Wo jede Ernte politisch ist

Arbeit auf dem Feld unterhalb des Außenpostens © EAPPI
Arbeit auf dem Feld unterhalb des Außenpostens © EAPPI

Wenige Tage vor Ramadan erreicht uns der Anruf einer Familie aus der Gegend. Wir sollen bei der Ernte dabei sein an einem Flecken, der uns als „Um Leskwas“ benannt wurde. Das muss klein sein und ziemlich ab vom Schuss, denn diesen Ortsnamen haben wir noch nie gehört und finden ihn auch auf keiner Karte. Und das, obwohl wir uns mittlerweile in „unserem“ Gebiet in den südlichen Hebronhügeln doch ganz gut auskennen. Meist ist das Farmland nicht weit vom Dorf, in dem die Menschen leben, dieses Stück aber, so lernen wir, hat eine ganz besondere Lage. Es ist eingezwängt zwischen den israelischen Siedlungsaußenposten Mitzpe Yair und Nof Nesher, auch als Lucifer Farm bekannt. Siedlungen und Außenposten sind nach internationalem Recht illegal, Außenposten auch nach israelischem Recht, auch wenn die Praxis häufig anders aussieht[1]. Seit einer Gesetzesänderung Anfang 2017 können illegale Außenposten auf palästinensischem Privatland zudem rückwirkend legalisiert werden[2].

Die Ernte soll noch vor Ramadan eingefahren werden, denn während der Fastenzeit wird die Arbeit umso härter. Also sind wir da. In aller Frühe hat unser Fahrer uns so nah wie möglich abgesetzt, ein junger Mann führt uns durch Hügel und Felder, damit wir nicht ortsunkundig versehentlich in einer der Siedlungen landen. So finden wir uns am Fuß des Außenpostens Nof Nesher wieder. Hier hat sich Mitte der 90ger Jahre eine einzige Familie angesiedelt, die ursprünglich aus Südafrika stammte. Wir hatten bereits gehört, dass palästinensische Farmer aber auch israelische Aktivisten in der Vergangenheit immer wieder von Familienmitgliedern in der Nähe des Außenpostens bedrängt wurden.

Wir ernten auf kleinen Feldern im Tal, der illegale Außenposten und Zuhause der Siedler liegt oben auf dem Hügel. Wir sind von oben gut sichtbar, können jedoch selbst die Farm nur hinter Stacheldraht erahnen. Viele Siedlungen und Außenposten in der Westbank befinden sich auf Hügeln. Plötzlich verstehe ich, was damit bewirkt wird: Die Lage im Tal fühlt sich verletzlich an.

Handarbeit © EAPPI
Handarbeit © EAPPI

Doch die Arbeit lenkt ab. Es gibt eine Handvoll Sicheln, die nicht für alle reichen. So ernten wir von Hand die kurzen Halme, zu kurz für jede denkbare Erntemaschine. Hier gibt es keine Alternative. Ich denke an die Menschen zu Hause in unserer Bauerschaft, viele davon Nebenerwerbslandwirte. Etliche nehmen für die Ernte Lohnunternehmer unter Vertrag, die mit riesigen Maschinen noch riesigere Flächen abarbeiten. Dagegen erscheint das alles hier sehr kümmerlich und dünn gesät. Der mögliche Ertrag scheint mir eher mäßig zu sein. Die Palästinenser klagen darüber, dass die Siedler ihre Schafe durch die Felder treiben, wann immer sich die Gelegenheit ergibt.

Dann kommt Unruhe auf. „Ein Siedler“, rufen die Palästinenser uns zu. Sie haben ihn längst gesehen. Ich suche noch den Hügel mit dem Auge ab bis ich das Gefährt entdecke, das sich uns nähert, ein geländegängiges Quad in militärischem Grün. Eine junge Palästinenserin hat bereits die Handkamera parat, die in dieser verkehrten Welt zur ganz normalen Erntegerätschaft gehört. Fotos, Filmen, internationale Präsenz: das sind die Bausteine der Deeskalation eines palästinensischen Landwirts. Sie versuchen, Übergriffen vorzubeugen oder sie wenigstens zu belegen. Dann ein Handschlag und es entspinnt sich zwischen Siedler und Palästinensern ein langes Gespräch auf Hebräisch. Wir filmen mit und verstehen wenig. Doch ein paar Worte schnappe ich auf: „B’Tselem“, „Ta’ayush“ und „Provokazija“ meine ich zu hören. B’Tselem und Ta’ayush sind uns gut bekannt: befreundete israelische bzw. israelisch-palästinensische Menschenrechts- und Aktivistenorganisationen, mit denen wir zusammen arbeiten. In der Gegend sind sie gut bekannt und oft präsent.

