Übernachten verboten: Wadi Qana Revisited

Wadi Qana, die Häuserkette auf dem Bergkamm im Hintergrund des Bildes gehört zu einer israelischen Siedlung ©EAPPI
Wadi Qana; die Häuserkette auf dem Bergkamm im Hintergrund des Bildes gehört zu einer israelischen Siedlung ©EAPPI

Jetzt bin ich gut drei Wochen im „Heiligen Land“ und die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Wenn ich aufgefordert wäre, meine Eindrücke dieser ersten Tage in einem Satz zusammenzufassen, dann würde ich antworten: Die Menschen, denen wir bisher begegnet sind, öffnen dankbar ihre Herzen, dankbar dafür, dass sie Menschen gegenüber stehen, die ihnen zuhören und denen sie mit großer Offenheit und Herzlichkeit ihre Sorgen und Nöte berichten können.

Mir kommt es so vor, als sei meine Einreise am Ben Gurion Airport im Januar schon Monate her; so groß erscheint der Abstand zwischen dem idyllischen Wadi Qana und dem kaum 50 km Luftlinie entfernten Ballungsraum von Tel Aviv.

Gleich zu Beginn unseres Einsatzes hatten wir geholfen, bei Rizeqs Hütte Olivenbäume zu pflanzen ©EAPPI
Gleich zu Beginn unseres Einsatzes hatten wir geholfen, bei Rizeqs Hütte Olivenbäume zu pflanzen ©EAPPI

Bereits im Dezember 2017 hatte Vanessa auf unserem Blog über Wadi Qana berichtet. Rizeq, unser lokaler Kontakt im nahegelegenen Dorf Deir Istiya, hat dort Weideland gepachtet. Er besitzt zusammen mit drei Freunden eine kleine Ziegenherde. Die Herde bleibt über Nacht in einer großen Höhle, die als Stall dient, und deren Eingang mit Mauern und Gattern eingefriedet ist. Daneben haben sich Rizeq und seine Partner eine kleine Hütte aus Feldsteinen für Geräte und als Unterkunft für die Nächte, die sie dort verbringen, gebaut. Im Dezember berichtete Vanessa, dass

Der Ziegenstall vor und nach (nächstes Bild) der Zerstörung ©EAPPI
Der Ziegenstall vor und nach (nächstes Bild) der Zerstörung ©EAPPI

Rizeq für die Hütte eine Abrissanordnung bekommen hatte, eine Aufforderung, die kleine Hütte selbst zu beseitigen. Andernfalls würde sie von den Behörden abgerissen. Wadi Qana wurde nicht nur zum Naturschutzgebiet erklärt, das Tal liegt auch in der C-Zone der Westbank, die vollständig unter israelischer Kontrolle steht, und in der Baugenehmigungen so gut wie nie zu bekommen sind.

©EAPPI
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Am 11.Februar war es dann soweit. Rizeq berichtet: „Um 07:00 morgens kamen Soldaten an die kleine Abzweigung, an der der Weg zu meinem Stall hoch geht. Sie verbarrikadierten den Zugang mit großen Steinen. Von dem Lärm, den sie dabei verursachten, bin ich wach geworden. Nachdem sie mit der Blockade des Wegs fertig waren, näherte sich eine Gruppe der Soldaten unserem Haus. Ein Offizier streckte mir zur Begrüßung seine Hand entgegen. Ich verweigerte die Geste und sagte: „Ich kann nicht die Hand eines Menschen schütteln, der gekommen ist, mein Haus zu zerstören“. Der Offizier antwortete: „So wissen Sie also, warum wir hier sind ?“ Ich nickte.

Der Offizier wies mich daraufhin an, meine persönlichen Sachen und Papiere zusammenzusuchen und aus der Hütte zu entfernen. Ich packte alles in eine Box und ging hinunter zum Hauptweg, um sie dort hinter einem Stein zu deponieren. Als ich zurückkehren wollte, um mich um die Ziegen zu kümmern, die zwischenzeitlich schon den Stall in alle Richtungen auseinander stobend verlassen hatten, hinderten mich die Soldaten daran. Ismael, meinen jungen Gehilfen, hatten sie an den Händen gefesselt, sodass er sich auch nicht um die Tiere  kümmern konnte. Da wurde ich wütend, und es entspann sich ein kleines Gerangel. Ich erinnerte mich daran, wie ich schon einmal 5 Ziegen verloren hatte, die offenbar von Siedlern getötet wurden, weil sie bis an den Siedlungszaun gelangt waren. Nach ein paar hitzigen Wortgefechten erlaubten sie mir schließlich, die Herde zusammen zu treiben. Auch Ismael ließen sie wieder frei.

Rizeq vor dem Schutthaufen, der einst eine Hütte war ©EAPPI
Rizeq vor dem Schutthaufen, der einst eine Hütte war ©EAPPI

Während ich den Berg hinauf eilte, begannen sie mit dem Abriss, von dem ich daher nichts direkt mit bekommen habe. Es gelang mir, die entlaufene Herde zu sammeln, und zur Höhle zurück zu führen. Ich konnte nur noch ihr Zerstörungswerk betrachten. Der Offizier belehrte mich, dass ich das Gebäude nicht wieder errichten dürfe. In drei Monaten würden sie wiederkommen, um das zu überprüfen. Dann luden sie das Abrissmaterial auf einen LKW und zogen ab.

Ich werde nicht nur die Kosten für den Abriss und die Strafe für die Nichtbefolgung der Abrissverordnung zu tragen haben, sie werden mir auch nicht den Verlust einer Ziege ersetzen, die der Bulldozer in dem ganzen Chaos zerquetscht hatte.“

Leider konnten wir nicht direkt vor Ort sein, um die Situation zu beobachten, denn eine andere Gruppe des Militärs hatte den Zugang zum Wadi Qana selbst abgeriegelt. Auf der Autostraße am Eingang des Parks versammelten sich ca. 20 Palästinenser aus Deir Istiya und Umgebung, um gegen die Aktion zu protestieren. Solche Aktionen können in der aufgeheizten Stimmung schnell außer Kontrolle geraten, hier aber blieb alles friedlich. Trotzdem versuchte das Militär die Ansammlung unter Einsatz von Tränengas und sogenannten „Sound Bombs“ aufzulösen, was aber nicht recht gelingen wollte, da der Wind das Gas auch in Richtung der Soldaten wehte. Nachdem der LKW und der Bulldozer das Tal verlassen hatten, gaben die IDF-Truppen den Weg frei, und die Olivenhaine schimmerten in der Sonne, als sei nichts geschehen.

Geburt im Wadi Qana ©EAPPI
Geburt im Wadi Qana ©EAPPI

Wadi Qana wurde bereits 1983 von den israelischen Behörden zum Naturschutzgebiet erklärt, doch erst seitdem 2006 der Ausbau als israelisches Freizeit- und Erholungsgebiet beschlossen wurde hat dieser Umstand auch Folgen für die palästinensischen Landbesitzer[1]. Neue Brunnen zur Bewässerung der Felder können nicht gebaut werden, bestehende Anlagen dürfen nicht repariert werden. Die israelischen Siedlungen auf den Bergkuppen aber beziehen Ihr Wasser aus Tiefbrunnen am Talgrund. Das Wasser wird in dicken Rohrleitungen nach oben gepumpt. Eine Folge davon ist, dass der Bach, der das Tal eingeschnitten hat, in seinem Oberlauf und Quellgebiet trocken gefallen ist. Erst im unteren Teil des Tales fließt ein karges Rinnsal. In den Mandel- und Orangenplantagen sieht man vereinzelt vertrocknete Bäume. Die zähen Olivenbäume aber trotzen dem Wassermangel.

Verkauf von Zitrusfrüchten direkt vom Baum ©EAPPI
Verkauf von Zitrusfrüchten direkt vom Baum ©EAPPI

Die landwirtschaftliche Nutzung dieser Flächen rentiert sich schon lange nicht mehr. Ein Nachbar von Rizeq, der auf der gegenüberliegende Talseite einen Orangenhain besitzt, erklärt uns: „Was ich in einem Monat harter Arbeit mit meinem Land verdienen kann, das kann ich in einer Woche als Tagelöhner in einer israelischen Fabrik verdienen.“ Dennoch ist es wichtig, das Land weiterhin zu nutzen, denn die israelischen Behörden bedienen sich eines alten Rechtsgrundsatz aus der osmanischen Zeit, der es dem Staat erlaubt, Land, das drei Jahre in Folge nicht mehr bewirtschaftet wurde, zu enteignen.

Die palästinensische „Pizza“ wird gebacken ©EAPPI
Die palästinensische „Pizza“ wird gebacken ©EAPPI

An einem Freitag, dem „Sonntag der Muslime“, besuchen wir das Tal erneut. Diesen freien Tag nutzen die Menschen, um ihre Zitrus- und Olivenhaine zu bearbeiten. Wir helfen Rizeqs Nachbarn dabei. Die Früchte werden von den Ästen geschüttelt, und wir klauben die am Boden liegenden Orangen zusammen und schütten sie in große Säcke. Mithilfe des Esels werden die Säcke dann von dem Feld in den Talgrund an den Fahrweg transportiert. Dort werden sie direkt an die vorbeikommenden Ausflügler und Nachbarn verkauft.

Um die Mittagszeit herum füllt sich das Tal. Immer mehr, meist palästinensische Familien bevölkern die Wiesen und den Talgrund, um dort den Nachmittag in der schon warmen Frühlingssonne zu verbringen. Aber vereinzelt sieht man auch Siedler, die das Wadi Qana als Freizeit- und Outdoor – Revier für sich nutzen.

Siedler fahren mit ihrem Quad durch die palästinensischen Felder ©EAPPI
Siedler fahren mit ihrem Quad durch die palästinensischen Felder ©EAPPI

Nach getaner Arbeit ruhen auch wir uns aus und genießen die köstlichen, mit Kräutern und Tomaten gefüllten Fladenbrote, die die Frau des Orangenbauern frisch auf einem kleinen Feldofen für uns gebacken hat. Zwei Siedler nähern sich mit Ihrem geländegängigen Outdoor-Buggy, einer Art überdachtem Quad, querfeldein unserem ländlichen Idyll, ohne dabei allzu viel Rücksicht auf die Feldflur zu nehmen. Sie kaufen ein Fladenbrot, das sie dann gemeinsam in ihrem Gefährt sitzend verzehren. Mir will es so scheinen, dass sich hier zwei unterschiedliche Kulturen begegnen, zwei unterschiedliche Arten, das Land zu nutzen. Hier die alteingesessenen Bauernfamilien, für die das Land vor allem wirtschaftlichen Wert hat und die diesen bedroht sehen, dort die Siedler von den umliegenden Bergkuppen, für die das Tal ein Freizeitpark geworden ist.

Der Nachmittag geht mit Kaffee und jeder Menge Zigaretten, Gesprächen und Scherzen zu Ende. Und dennoch bleibt eine gewisse Wehmut beim Gedanken, dass selbst an diesem scheinbar friedlichen Ort die Auswirkungen der Besatzung für die Menschen so spürbar sind.

Jochen, Februar 2018

[1] https://www.btselem.org/settlements/wadi_qana

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