Shabbatmesse

Die Zeit vergeht wie im Flug. Jetzt haben wir bereits schon das Midtermtraining hinter uns, welches ungefähr in der Mitte unseres Einsatzes stattfindet. Eine Woche lang sind wir durch Israel gereist und haben verschiedene Menschen und Institutionen, vor allem Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kennengelernt. Dabei sind uns sehr viele spannende Menschen begegnet und über jeden von ihnen könnte man einen eigenen Artikel schreiben.

Rabbinerin Alona Nir © EAPPI
Rabbinerin Alona Nir © EAPPI

Besonders inspirierend fand ich die Rabbinerin Alona Nir. Alona wurde am Hebrew Union College Jerusalem als Reform Rabbinerin ordiniert und seit 2017 ist sie die Rabbinerin der Synagoge Kehilat Mevasseret Zion in West-Jerusalem. Außerdem hat sie einen Master in Konfliktbewältigung von der Hebrew University und hat mehr als 15 Jahre in der informellen jüdischen Bildung im In- und Ausland gearbeitet. Sie wohnt mit ihrer Frau Yael und der gemeinsamen Tochter in Mevasseret Zion. Wir trafen Alona vor der Shabbatmesse am Freitagabend in der Synagoge und hatten die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen und anschließend auch an der Messe teilzunehmen. Sie erzählte uns zunächst, dass nur wenige Kilometer entfernt das palästinensische Dorf Beit Surik liegt. Früher seien die Beziehungen gut gewesen, man habe gemeinsam Feste gefeiert und es bestand ein friedliches Verhältnis. Leider sei dies heute nicht mehr so. Denn nun steht die Sperranlage zwischen den Gemeinden, zwischen denen die Grüne Linie verläuft. Außerdem herrsche heutzutage Misstrauen und Angst vor und Alona sagt, sie bedauere diese Situation sehr. Die Palästinenser seien ihre Nachbarn, sie könne hören, wenn sie eine Hochzeit feiern, das Essen riechen, die Lichter sehen, und doch seien die beiden Gemeinden unüberwindbar voneinander getrennt.

Seit ca. 20 Jahren bemerke sie auch ein Zerbröckeln  der Demokratie in Israel. Sie erklärt uns, dass in der Thora 36 Mal stehe, dass man den „nicht-jüdischen Menschen“, mit dem man zusammenlebe, lieben solle. Deshalb setzte Alona sich für ein Judentum ein, das sich der Welt öffnet und sich weiterentwickeln kann. Viele Dinge, die in der Thora stehen, passten so nicht mehr in die heutige Zeit. Deshalb spricht sie sich für ein lebendiges, flexibles Judentum aus, und sagt, man müsse beim Lesen der Thora den Mut haben, die Entwicklung im Hinterkopf zu behalten. Alona ist sehr charismatisch und hat eine wunderbare positive Ausstrahlung. Auch die Shabbatmesse selber gefällt mir sehr. Es wird fast ausschließlich gesungen und nur wenig gesprochen. Auch erscheint mir die Messe sehr dynamisch, verschiedene Gemeindemitglieder singen und leisten Beiträge zur Messe, die Stimmung ist insgesamt gelöst und fröhlich, die Messe wird zelebriert wie ein Fest. Alona übersetzt einige Dinge für uns, größtenteils hält sie die Messe jedoch auf Hebräisch.

Sie erzählt uns auch von den diversen Problemen, die sie als Rabbinerin einer Reformsynagoge erlebt. In Israel, so sagt sie, haben die orthodoxen Strömungen des Judentums die religiöse Autorität. Sie träfen alle Entscheidungen bezüglich persönlicher religiöser Belange, wie Hochzeiten oder Beerdigungen. Nur sie können offiziell Ehen schließen und Ehen zwischen zwei Frauen werden in den orthodoxen Strömungen nicht anerkannt. Deshalb mussten Alona und ihre Frau in die USA reisen, dort heiraten und ihre Ehe nachträglich in Israel als zivile Ehe anerkennen lassen. Menschen jüdischen Glaubens, die in Israel eine Person aus einer anderen Glaubensgemeinschaft heiraten oder die keine religiöse Hochzeit möchten, können dies in Israel nicht tun, da alle Ehen von orthodoxen Rabbinern geschlossen werden müssen. Daher heiraten viele Paare nun im Ausland und lassen ihre Ehe nachträglich in Israel anerkennen.

Alona ist davon überzeugt, dass nicht-orthodoxe Juden in keinem anderen Land so viele Probleme damit haben, ihren Glauben auszuüben, wie in Israel. Damit bringt sie ein Paradox auf den Punkt, von dem ich hier schon häufiger gehört habe, nämlich, dass verschiedene Strömungen des Judentums ausgerechnet in Israel mit Diskriminierung zu rechnen haben. Weiterhin hat Alona uns erzählt, dass sie als Reform Rabbinerin auch finanzielle Nachteile habe. Nur orthodoxe Synagogen würden finanziell vom Staat gefördert. Orthodoxe Rabbiner erhielten ihr zufolge ein gutes Gehalt, während sie und ihre Synagoge auf Spenden angewiesen sind.

Dennoch ist Alona sehr hoffnungsvoll und spricht sich für einen Dialog zwischen den verschiedenen Strömungen des Judentums und unterschiedlichen Religionen aus. „We are different, but we are all human beings.“

Anja, August 2018

 

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