Wem gehört das Land?

Ibrahim ist ein schlanker, stattlicher Mann in den Fünfzigern. In ruhigen Worten erläutert er uns die Geschichte seines Kampfes um sein Land. Farata, das Dorf, in dem Ibrahim mit seiner Familie lebt, liegt am östlichen Rand einer der beiden „Siedlungsfinger“, die von Qalqiliya aus tief in die Westbank bis an die Stadtgrenzen von Nablus hineinragen.

Außerhalb dieses sogenannten „Kedumim-Fingers“ wurde im Jahr 2002 von Siedlern ein sogenannter „Outpost“ mit Namen Havat Gilad[1] (auch „Gilad Farm“) gegründet. Solche Außenposten wurden bisher auch von der israelischen Seite als illegal betrachtet, weil sie ohne Genehmigung staatlicher Behörden errichtet wurden. Gleichwohl besteht diese provisorische Siedlung, die aus Caravans und mobilen Häusern errichtet wurde, nun schon bald 16 Jahre. Die Gründung von abgelegenen Außenposten mitten in der Westbank ist häufig ideologisch motiviert, während in den großen Siedlungsblöcken nahe der Grünen Linie überwiegend Menschen wohnen, die von ökonomischen Gedanken geleitet sind.

Blick von Farata auf den Außenposten Havat Gilad (rote Dächer). Der Hügel mit Olivenhainen im Vordergrund darf derzeit von den Einwohnern Faratas nicht ohne weiteres betreten werden. Ibrahims Olivenhain befindet sich auf der dem Außenposten zugewandten Seite des Hügels ©EAPPI
Blick von Farata auf den Außenposten Havat Gilad (rote Dächer). Der Hügel mit Olivenhainen im Vordergrund darf derzeit von den Einwohnern Faratas nicht ohne weiteres betreten werden. Ibrahims Olivenhain befindet sich auf der dem Außenposten zugewandten Seite des Hügels ©EAPPI

Ibrahim erzählt uns, dass er schon mehrmals Klage vor israelischen Gerichten gegen die schleichende Landnahme durch den Außenposten und/ oder die damit verbundenen Zugangsbeschränkungen zu seinen Ländereien eingereicht hat.

Die Karte zeigt den sogenannten „Kedumim-Finger“, an dessen östlichem Ende Farata und Havat Gilad (Gilad Farm) liegen. ©B‘Tselem
Die Karte zeigt den sogenannten „Kedumim-Finger“, an dessen östlichem Ende Farata und Havat Gilad (Gilad Farm) liegen. ©B‘Tselem

Diese Prozesse, die Zeit, Geld und Nerven kosten, können sich über Jahre hinziehen. Es ist kompliziert und aufwendig für palästinensische Bürger ihre Landrechte geltend zu machen, weil hier unterschiedliche Rechtssysteme und Auffassungen über Besitzrechte miteinander kollidieren. Hinzu kommt, dass in der Wahrnehmung der palästinensischen Bevölkerung die Gerichte nur selten zu ihren Gunsten und für die Siedler entscheiden.

Der Außenposten Havat Gilad ist tatsächlich schon mehrfach von der israelischen Armee geräumt, jedoch von den Siedlern wieder errichtet worden[2]. Die Siedler nehmen für sich in Anspruch, Grund und Boden rechtmäßig erworben zu haben. Laut PeaceNow trifft dies jedoch nur auf einen sehr kleinen Teil der heute bebauten Fläche zu[3]. Ähnlich wie Ibrahim haben auch zahlreiche Bewohner der umliegenden Gemeinden gegen den Außenposten Klagen eingereicht. Wenn man den Maßstab des humanitären Völkerrechts anlegt, sind alle israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten illegal, gleichgültig ob sie gemäß israelischem Recht als legal oder illegal gelten, denn eine Besatzungsmacht darf in besetzten Gebieten nicht die Ansiedlung von Teilen der eigenen Bevölkerung zulassen[4].

Ibrahim berichtet uns von der Situation seines Dorfes ©EAPPI
Ibrahim berichtet uns von der Situation seines Dorfes ©EAPPI

Und auch im Alltag hat der Außenposten Auswirkungen auf die Gemeinde Farata. Die Rabbiner für Menschenrechte dokumentieren auf ihrer Webseite Übergriffe von Siedlern auf Bauern, Zerstörung von Olivenbäumen und Diebstahl der Olivenernte[5]. Zwischen dem Ende des Dorfes und dem Außenposten liegt nur eine Hügelkuppe. Auf der zu Havat Gilad hin abfallenden Hügelseite besitzt Ibrahim einen Olivenhain. Diesen Olivenhain kann er, so erzählt er uns, aufgrund der zahlreichen Übergriffe schon lange nicht mehr ohne den Schutz des israelischen Militärs bewirtschaften.

