstellung der Sperranlagen, die den Weinberg vom 7km entfernten Bethlehem isolieren würde. Nicht zuletzt deshalb betont Daoud Nassar: „Unser Widerstand muss weiter kreativ bleiben. Wir hoffen auf das Beste. Aber wir müssen uns zugleich auf das Schlimmste vorbereiten.“ Und so ist aufgrund der Tatsache, dass israelische Behörden weiterhin verhindern, dass das Gelände an Strom und Wasser angeschlossen wird, eine möglichst weitreichende Autarkie das Ziel. Neben den Zisternen und der Solaranlage, für die Abrissbefehle vorliegen, denken die Nassars über kleine Windanlagen auf ihrem Hügel nach.

Wir weigern uns, Feinde zu sein – Das Motto der Familie Nassar; © WCC-EAPPI/Simon

„Vielleicht werden wir die Ergebnisse unserer Bemühungen und unseres Widerstandes noch nicht sehen können. Aber dann vielleicht unsere Kinder und Enkelkinder.“ sagt Daoud Nassar. Und bis dahin pflanzen sie weiter mit Menschen aus aller Welt Bäume. Als Akt des Widerstands. Und als Zeichen der Hoffnung.

Simon, im März 2023

Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

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