Der Kampf für eine Schule

Ende April 2023 besuchten Mitarbeiter:innen diplomatischer Vertretungen aus zwölf Ländern, darunter auch Deutschlands, eine kleine Schule östlich von Bethlehem. Doch auch dieses Zeichen der Solidarität konnte den Abriss der Schule nicht verhindern.

Dina* und ihre Freundin Fatima* waren immer früh dran. Morgens viertel nach sieben, eine halbe Stunde vor Schulbeginn, war es noch angenehm kühl auf dem Schulhof. Im schmalen Schatten des Mimosenbuschs ließ es sich gut tuscheln und kichern, besonders über die Besucher:innen von fern her, die mehrmals in der Woche am Zaun standen und mit „Guten Morgen“ und „Wie heißt du?“ auf Arabisch ein Gespräch begannen, nur um dann nicht mehr weiter zu wissen. Dina konnte darüber lachen, aber die Achtjährige wusste auch, warum die kleine Gruppe Internationaler regelmäßig bei ihrer Grundschule hereinschaute.

Die häufige internationale Präsenz an der Schule von Jubbet Adh Dhib, einschließlich des Besuchs der Mitarbeiter:innen diplomatischer Vertretungen noch Ende April, hat nichts genützt. Schule und Schulhof gibt es nicht mehr. Die Büsche am Zaun haben die Bagger, die am Sonntag, 7. Mai, schon morgens halb vier mit der Zerstörung begannen, bei ihrem gewaltsamen Einsatz geknickt.

Sechs Jahre lang kämpfte das Frauenkomitee des kleinen Ortes Jubbet Adh Dhib östlich von Bethlehem für diese Schule. Die bescheidene Grundschule mit ihren vier Klassen- und einem Lehrerzimmer samt Küche wurde 2017 gebaut, etwas außerhalb des Dorfes auf einem Stück Land, das Privatleute der Gemeinde zur Verfügung gestellt hatten. Das Grundstück befindet sich – was entscheidend ist – in Zone C, also jenem Gebiet, das vollständig unter israelischer Kontrolle steht. Palästinenser:innen dürfen in Zone C, immerhin mehr als 60 Prozent der Fläche der Westbank, nichts ohne Genehmigung der israelischen Behörden bauen oder ausbauen. Genehmigungen, die so gut wie nie ausgestellt werden, ganz anders als für die immer weiteren Raum greifenden israelischen Siedlungen[1].

40 Kinder, 25 Mädchen und 15 Jungs zwischen sechs und zehn, freuten sich jeden Tag auf das Zusammensein in dem bunt bemalten Gebäude oder auf dem Schulhof. Denn auch wenn freitags und samstags keine Schule war, kamen die Kinder gern her. Es gibt sonst keinen nahegelegenen Spielplatz, und hier standen wenigstens ein paar Klettergerüste. Doch die fröhliche Idylle fand ein Ende, als die Zerstörungsanordnung, die schon seit ihrem Bau gegen die kleine Schule verhängt worden war, von der israelischen Zivilverwaltung umgesetzt wurde.

Dass die Schule zumindest im Bezirk Bethlehem einen gewissen Ruhm und Symbolstatus erlangt hatte, ging auch auf den Einsatz der Männer von Jubbet Adh Dhib und umliegender Dörfer zurück. Denn am Vorabend der Eröffnung im August 2017 wurde das zunächst mit EU-Mitteln finanzierte Gebäude von den Besatzungsbehörden schon einmal abgerissen. Den Start des Schuljahres erlebten die Kinder in einem rasch herbeigebrachten Zelt. Da das Fundament aber noch stand, errichteten die Männer nur wenige Tage später ein neues Gebäude.

Kinder von Jubbet Adh Dhib beobachten von weitem den Abtransport der Trümmer ihrer Grundschule; © WCC-EAPPI/Sabine
Kinder von Jubbet Adh Dhib beobachten von weitem den Abtransport der Trümmer ihrer Grundschule; © WCC-EAPPI/Sabine

Für 50 Schulen in den C-Gebieten bedeutet die Tatsache, dass sie nicht im städtischen, von palästinensischen Behörden zumindest teilweise kontrollierten A- oder B-Gebiet liegen, aktuell die drohende Zerstörung[2]. Auch acht Schulen in Ost-Jerusalem sind von Zerstörungsandrohungen betroffen.

Längst nicht alle Schulen haben überhaupt genügend Unterstützung, um wenigstens den Versuch unternehmen zum können, juristisch gegen diese Anordnungen vorzugehen. Jubbet Adh Dhib hatte den Beistand von Nicht-Regierungs-Organisationen wie der Society of St. Yves und dem Internationalen Roten Kreuz, die sich dafür einsetzen, dass Kinder den ihnen auch unter der Besatzung nach internationalem Recht zustehenden Zugang zu Bildung haben. Die Rechtsanwält:innen der katholischen Menschenrechtsorganisation Society of St. Yves führen stellvertretend den juristischen Kampf gegen den Abriss vieler dieser Gebäude[3]. Es ist, so wurde uns bei einem Besuch im Büro der Organisation berichtet, fast ausnahmslos ein Kampf gegen Windmühlen.

Im Fall von Jubbet Adh Dhib waren zuletzt fast alle juristischen Mittel erschöpft. Noch Anfang März hatte die Society of St. Yves eine Eingabe[4] an den Obersten Gerichtshof Israels geschickt und Gebühren hinterlegt, um die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Höchsten Gericht zu erreichen – doch zu einer Fortsetzung des Verfahrens kam es nicht mehr. Am 8. März entschied das Jerusalemer Bezirksgericht, dass die israelische Zivilverwaltung die Schule abreißen darf.