Diese Aufgabe nimmt die Armee zu bestimmten Zeiten auch wahr, aber es bedarf dazu einiger administrativer Vorbereitung: Ibrahim muss sich zunächst an den palästinensischen Teil des sogenannten District Coordination Office (DCO) wenden. Das DCO ist eine israelisch-palästinensische Koordinierungsstelle für zivile Angelegenheiten der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Die palästinensische Stelle leitet Anträge an die israelische Seite weiter und dort werden, so eine Genehmigung erteilt wurde, die entsprechenden Einsätze abgestimmt. Das erfordert natürlich einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Wenn dann irgendetwas dazwischen kommt und der Termin nicht wahrgenommen werden kann, beginnt das Spiel aufs Neue. Das führt dazu, dass Ibrahim oft wochenlang nicht in seinen Olivenhain gehen kann. Und auch wenn Soldaten anwesend sind ist nicht garantiert, dass Übergriffe ausbleiben[6].

Havat Gilad hat vor kurzem noch aus einem anderen Grund eine traurige Berühmtheit erlangt. Am 09. Januar diesen Jahres wurde Raziel Shevach, ein Rabbi und Einwohner von Havat Gilad, von Hamas-Anhängern ermordet, als er in der Nähe der Siedlung mit seinem Auto unterwegs war. Über diesen Vorfall wurde, so war es mein Eindruck, in den deutschen Medien kaum berichtet[7]. Die mutmaßlichen Täter stammten aus dem etwa 40 km entfernten Jenin, sie wurden recht schnell identifiziert, es gab Verhaftungen und der Hauptverdächtige wurde im Laufe einer Konfrontation von der israelischen Armee erschossen, sein Haus zerstört.

Obwohl die Menschen aus Farata und den umliegenden Gemeinden nichts mit dem Mord an Raziel Shevach zu tun hatten, bekamen sie schon am folgenden Tag Wut und Zorn der aufgebrachten Siedler zu spüren. In dem in Fußnote 7 erwähnten Artikel aus der Jüdischen Allgemeinen wird berichtet, dass die Siedler Steine auf vorbeifahrende Palästinenser-Autos geworfen haben. Ibrahim erzählt uns, dass sie darüber hinaus versuchten, in das Dorf Farata einzudringen. Auch hier haben sie einige Häuser mit Steinen beworfen und Fensterscheiben eingeschmissen. Einige der Siedler seien bewaffnet gewesen. Ibrahim sagt: „Insbesondere die Kinder haben einen Riesenschreck bekommen, als die Siedler ins Dorf kamen. Gott sei Dank war die israelische Armee schnell vor Ort und hat sie wieder zurück nach Havat Gilad eskortiert.“

Doch auch der Zwischenfall mit den ins Dorf eindringenden Siedlern hat für die Bewohner von Farata nur wieder zu einer weiteren Zugangsverschärfung zu ihrem eigenen Land geführt. War bis dahin nur die dem Außenposten zugewandte Seite des Hügels unbetretbar, so ist jetzt die „Sicherheitszone“ auf den ganzen Hügel ausgedehnt worden, d.h. auch die Farata zugewandte Seite darf jetzt nicht mehr ohne weiteres betreten werden.

Darüber hinaus hat die Regierung Netanyahu den Mord an Rabbi Shevach zum Anlass genommen, den Prozess zur Legalisierung des Außenpostens anzustoßen, das israelische Parlament stimmte am 4.Februar dafür. Eine solche nachträgliche Legalisierung eines eigentlich illegalen Außenpostens ist seit einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2016 möglich geworden. Dies wird sicherlich zu einer Ausweitung der Siedlung und zu neuen Streitigkeiten führen. Schon während des Begräbnisses für Rabbi Shevach gab es deutliche Forderungen eines Siedlers in Bezug auf die Palästinenser: „Wir sollten sie aus diesem Land wegschaffen, und das jüdische Volk ansiedeln. Das Land Israel ist unser, ausschließlich unser.“ [Übers. v. mir][8].

Blick von Ibrahims Dach auf die wunderbare Landschaft ©EAPPI
Blick von Ibrahims Dach auf die wunderbare Landschaft ©EAPPI

Olivenbauer Ibrahim aus Farata möchte eigentlich nur in Frieden seine Bäume und Felder bewirtschaften. Er und seine Nachbarn aber müssen unter den Folgen der Besatzung und des Konflikts leiden. Umso mehr bewundere ich seine ruhige, überlegte Art. Zum Abschluss unseres Besuches führt uns Ibrahim auf das Dach seines Hauses. An diesem leicht bewölkten Vormittag ist die Luft durch den nächtlichen Regen rein gewaschen und wir genießen einen vollkommenen Rundumblick auf eine immer noch wunderbare Landschaft.

Jochen, Februar 2018

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Havat_Gilad

[2] Siehe z.B. : https://www.haaretz.com/1.5129210 / https://www.haaretz.com/1.5139350

[3] http://peacenow.org.il/en/israel-must-not-authorize-havat-gilad-outpost

[4] IV. Genfer Konvention, Artikel 49

[5] http://rhr.org.il/eng/tag/farata/

[6] http://rhr.org.il/eng/2017/03/palestinian-farmers-report-attacked-israeli-extremists-soldiers-stand/

[7] a.) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/mordanschlag-westjordanland/1214114

b.) http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30576

[8] http://www.jpost.com/Arab-Israeli-Conflict/Rabbi-Raizel-Shevach-buried-near-Havat-Gilad-outpost-533358

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner