Begegnungen

Ahmeds Schafe in den South Hebron Hills, im Hintergrund die Siedlung Susya ©EAPPI
Ahmeds Schafe in den South Hebron Hills, im Hintergrund die Siedlung Susya; ©EAPPI

Vor einiger Zeit besuchte ich unsere EAPPI-Kolleginnen im Einsatzgebiet südlich der Stadt Hebron. Im Rahmen unserer „Protective Presence“, der teilnehmend-beschützenden Anwesenheit, wie ich es übersetzen möchte, lernte ich den Schäfer Ahmed kennen. Der Schäfer begleitet ohne einen Hund, aber mit seinen energischen unterschiedlichen Rufen und Tönen, etwa 70 Schafe, die in dem kargen Boden immer noch Essbares finden, und sei es das Stroh von der letzten Ernte, das vom leichten Durchpflügen noch obenauf liegt. Es hat ja seit mindestens 3 Monaten nicht mehr geregnet, und etwa ebenso lang muss man auch noch auf die nächste Regenzeit warten.

Die Begegnung mit Ahmed und die Begleitung des Schäfers und seiner Schafe könnten etwas wahrhaft Pastorales haben. Doch die Stille und Beschaulichkeit hält nicht lange an. Eine Gruppe junger Männer kommt aus Richtung der nahegelegenen Siedlung Susya auf uns zu, sie bedrängen uns und pöbeln uns an, allerdings ohne uns anzufassen. Einer von ihnen kommt mir sehr nah und redet mit lauter Stimme auf Hebräisch auf mich ein. Ich habe fast das Gefühl, dass er unmittelbar davor ist, mich auch körperlich anzustoßen und sage ihm auf Englisch, dass er von mir ablassen soll. Derlei Begegnungen muss ich nicht unbedingt mehrmals erleben, unsere Kolleg*innen hier in den South Hebron Hills haben solche Szenen aber schon häufiger erlebt.

Eine Tage zuvor hatte es bereits eine ähnliche Begegnung zwischen jugendlichen Siedlern und Ahmed und den EAs gegeben; © EAPPI
Eine Tage zuvor hatte es bereits eine ähnliche Begegnung zwischen jugendlichen Siedlern und Ahmed und den EAs gegeben; © EAPPI

Ich habe Mühe, mich zurück zu halten und mich nicht einzulassen auf eine offensichtlich aussichtslose, da schon rein sprachlich schwer mögliche Diskussion. Die beiden hiesigen EAPPI-Kolleginnen reagieren schon mit routiniertem „neutralem“ und nicht-aggressivem Schweigen, auch sie werden verbal attackiert. Wenn es die Situation zulässt machen sie Fotos, um die Geschehnisse  zu dokumentieren. Auch der Schäfer hat ein Handy und filmt sogar damit, als die Siedler sich auf uns konzentrieren. Es ist fast schon bizarr, denn auch einer der jungen Siedler hat sein Handy herausgeholt und filmt uns ununterbrochen. Wir sind mit dem Schäfer in einem für die Siedler sensiblen Gebiet. Nicht etwa an der sogenannten „Grünen Linie“, die das Westjordanland ganz hier in der Nähe von Israel trennt, sondern an einer imaginären, also für das Auge nicht sichtbaren Grenze im Umfeld von Siedlungen und Militärposten. Hier, wo Ahmed seit Jahren seine Schafe hütet, weiten sich die nach internationalem Recht illegalen Siedlungen immer mehr aus, es geht um Besitzansprüche, darum, Menschen wie Ahmed deutlich zu machen, dass er hier keine Rechte mehr hat.

Meine EAPPI-Kollegin hat, als die Siedler sich etwas von uns entfernen, per Telefon Unterstützung erbeten über unseren Fahrer, der zusammen mit einem palästinensischen Field Worker der israelischen Menschenrechtsorganisation B‘Tselem auch sehr bald erscheint. Dieser spricht mit den Siedlern und macht ihnen deutlich, dass Ahmed sehr wohl seine Schafe hier grasen lassen darf. Daraufhin lassen sie vorerst von uns ab.

