Achiyas Weg zu Breaking the Silence

Teil 2 der Portraitreihe: Unter Besatzung – Palästinensische und israelische Alltagsstimmen

Achiya Schatz in Hebron
Achiya Schatz in Hebron

„Ich kann niemals Palästinenser sein. Aber ich kann ein Israeli sein, der aus seinen Erfahrungen lernt und darüber spricht. Auf diese Weise kann ich mich der Besatzung als Israeli widersetzen. Als Israeli, der sein Land liebt, der aber dazu beitragen möchte, dass der Wandel kommt!“
Achiya Schatz bezeichnet dies auch als „co-Widerstand“ und bedient sich dabei der Worte Issa Amros, Palästinenser und Gründer der Youth Against Settlements (YAS)-Organisation. Ein Besuch im YAS-Haus ist fester Bestandteil seiner Breaking the Silence-Tour in Hebron – nicht nur wegen des fantastischen Ausblicks über die Altstadt. Achiya Schatz kann nur als ehemaliger Soldat sprechen. Die Perspektive der Besetzten müssten die Palästinenser*innen selbst erzählen.
Am 28.07.2015 nahm ich mit meinen EA-Kolleg*innen an einer Breaking the Silence-Tour durch Hebron teil. Die israelische Organisation Breaking the Silence wurde 2004 von Soldat*innen gegründet, die während ihres Wehrdienstes unter anderem in Hebron stationiert waren. Bisher wurden Augenzeugenberichte von mehr als 1.000 Soldat*innen aus der Westbank, Ost-Jerusalem und Gaza gesammelt und veröffentlicht. Ihr Ziel ist es, das Schweigen über die erlebte Realität in diesen Einsätzen zu brechen, und die israelische Gesellschaft darüber zu informieren, was in ihrem Namen und im Namen der Sicherheit in den besetzten israelischen Gebieten passiert. Denn diese Realität ist oftmals von Plünderungen, Misshandlungen von Palästinenser*innen und Zerstörung von palästinensischem Eigentum geprägt. Dabei sind dies laut Achiya Schatz nicht nur bloße Ausnahmen, wie es in der israelischen Gesellschaft oft wahrgenommen wird1, sondern Teil der Strategie: „Das ist die Mission des Militärs: Sorgt dafür, dass man eure Anwesenheit spürt!“ Und er fügt hinzu: „Die Realität ist: 650 Soldat*innen schützen 850 jüdische Siedler*innen in einer palästinensischen Stadt mit 200.000 Einwohner*innen, das hat nichts mit der Sicherheit Israels zu tun“.

Doch was es ihn kostet, das weit verbreitete Schweigen zu brechen, zeigt uns seine Tour durch Hebron sehr anschaulich. Im israelisch kontrollierten Bereich Hebrons, dessen Zugang für Palästinenser*innen teilweise gesperrt ist, wird Achiya von einem allseits bekannten Siedler belästigt: Ofer Ohana filmt ihn und versucht möglichst viel Lärm zu machen, damit Achiya seine Geschichte nicht erzählen kann. Er stiftet sogar Siedlerkinder an, es ihm gleich zu tun, so dass sie Lärm machen und mit Wasserbomben auf die Gruppe werfen. Auch den Soldaten in der Nähe erklärt er, welche „Lügen“ Achiya seiner Meinung nach verbreite, so dass auch diese beginnen, ihn zu belästigen und zu beschimpfen. Uns als Zuhörer*innen fordern sie auf, seine Lügen nicht zu glauben. Achiya bleibt bei all dem bewundernswert ruhig und nimmt die Soldat*innen sogar noch in Schutz: „Sie sind noch so jung und leicht beeinflussbar. Sie wissen es nicht besser!“.

Achiya im Gespräch mit Soldaten an einem Checkpoint in Hebron
Achiya im Gespräch mit Soldaten an einem Checkpoint in Hebron

Dann hat er noch die Geduld und Muße, sich während der Mittagspause weiter mit ihnen auseinanderzusetzen und sucht bewusst den Dialog mit ihnen. Ob er glaubt, dass dieses Gespräch den einen oder anderen zum Umdenken gebracht hat, frage ich ihn: „Nein, dafür reicht ein Gespräch am Checkpoint nicht aus. Aber es ist schon lustig: Erst haben sie mich beschimpft, dann meinten sie, ich sollte in die Politik gehen. Das heißt, sie akzeptieren zumindest meinen Standpunkt. Und sie müssen sich nun all diesen Fragen stellen. Das ist der erste Schritt.“ Er habe in dem Gespräch hauptsächlich für sein Recht auf freie Meinungsäußerung plädiert. Woher er diese Kraft und Motivation nimmt, sich all dem immer und immer wieder auszusetzen, frage ich weiter. „Ich kann nicht in Israel leben ohne etwas gegen die Besatzung zu unternehmen. Für mich ist es einfach das, was wir tun müssen – eine Art moralische Verpflichtung“.

Die Entscheidung, sich für Breaking the Silence zu engagieren, traf er erst nach seinem Wehrdienst. Als Soldat empfand er alles, was er tat, als sehr normal. Es war Routine. Er sah Palästinenser*innen, alle Palästinenser*innen, als Bedrohung – weil es ihm so während seiner Ausbildung beigebracht worden war. Nur in Ansätzen empfand er eine Kluft zwischen dem, was er im Training gehört hatte und den Tatsachen im Einsatz. Erst am Ende seines Wehrdienstes verstand er, dass er sich inmitten einer zivilen Bevölkerung bewegte und handelte und sein Tun einen großen, meist negativen Einfluss auf das Leben normaler Menschen hatte. Mit diesen Gedanken reiste er, wie viele der ehemaligen israelischen Soldat*innen, durch die Welt – nach Südafrika und in die USA. Mit zunehmender zeitlicher und räumlicher Distanz begann er, seinen Militärdienst und seine eigenen Handlungen als Soldat immer stärker zu hinterfragen. Es war eine schwierige Zeit, aber am Ende auch eine Art Befreiungsschlag. Der Kontakt zu Mitglieder*innen von Breaking the Silence half ihm, den größeren Kontext der Besatzung besser zu verstehen und gab ihm die Bestätigung, mit seinen Gedanken nicht allein zu sein.

Corinna, August 2015

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