Ein Siedler vom Außenposten Nof Nesher (Mitte) konfrontiert die Farmer © EAPPI
Ein Siedler vom Außenposten Nof Nesher (Mitte) konfrontiert die Farmer © EAPPI

Das Gespräch dreht sich, so berichtet uns die Familie später, um Grenzziehungen zwischen Hügel und Feld, die der Siedler meint klarstellen zu müssen. Die Palästinenser verweisen höflich, aber bestimmt auf die Anwälte, die dies regeln. Manche gehen zurück an die Arbeit und irgendwann löst die Gruppe sich auf. Später erfahren wir, dass auch wir Gegenstand des Gesprächs waren: Warum wir hier sind, warum überhaupt immer Organisationen hinzugezogen werden und dass dies eine Provokation darstelle. Diplomatisch haben die Palästinenser darauf verwiesen, dass wir Gäste im Land und daher freundlich zu behandeln sind. Ich staune über so viel Langmut.

Spärliche Ernte © EAPPI
Spärliche Ernte © EAPPI

Und ich verstehe Schritt für Schritt, worum es in dieser Ernte geht. Hier ist nicht der Ertrag der einzige und vielleicht nicht einmal der ausschlaggebende Aspekt. Hier findet Widerstand gegen zunehmende Landnahme statt. Den großen Rahmen für Enteignungen liefert die israelische Gesetzgebung: wenn das Land für drei Jahre nicht bewirtschaftet wurde, kann es verstaatlicht werden; verstaatlichte Flächen werden dann zumeist israelischem Nutzen zugeführt, sei es für Siedlungen oder Militär.[3] Die kleinen praktischen Schritte auf dem Weg zur Enteignung leisten die Siedler teilweise selbst. Pflügen, Säen, Ernten: jeder Arbeitsschritt kann zu einem Machtkampf zwischen Siedlern und Palästinensern werden. Mal wird „nur“ der Pflug blockiert, mal die ganze Zugangsstraße, mitunter werden Hunde zur Einschüchterung eingesetzt, immer wieder kommt es zu Gewalt. Auf einer Informationstour der israelischen Organisation Breaking the Silence hörten wir vor einiger Zeit außerdem dazu: Drohnen werden genutzt, um zu belegen, ob und welches Stück Land bewirtschaftet wurde. Auch deshalb würden die Palästinenser immer zuerst die Hügelkuppen verlieren. Denn das ist Weideland für Schafe und Ziegen. Anders als beim Ackerland zeigten die Drohnenbilder keine eindeutige Nutzung. Das widerspenstige Gestrüpp, das auf den trockenen Böden zuhause ist und uns in die Beine sticht, scheint immer gleichmütig grün dazustehen.

Rückweg mit dem Traktor © EAPPI
Rückweg mit dem Traktor © EAPPI

Mittlerweile ist der Leihtraktor auf unserem Feld angekommen und wir bringen unsere Ernte ein. Die könnte üppiger sein, aber immerhin ist ein weiteres Jahr Landnutzung belegt und ein Erntetag ohne Gewalt vergangen. Auf dem Nachbarfeld ist noch viel zu tun. Wir stellen den Wecker auf 5 Uhr früh.

Britta, Juni 2018

[1] In der Westbank (ohne Ost-Jerusalem) gibt es 132 Siedlungen, die offiziell in Planungsverfahren durch den Staat Israel eingerichtet wurden. Hinzu kommen 97 Außenposten, die nach israelischem Recht illegal sind. Gleichwohl werden sie durch Infrastrukturmaßnahmen wie den Anschluss an Straßen-, Wasser-, und Stromnetz durch Israel unterstützt. 2016 lebten in diesen Siedlungen und Außenposten knapp 400.000 israelische Bürger und Bürgerinnen. Dies entspricht 12% der Bevölkerung der Westbank (ohne Ost-Jerusalem).

Quelle: http://peacenow.org.il/en/settlements-watch/settlements-data/population

[2] Regularization Law

[3] Siehe: B’Tselem: Under the Guise of Legality. Israel’s Declaration of State Land in the West Bank. 2012, insb Kapitel 2 zur Entwicklung der Landrechtsgesetzgebung. https://www.btselem.org/publications/summaries/201203_under_the_guise_of_legality

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner