„Von welcher Hoffnung sprecht Ihr?“ – Beduinen und Hirten im Jordantal

Abed mit seiner Enkelin
Abed mit seiner Enkelin

Abed lebt mit seiner ca. 20 köpfigen Familie ca. 40 km nördlich von Jericho in der von Israel seit 1967 besetzten Westbank in Zone C, die so gut wie vollständig unter israelischer Kontrolle steht. Sie sind Hirten. Schafe, Ziegen und die Kinder sind ihr einziger Reichtum.

Insgesamt sechs Mal mussten sie bislang die Zerstörung ihres gesamten Hab und Guts durch die israelische Zivilverwaltung und das Militär erfahren. Bulldozer zerstörten alles, sogar das Futter für die Tiere. Drei Mal wurden sie gewaltsam von ihrem Weideland vertrieben. Drei seiner Söhne haben nach den letzten Zerstörungen im August 2014 aufgegeben. Sie arbeiten nun für israelische Siedler im Jordantal – für ca. 10 Euro am Tag. Langsam schwindet für Abed jegliche Hoffnung auf ein Überleben als Hirtenfamilie. Er weiß nicht mehr, wo sie sich niederlassen können, um die Tiere zu weiden. Ihm geht es ähnlich wie den Beduinen, die nach dem israelisch-arabischen Krieg 1948 u.a. aus der Negev-Wüste vertrieben wurden. Sie sind Halbnomaden und nach Stämmen organisiert: Jahalen, Ka’abneh, Rashaydeh, Ramadeen, Azazme.

Es soll nach Angaben der UN (Vereinte Nationen) etwa 5.000 Beduinenfamilien und ca. 5.000 Hirtenfamilien in der Westbank geben . Hirten sind oftmals stärker als die Beduinen an bestehende kleine Dörfer angebunden (gewesen). Im Jordantal, Zone C/Westbank (d.h. unter vollständiger israelischer Verwaltungs- und Sicherheitskontrolle), leben ca. 60% der Beduinen der besetzten Gebiete. Für Beduinen oder Hirten wird der Lebensraum immer enger. Die Lebensgrundlagen sind existentiell gefährdet, wenn sie ihre Tiere nicht mehr über Berge und Täler treiben dürfen. Überall sind Militärzonen eingerichtet oder ausgeweitet worden, Naturreservate wurden von den israelischen Behörden geschaffen, Straßen nur für Siedler wurden angelegt, sie durchziehen ursprüngliche Weidegebiete, ein Überqueren ist nicht mehr möglich.

Abu Faisal (rechts) erwirtschaftet den Lebensunterhalt für seine Familie mit Tierhaltung
Abu Faisal (rechts) erwirtschaftet den Lebensunterhalt für seine Familie mit Tierhaltung

Wie Abu Faisal, der mit seiner Familie in einem größeren Beduinendorf lebt, beziehen 90 % der Beduinen ihren Lebensunterhalt über die Haltung von vor allem Schafen und Ziegen. Etwa 85% dieser Gemeinschaften verfügen weder über Wasser noch über Elektrizität. Die meisten der Beduinen haben bereits „demolition orders“ (Zerstörungsanordnungen) erhalten, d. h. sie werden gezwungen zu gehen und ihr Land, auf dem sie oft schon seit Jahrzehnten leben, zu verlassen. Sollten sie dies nicht tun, droht ihnen die Räumung. Etwa 6.000 palästinensische Beduinen – so schätzt die UN – wurden seit 2008 vertrieben, weil sie keine Genehmigungen für ihre Zelte hatten.
Hinzu kommen die Bedrohungen durch die jüdischen Siedler, die nach internationalem Recht illegal in den palästinensischen Gebieten leben (s. Genfer Konvention IV, Art. 49) und deren Ziel es ist, die Weidegebiete der Beduinen immer mehr einzuschränken – fest davon überzeugt, dass es ihr von Gott verheißenes Land ist.

Seit letztem Jahr ist nun die Angst noch viel größer geworden. Seit August 2014 gibt es von israelischer Seite einen Plan für die gezielte zwangsweise Umsiedlung der Beduinen, den sogenannten Nuwei’ma-Plan . Er sieht vor, dass bis zu 12.500 Beduinen zentral in einem Gebiet ganz in der Nähe von Jericho bei An Nuwei’ma zusammengefasst werden – eine Art Beduinenstadt also. Der Plan weist 1120 Parzellen aus, auf denen die Familien ihre Unterkünfte errichten sollen. Über die jeweils 500m² umfassenden Parzellen hinaus sind weder Weideflächen noch landwirtschaftliche Anbaugebiete vorgesehen. Das UN-Generalsekretariat hat die geplante zwangsweise Umsiedlung von Beduinen im Westjordanland als illegalen Akt bezeichnet, illegal im Sinne des internationalen humanitären Völkerrechts und der Genfer Konvention (Verbot von Zwangsumsiedlungen nach Artikel 49). Aufgrund der Proteste und aufgrund von Eingaben an den israelischen Hohen Gerichtshof (Israeli High Court) sind nun weitere Planungen erst einmal verlangsamt.

Abu Ismail mit dem Plan für die Umsiedlungen
Abu Ismail mit dem Plan für die Umsiedlungen

In der Nähe von Jericho bei Ein ad Duyak al Fauna besuchen wir Abu Ismail, einige seiner Söhne sind anwesend, die anderen sind mit den Tieren in den umgebenden Hügeln unterwegs und kommen am späten Nachmittag zurück. Seit 1967 leben sie an diesem Ort. Zum letzten Mal an Weihnachten 2013 haben sie in ihrer Gemeinschaft eine „demolition“ (Zwangsräumung) erlebt. Er zeigt uns den Plan für die Umsiedlungen. Sie wollen sich wehren mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Das sind nicht allzu viele. Diese Menschen sind zermürbt von der andauernden Bedrohung und den oft willkürlich erscheinenden Maßnahmen der Besatzer, denen sie seit Jahren ausgesetzt sind.

Viele sagen, sie wollen lieber sterben, als in eine zentrale Beduinenstadt umgesiedelt zu werden. Oder sie hoffen auf Allah, in dessen Hände sie ihr Schicksal legen. Sollte der Plan tatsächlich durchgeführt werden, so würde dies das Ende der Beduinen- und Hirtenkultur in diesem Land bedeuten.

Wassertanks für all diejenigen, die nicht ans Wassernetz angeschlossen werden. Das Wasser muss teuer gekauft werden.
Wassertanks für all diejenigen, die nicht ans Wassernetz angeschlossen werden. Das Wasser muss teuer gekauft werden.

Neben all dieser großen Bedrohung der Umsiedlung und der Zentralisierung in einem einzigen Gebiet gibt es ja auch noch die alltäglichen Nöte, die nicht minder klein sind. Die Gemeinschaften haben oft keine Wasserversorgung, sie sind nicht an ein öffentliches Wassersystem angeschlossen – so muss das Wasser in Tanks transportiert werden. Kleinere Familieneinheiten wie die von Abed (s.o.) brauchen im Sommer für sich und die Tiere pro Tag 3.000 Liter Wasser, im Winter, wenn es regnet, reicht ein Tank für zwei Tage aus. Pro Tank müssen etwa 70 bis 100 NIS gezahlt werden. Sie dürfen – so die Vorgaben der israelischen Behörden – keine Brunnen graben. So ist es nicht verwunderlich, dass überall – wohin man auch fährt – die Tankwagen zu sehen sind oder Auffangbehälter für das Regenwasser.

Der Beduine Abu Saker
Der Beduine Abu Saker

Auch in dem kleinen Beduinendorf Al Hadidya weiter im Norden des Jordantals hören wir zu, was die Menschen, die unter ärmlichsten Bedingungen leben müssen, erzählen. Der Zugang ist schwer, der Weg darf nicht befestigt werden, um keine dauerhaften Verbindungswege zu schaffen. Die israelische Armee würde dies sofort unterbinden. Wie überall sind auch hier die Themen Wasser und die Ausweitung der militärischen Sperrgebiete und der damit schwindende Zugang zu Weiseland von existentieller Wichtigkeit. Direkt nebenan liegt eine kleine illegale israelische Siedlung, in den 70er Jahren errichtet. Die Beduinen sind den illegalen Siedlern ein Dorn im Auge. Sie bekämpfen sie, sie betrachten das Land als ihren Besitz. Im Jahr 2014 wurden sieben Schafe erschossen, insgesamt sollen zudem über 30 Schafe von den Siedlern vergiftet worden sein, berichtet Abu Saker.

Sie müssten sich wie Diebe auf ihrem Land bewegen, sagt er, obwohl sein Vater doch auch schon auf diesem Fleckchen Erde gelebt hat. Was er möchte, ist Frieden, er hat Angst vor dem Ausbruch von Gewalt, die Welt müsse aufwachen, bevor es zu einer Explosion kommt.

Angelika, Januar 2015

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