Die jugendlichen Siedler versuchen nun ebenfalls, jemanden im vorbeifahrenden Auto dazu zu winken, der aber ablehnt und weiterfährt. Unsere Kolleginnen erzählen, dass in der Vergangenheit bei derartigen Vorfällen israelische Soldaten dazugekommen wären. Die Siedler hätten dann die Vorkommnisse anders dargestellt, so als hätten die Ökumenischen Begleiter*innen und/oder der Schäfer sie belästigt. Das aber geschieht diesmal nicht. Nun also ziehen sie sich zurück und wir atmen durch – fast überfallartig und doch aus der Erfahrung heraus immer erwartet, tauchten sie auf. Neue Stimmen aus dem nahen Wäldchen weisen auf weitere Siedler hin, die aber nicht zu uns kommen.

So wandern wir also mit Schafen und Schäfer über die abgeernteten Felder im mittlerweile nach 17 Uhr weniger drängenden Sonnenlicht des Spätnachmittags zurück und verabschieden uns.

Von unserem Fahrer werden wir zwei km nordöstlich per Auto und dann zu Fuß zur nächsten Station an diesem Tag, Matiqat Shi‘b a Butum, gebracht, um unsere „schützende Präsenz“ zu einer Bäuerin mit 5 Kindern in den kargen Hügeln zu verlagern, wo wir bekannt sind und selbstverständlich einen Schlafplatz bekommen: einfache Matte, 2 Kopfkissen und 2 Decken für draußen, denn drinnen in der Hütte ist es eng und stickig von der Tageshitze. Ihr Mann ist wohl selten da und arbeitet woanders; jedenfalls war er kein Thema. Und wir wollten auch nicht unhöflich nachfragen.

Das Grundstück der Bäuerin in den South Hebron Hills, auf dem gegenüberliegenden Hügel der Siedlungs-Außenposten; ©EAPPI
Das Grundstück der Bäuerin in den South Hebron Hills, auf dem gegenüberliegenden Hügel der Siedlungs-Außenposten; ©EAPPI

Draußen verbringen wir eine Nacht mit wundervollem Himmel und Mondsichel, aber auch mit viel Wind, sodass wir die Decken wirklich brauchen. Meinen mitgebrachten Schlafsack nehme ich als Kopfkissen und lasse lieber Schuhe und alle Kleidung an. Abends und morgens bekommen wir Tee und ganz frisch nebenan gebackenes Fladenbrot, dass die Mutter für uns und die Kinder bäckt. Wie sie das alles schafft, weiß ich nicht. Sie ist freundlich zurückhaltend; wir haben massive Sprachprobleme, aber mit den Kindern kommen wir auch ohne viele Worte klar. Mit den beiden Hunden und den ca. 25 Schafen auch, hören zudem Hahn und Hühner und Küken, sehen ein Putenpaar, das abends aus einem Autowrack, ihrem Stall, herausgelassen wird. Die Hunde bleiben auf freundlicher Distanz. Bukolisch, wenn da nicht wären: die auch hier immer wieder stattfindenden Belästigungen durch Siedler aus einem Außenposten mit Containern und ersten Häusern auf dem Hügel gegenüber.

Tatsächlich gab es am Vorabend noch eine Begegnung, jedoch nicht mit Siedlern, sondern mit den ehemaligen Nachbarn der Familie, die mittlerweile aufgrund der schwierigen Umstände weggezogen sind, teilweise bis nach Jordanien. So entwickelte sich noch ein schönes Gespräch zwischen uns am Boden auf den Matratzen liegend und ihnen, die uns umstanden: neben Kleinkindern je 2-3 palästinensischen Männern und Frauen. Alles so provisorisch und freundlich; entspannt und gespannt; verletzlich und vertrauensvoll. Irgendwie unrealistisch, denke ich nachher.

Am nächsten Morgen nach Sonnenaufgang gehen wir um 6 Uhr bis an den Rand des hiesigen Hügels, damit wir von den erst vor wenigen Jahren zugezogenen Siedlern auf dem gegenüberliegenden Hügel gesehen werden können.  Auch das gehört zur Routine der schützenden Präsenz.

Reinhard, August 2017

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