Wir rennen für unsere Freiheit

Läufer*innen aus Palästina beim Marathon in
Läufer*innen aus Palästina beim Marathon in Kopenhagen

Wir schreiben den 18. Oktober, die neuen Ökumenischen Begleiter*innen (EAs) der Gruppe 58 haben sich zwischenzeitlich in ihren 6 Einsatzorten im Westjordanland und Ostjerusalem eingefunden. Doch der 18. Oktober markiert auch eine andere, alarmierende Marke. So sind seit Monatsbeginn 7 Israelis und 40 Palästinenser ums Leben gekommen.Die aktuellen Ausschreitungen werden wie so oft von zwei Narrativen untermalt. Aus palästinensischer Perspektive lässt sich die derzeitige Auflehnung, allen voran der jungen Generation, aus der allgemeinen Besatzungssituation und den daraus resultierenden Konsequenzen im Alltag für das palästinensische Volk herleiten. Als Auslöser für die jüngsten Ausschreitungen werden die Besuche nationalistischer Israelis und/oder orthodoxer Juden auf dem Areal des „Haram al Sharif“ (Tempelberg) empfunden. Die bloße Präsenz am drittheiligsten Ort der Muslime, mit Billigung der Regierung, stellt laut Meinung vieler Palästinenser eine reine Provokation für sie dar.

Auf israelischer Seite gibt es kaum Verständnis für diese Auslegung. Aufgrund des mangelnden Bewusstseins für die alltäglichen Probleme der Palästinenser unter Besatzung geht eine zunehmende Zahl von Israelis davon aus, dass es einfach in der Natur der Palästinenser, der Araber, der Muslime liegt, das jüdische Volk verletzten, vertreiben und töten zu wollen. Dass alle Palästinenser Terroristen sind, die nur auf den richtigen Moment warten, einen Angriff zu starten. Politiker und Medien befeuern diese Argumente bedauerlicherweise stetig.

Tatsächlich aber ist eben jener Jahrzehnte andauernde Konflikt komplexer als er uns von den Medien und den politischen Protagonisten vermittelt wird und vor allem nicht „schwarz/weiß“. Unser Privileg ebenso wie unsere Aufgabe als EAs mit internationalem Beobachterstatus verstehe ich daher auch als Möglichkeit, teils auf israelischer und vor allem auf palästinensischer Seite genau hinsehen und beobachten zu können, um letztlich diese Eindrücke in unsere jeweilige Heimat zu tragen. Wie im Vorspann bereits vermittelt deuten die aktuellen Entwicklungen auf keinerlei Annäherung hin. Genau aus diesem Grund möchte ich diesen ersten Blogeintrag nutzen, um über etwas Positives zu berichten, denn davon gibt es im Heiligen Land trotz der Zerrissenheit reichlich. So kann ich an dieser Stelle von „Glück“ sprechen, nach nicht einmal 3 Wochen in Bethlehem einige wundervolle und beeindruckende Menschen und Geschichten kennengelernt zu haben.

George Zaydan nach einem erfolgreichen Lauf (Foto Elias Halabi)
George Zaydan nach einem erfolgreichen Lauf (Foto Elias Halabi)

Eine dieser bewegenden und hoffnungsvollen Geschichten handelt von George Zaydan und der „Right to Movement“ – Initiative (Recht auf Bewegung) in Beit Jala/Bethlehem. Alles begann im Jahr 2012 in Kopenhagen, als zwei Däninnen die Idee hatten, einen Marathon in Palästina zu organisieren und einen Partner vor Ort für das Projekt und dessen Umsetzung suchten. Sie wollten auf die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung aufmerksam machen, deren Alltag von Checkpoints und Mauern geprägt ist. Gleichzeitig wollten sie ein positives Zeichen setzen, eine Botschaft des gewaltfreien Widerstands um die Welt senden und so das Recht auf Bewegungsfreiheit zurückfordern.

Auch wenn es für George, wie er zu mir sagte, „absolutes Neuland“ war, da er sonst leidenschaftlicher Basketballer ist, war er begeistert von der Idee, einen eigenen Marathon in seiner Stadt, Bethlehem, austragen zu können. Der heute 26-jährige, der für die Entsendeorganisation unserer dänischen Kolleg*innen (DanChurchAid) in Jerusalem arbeitet, hat seither großes geleistet. So war er federführend für die Organisation von bereits drei erfolgreichen Marathons in Bethlehem verantwortlich, nahm selbst an zwei Läufen im Westjordanland und jeweils einem Lauf in San Francisco und Kopenhagen teil. Nach dem ersten Marathon in Bethlehem wurden Menschen in anderen Teilen der Welt motiviert, sich der Kampagne anzuschließen. So gibt es neben der RtM – Gruppe in Bethlehem 12 weitere Gruppen in verschiedenen Regionen weltweit, wie beispielsweise in Accra (Ghana), Amman (Jordanien) und Alexandria (Ägypten). Das Team aus Bethlehem hat in drei weiteren Städten im Westjordanland Sportler*innen mit der „RtM“ – Idee inspiriert.

Die Right to Movement Trainingsgruppe in Bethlehem
Die Right to Movement Trainingsgruppe in Bethlehem

Ich selbst konnte mich vom ambitionierten Geist von George und seinem Team in Bethlehem überzeugen. Vom ersten Training an waren wir EAs aus Bethlehem, Ina, Barbara und ich, ein Teil der Idee. Ohne jegliche Scheu war es auch uns möglich zu sehen, wie man dem Alltag der Besatzung, wenn auch nur für ein paar Stunden, entfliehen kann. Toleranz, Sportsgeist und große Ambitionen stecken in unseren neuen Freunden. Bei jedem Training werden wir daran erinnert, dass uns Menschen doch häufig die gleichen Bedürfnisse einen. Also schwitzen wir zusammen, lachen und können gemeinsam loslassen. Ich war schier beeindruckt von Georges Worten, der mir sein Engagement wie folgt erklärte: „Weißt du Denis, ich kann mich zuhause verkriechen; das wird aber weder etwas ändern, noch werde ich mich besser fühlen. Ich könnte Steine werfen gegen die israelische Übermacht, damit mein Leben riskieren und meine Eltern im Stich lassen. Ich habe daher für mich die Entscheidung getroffen, durch den Sport ein Zeichen zu setzen, mich aus meiner Opferrolle herauszulösen und so die Aufmerksamkeit auf mich und uns Palästinenser zu ziehen. Im Prinzip möchte ich auch nichts weiter als frei sein, der Sport und RtM helfen mir dabei“.

Angesteckt von der Idee, versuchen wir nach Möglichkeit, geschlossen als EAPPI – Bethlehem, das Training wöchentlich mit zu erleben und zu gestalten.

Für interessierte bzw. ambitionierte Besucher des schönen Bethlehems:

Di.: Laufgruppe/Intervall und Zirkeltraining ab 17Uhr
Do.: Hatha und Power Yoga ab 18Uhr
Sa.: Marathonvorbereitung/Laufgruppe ab 5.30Uhr

Der nächste Palästina Marathon in Bethlehem ist für den 01.April 2016 geplant – für weitere Informationen siehe: http://righttomovement.org/calendar/

Für generelle Informationen gilt folgender Link: http://righttomovement.org

Facebook: https://www.facebook.com/righttomovement.org

Denis, Oktober 2015

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