Hier stand wenige Stunden zuvor die Grundschule von Jubbet Adh Dhib; © WCC-EAPPI/Sabine
Hier stand wenige Stunden zuvor die Grundschule von Jubbet Adh Dhib; © WCC-EAPPI/Sabine

Das Gericht entschied damit gegen die mehrjährigen Bemühungen der Menschen aus Jubbet Adh Dibh, vertreten durch die Society of St. Yves, nachträglich von der israelischen Zivilverwaltung eine Baugenehmigung für die Schule zu erwirken, und für eine Petition der siedlernahen israelischen NGO Regavim[5], die gegen die Verschiebung des Abrisses der Schule geklagt hatte.[6] Die NGO stützte sich in ihrer Argumentation auf ein Gutachten der Israelischen Zivilverwaltung von 2018, wonach das Schulgebäude nicht sicher gewesen sei. Laut UNOCHA wurde das Gutachten vor der Fertigstellung des Gebäudes erstellt.[7]

Mit Ablauf der vom Gericht festgelegten 60- Tage-Frist für den Abriss kamen die Bagger und Lastwagen, geschützt von Militärfahrzeugen und dutzenden Soldaten. Halb neun morgens waren von der Schule nur noch ein paar im Schlamm versunkene Fetzen von Lehrbüchern oder Heften zu sehen. Alles andere hatten die Lastwagen abtransportiert, nicht einmal Schutt war übrig geblieben. Ein paar Tränengaskartuschen erinnerten an die Auseinandersetzung, die sich eine Gruppe nicht nur junger Männer am Rande des Abrisses mit den Soldaten geliefert hatte.

Kaum war das Militär abgezogen, da strömten Menschen aus Jubbet Adh Dhib, Pressevertreter und Offizielle auf den verwüsteten Platz. Die Lehrerinnen und einige Kinder, die in einem Haus nebenan zuvor von mehreren Soldaten festgehalten worden waren, mussten die Tränen unterdrücken, um Interviews zu geben. Der Bethlehemer Bildungsminister versprach den Wiederaufbau der Schule. Und tatsächlich, schon am nächsten Morgen boten zwei rasch aufgestellte Zelte Platz für Tische und Stühle, war das Grundstück eingeebnet und trockengelegt für Baugitter und die Steine, die am Rand des Platzes schon bereitstanden. „Sie reißen ab, aber wir bauen auf. Das ist unsere Stärke“, sagten uns die Menschen und machten sich bereit, die Geschichte von Jubbet Adh Dhib, die viele Held:innen kennt, weiterzuschreiben. Während die EU mit einem Statement den Abriss verurteilte[8], deutsche und internationale Medien berichteten, begannen sie mit dem Wiederaufbau.

Doch die beharrliche Einsatzbereitschaft der Dorfbevölkerung und ihrer Unterstützer:innen führte nicht weit. Drei Tage nach der Zerstörung erhielten wir die Nachricht, dass die Bagger der israelischen Zivilverwaltung erneut angerückt waren. Die Behelfsschule und die Baumaterialien wurden konfisziert, das Gebiet von den Soldaten großräumig abgesperrt. Niemand darf nun dem ehemaligen Schulgrundstück noch nahekommen.

Artikel 50 der IV. Genfer Konvention unterstreicht, dass Besatzungsbehörden – in Zusammenarbeit mit den Ortsbehörden – den Betrieb von Einrichtungen der Pflege und Erziehung von Kindern erleichtern sollen. Die Realität in den C-Gebieten der Westbank ist eine andere, nun ganz akut auch wieder für die Kinder von Jubbet Adh Dhib. Die nächste Grundschule ist 3 km entfernt, doch wie uns gesagt wurde ist sie viel zu klein, um die 40 Kinder aus dem Dorf aufzunehmen. Darüber hinaus müssten diese – in Ermangelung von Transportmöglichkeiten – den Schulweg durch die umliegenden Hügel zu Fuß bestreiten, in Sorge, dort auf Armee oder Siedler zu treffen oder sich auf dem Weg Verletzungen zuzuziehen.

Wenn keine Lösung für Jubbet Adh Dhib gefunden wird, dann werden Dina, Fatima und ihre Schulfreund:innen in Zukunft diesen Weg gehen müssen.

Sabine, im Mai 2023

* Namen geändert

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

Titelbild: Die Schule von Jubbet Adh Dhib nur wenige Tage vor dem Abriss; © WCC-EAPPI/Sabine

[1] https://peacenow.org.il/en/approvals-for-palestinians-in-area-c-2009-2020

 [2] https://reliefweb.int/report/occupied-palestinian-territory/humanitarian-alert-schools-risk-demolition-9-march-2023

[3] https://www.saintyves.org/front/programs

[4] https://www.saintyves.org/news/urgent-call-for-action-save-jub-a-deeb-school-at-imminent-risk-of-demolition.html

[5] https://www.haaretz.com/israel-news/2023-04-27/ty-article-magazine/.premium/this-pro-settler-ngo-has-been-shaping-israeli-policy-for-years-now-its-in-control/00000187-c2cc-d628-ade7-c7ed62700000

[6] https://peacenow.org.il/en/a-palestinian-school-at-jubbet-adh-dib-is-at-high-risk-of-demolition-following-district-court-ruling

[7] https://reliefweb.int/report/occupied-palestinian-territory/humanitarian-alert-schools-risk-demolition-9-march-2023

[8] https://www.eeas.europa.eu/eeas/israelpalestine-statement-spokesperson-demolition-jubbet-adh-dhib-school_en?s=206

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