Mit gewissem Abstand

Rückblick auf eine Zeit als ökumenischer Begleiter in Bethlehem

erschienen im Schneller-Magazin 02/2016

Denis_BethlehemIch bin zurück im gewohnten und wohlbehüteten Umfeld, zurück in einer Realität, die sich erst einmal gar nicht mehr nach meiner anfühlt. Drei Monate können ganz schön prägend sein. Die Zeit als EA (Ecumenical Accompanier, ökumenischer Beobachter) ist sehr intensiv gewesen und voll an neuen Eindrücken. Und die muss ich nach meiner Rückkehr aus Bethlehem erst einmal aufarbeiten.

Die Befürchtung, beim Erzählen auf ein gewisses Unverständnis zu treffen, hat sich bewahrheitet. Damit meine ich nicht etwa fehlende Empathie gegenüber dem Leid und der Angst, welche das Leben vieler Menschen im Westjordanland dominiert, sondern vielmehr die Gefühle, die mich persönlich umtreiben. Als die Situation vor Ort Ende des vergangenen Jahres weiter eskalierte, machte sich bei mir, der ich wieder zurück in der Heimat war, ein Gefühl der Ohnmacht breit. Natürlich sagte ich mir immer wieder, dass wir als Team in Bethlehem auch nicht überall hatten sein können, um Vorfälle zu dokumentieren oder gar zu verhindern. Doch vor Ort konnten wir tatsächlich Anteil am Leben einiger Familien nehmen. Ja, wir hatten das Gefühl, gebraucht zu werden.

Sowohl während meiner Zeit im Westjordanland als auch zurück in Deutschland wurde ich mit kritischen Meinungen konfrontiert, welche die Sinnhaftigkeit des EAPPI-Programms infrage stellten. Rückblickend kann ich aber sagen, dass ich nach meinem Einsatz noch überzeugter von der Idee des ökumenischen Beobachters bin. Wir sahen hin, hörten zu, teilten das Leben vor Ort und schlossen Freundschaften mit außergewöhnlichen Menschen. Der Einsatz brachte uns als Team, bestehend aus sechs Leuten unterschiedlicher Herkunft (Brasilien, Finnland, Dänemark, etc.), näher zusammen. Wir empfanden es als Bereicherung, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Ich sah es als Privileg an, die Schicksale palästinensischer Männer, Frauen und Kinder teilen zu dürfen und genoss das mir entgegengebrachte Vertrauen. Natürlich merkte ich auch, wie emotional fordernd dies sein kann. Ich verstand mich als Sprachrohr der Unterdrückten und verspürte den Drang mitzuteilen, was ich in den drei Monaten erlebt habe. Doch dieser Drang wurde durch die Abreise und den damit folgenden Szenenwechsel in den ersten Wochen nach meiner Rückkehr stark ausgebremst. Ich merkte, was das Erlebte mit mir machte. Zum ersten Mal herrschte wirklich Ruhe, um innezuhalten und die Erfahrungen Revue passieren zu lassen. Mich erwischte eine Art Leerlauf. Mir fehlten fast die täglichen Widrigkeiten des palästinensischen Alltags (am Checkpoint, an den Schulen, im Straßenverkehr, bei der Olivenernte etc.). Auf einmal konnte ich mich nicht mehr solidarisch an die Seite der Menschen stellen. Andererseits war ich dankbar, dass zu Hause alles in Ordnung war.

Nach dem Schuldgefühl, gewisse Schicksale hinter mir gelassen zu haben, kam eine Phase der Indifferenz gegenüber den Zuständen vor Ort: „Ich kann es doch eh nicht ändern und es ist Ballast für mich!“. Eine der wichtigsten Lehren aus meinem Einsatz als EA ist, dass ich zukünftig noch wachsamer gegenüber der Ungerechtigkeit um uns herum sein möchte. Dies motiviert mich letztlich immer wieder, über die Arbeit von EAPPI und andere lokale israelische und palästinensische Organisationen zu berichten und in meiner Heimat für ihre Anliegen Bewusstsein zu schaffen. Ich nutze mein eigenes kleines Netzwerk von Bekannten, Familien und Freunden, um die Botschaft der Menschen im Westjordanland und Israel zu streuen. Als internationale ökumenische Begleiter hatten wir das Privileg, Stimmen aus beiden Lagern zu hören. Allzu oft sagten sie dasselbe. Einerseits sitzt die Angst vor den „Anderen“, die unumstritten durch die mediale Reizüberflutung angeheizt wird, tief. Andererseits wünschen sich viele einfach nur ein friedvolles Miteinander. Diese Tatsache brachte mich oft zum Verzweifeln, ich dachte: „Ach, wenn sie einander nur wirklich (zu)hören könnten“.

Trotz der Zuspitzung des Konflikts innerhalb der letzten Monate werde ich weiterhin auf eine bessere Zukunft hoffen, zusammen mit all den wundervollen Menschen, die mich „Sumud“, auf Deutsch „Standfestigkeit“, lehrten.

Denis Daut war 2015 von der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) in das Ökumenische Begleitprogramm für Palästina und Israel (EAPPI) entsandt worden.

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