„They keep it in their hearts“

Das kleine Dorf Khallet Athaba liegt sehr abgelegen in den Bergen südlich der Stadt Hebron. Die Schule des Ortes besuchen Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis zehn Jahren. Vor einigen Tagen hat die Schule eine Abrissverfügung erhalten.

Vor Ort angekommen finden wir die Schule auf einem kleinen Hügel am Rande des Dorfes. Tatsächlich ist das Gebäude erst im Oktober 2018 fertiggestellt worden – u.a. auch aus EU-Mitteln finanziert. Zuvor waren die Kinder in einem Caravan unterrichtet worden. Im Juli letzten Jahres bekam dieser Caravan eine Abrissverfügung und wurde kurz darauf von der Israelischen Zivilverwaltung, einer Sektion der israelischen Armee zur Administration der besetzten palästinensischen Gebiete, zerstört. Nach der Zerstörung fand der Unterricht unter freiem Himmel statt.

Schüler*innen vor der von Abriss bedrohten Grundschule von Khallet Athaba; Foto © EAPPI
Schüler*innen vor der von Abriss bedrohten Grundschule von Khallet Athaba; Foto © EAPPI

Der Schulleiter Rahed Hudeib empfängt uns freundlich. Seine Sorge und seine skeptische Hoffnung auf unsere mögliche Unterstützung sind spürbar. Bei einem Glas Tee erzählt er uns, was wenige Tage zuvor geschehen ist. Aus dem Schulgebäude hören wir dabei die Stimmen der Kinder.

Am vergangenen Dienstag waren ohne Voranmeldung plötzlich zwei Armeefahrzeuge an der Schule vorgefahren. Drei Vertreter der DCO (District Coordination Office der israelischen Armee) sowie neun bewaffnete Soldaten stiegen aus den Fahrzeugen, um bei laufendem Schulbetrieb dem Schulleiter die Abrissverfügung zu übergeben. Die Kinder fürchteten sich vor den Soldaten. Der Schulleiter erzählt von dem 9jährigen Ali, der anschließend so verstört war, dass er im Krankenhaus medizinisch behandelt werden musste. Dass ein solches Militäraufgebot mehr als einschüchternd und bedrohlich von einer Schulgemeinde von 12 Grundschulkindern und zwei Lehrern wahrgenommen wird, ist naheliegend. Der Schulleiter möchte, dass wir verstehen, was ein solches Erlebnis für seine Schüler bedeutet: “They keep it in their hearts – Es bleibt in ihren Herzen”, sagt er nachdrücklich.

Der wiederholte Abriss der Schule verstößt gegen Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention[1], in dem das Recht auf Bildung verankert ist, sowie gegen Artikel 53 der IV. Genfer Konvention, der herausstellt, dass es einer Besatzungsmacht untersagt ist, bewegliches oder unbewegliches Vermögen zu zerstören[2].

Die Schule wurde unter anderem aus Mitteln der EU und EU-Mitgliedsländern finanziert ; Foto © EAPPI
Die Schule wurde unter anderem aus Mitteln der EU und EU-Mitgliedsländern finanziert ; Foto © EAPPI

Das Schicksal dieser kleinen Grundschule ist jedoch keine Ausnahme. In den vollständig von Israel kontrollierten C-Gebieten des Westjordanlands und in Ostjerusalem stehen derzeit fünfzig Abrissverfügungen gegen Schulen aus[3]. 2018 wurden insgesamt fünf Schulen vollständig oder teilweise abgerissen[4]. Etwa 5000 palästinensische Schülerinnen und Schüler sind von diesen Maßnahmen betroffen. Die israelischen Behörden begründen die Abrisse mit fehlenden Baugenehmigungen, ungeachtet der Tatsache, dass diese für die ansässige palästinensische Bevölkerung so gut wie gar nicht zu bekommen sind.

Khallet Athaba liegt jedoch nicht nur in den C-Gebieten, sondern inmitten der „Firing Zone 918“, einem in den 1970er Jahren erklärten aktiven militärischen Übungsgelände. Zwölf traditionelle palästinensische Dörfer, die im Übungsgelände gelegen sind, erhielten 1999 vollständige Zerstörungsanordnungen[5]. Etwa 700 Einwohner*innen wurden Ende 1999 aus den Dörfern vertrieben. Seit 2000 gehen einige der Familien gegen die Zerstörungsanordnungen gerichtlich vor.

Unser Fahrer erklärt uns, dass die Zufahrtsstraße auf der wir fahren, eine Art Grenze bildet: Die eine Seite, auf der sich u.a. auch das palästinensische Dorf Khallet Athaba befindet, wurde als Feuerzone ausgewiesen, die andere Seite der Straße, auf der sich der Siedlungsaußenposten Avigayil[6] befindet, wurde ausgespart, obwohl dieser bei Schießübungen ebenfalls betroffen wäre. Während der Außenposten jedoch stetig wächst, kommt es in den umliegenden palästinensischen Gemeinden immer wieder zu Hauszerstörungen und Konfiszierungen von Land und Eigentum.

Khallet Athaba liegt im israelisch kontrollierten C-Gebiet (blau) in der sogenannten „Firing Zone 918“ (graue Fläche); aus: www.ochaopt.org Interaktive Karte
Khallet Athaba liegt im israelisch kontrollierten C-Gebiet (blau) in der sogenannten „Firing Zone 918“ (graue Fläche); aus: www.ochaopt.org Interaktive Karte

Kinder und Lehrer in Khallet Athaba sorgen sich seit Erhalt der Zerstörungsanordnung um ihre Schule und leben in der Ungewissheit, dass jederzeit wieder plötzlich Soldaten auftauchen können. Allerdings dann mit einem Bulldozer, um die Schule abzureißen. Wir wissen, dass die nächstgelegene Schule weit entfernt ist. Der Schulleiter weist uns darauf hin, dass es zudem in der Vergangenheit immer wieder Übergriffe vonseiten der Siedler gegeben hat, sodass sich die Kinder nicht mehr trauten, einen langen Schulweg entlang der Siedlungen und Außenposten zu gehen.

“Wenn sie die Schule abreißen, dann werden wir in die Höhlen auf unserem Land ausweichen und die Kinder dort unterrichten”, sagt der Schulleiter entschlossen. Wir sind beeindruckt von seiner Beharrlichkeit. Er fragt uns, was wir für ihn tun können. Wir antworten, dass wir einen Bericht schreiben und u.a. an die UN-Organisationen weiterleiten werden. Und wir bitten ihn darum, uns zurufen, wenn es zu neuen Entwicklungen oder gar zur Vollstreckung der Abrissverfügung kommt, damit wir als Augenzeugen dabei sein und die Geschehnisse dokumentieren können. Er weiß, dass wir keinen weiteren Einfluss haben, aber er wirkt zufrieden damit, dass die Situation seiner Schule wahrgenommen und weitergegeben wird.

Christiane, im Februar 2019

 

Ich nehme für pax christi Deutschland am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

 

[1] https://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/crc.aspx

[2]https://www.drk.de/fileadmin/user_upload/PDFs/Das_DRK/Materialien/Allgemein/DRK_Genfer_Abkommen_04_Schutz_von_Zivilpersonen.pdf

[3] https://eeas.europa.eu/delegations/palestine-occupied-palestinian-territory-west-bank-and-gaza-strip/55768/eu-local-statement-dismantling-palestinian-school-simiyan_en

[4] https://www.ochaopt.org/content/right-education-deeply-impacted-ongoing-interference-schools

[5] https://law.acri.org.il/en/2016/02/21/firing-zone-918-infosheet/

[6] http://peacenow.org.il/en/settlements/settlement221-en

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