Rückkehr nach Iqrit – Der Traum einer christlichen Gemeinde im Norden Israels

Ganz im Norden von Israel, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zum Libanon, wandern wir durch die Ruinen des christlichen Dorfs Iqrit. Iqrit wurde 1951 vom israelischen Militär zerstört, nur die Kirche und der Friedhof blieben erhalten. Bis heute wird die Kirche nicht nur als Gebetshaus genutzt, sondern auch als Versammlungsort und Unterkunft für die Nachfahren der palästinensisch-christlichen Gemeinde, die den Ort einst verlassen musste. Diese jungen Menschen planen nun die Rückkehr nach Iqrit.

Shadia Sbeid vor einer Ansicht von Iqrit vor der Zerstörung; © EAPPI
Shadia Sbeid vor einer Ansicht von Iqrit vor der Zerstörung; © EAPPI

Unsere Gruppe besuchte Iqrit im Dezember. Shadia Sbeit, deren Familie aus Iqrit stammt, erzählte uns die bewegende Geschichte des Ortes. Das Dorfleben in Iqrit, zuvor geprägt von Landwirtschaft und Tierhaltung, kam während des Arabisch-Israelischen Krieges 1948 vollständig zum Erliegen. Die israelische Armee besetzte das Dorf im Oktober 1948 und forderte die damals etwa 490 Einwohner auf, Iqrit für zwei Wochen zu verlassen. Lediglich 60 Bewohner durften laut Shadia zunächst bleiben, um die Besitztümer und die landwirtschaftlichen Nutzflächen der Familien zu bewachen. In dem Glauben, bald zurückkehren zu können, verließen die übrigen Einwohner Iqrit ohne ihr persönliches Hab und Gut, um im etwa 30 Kilometer entfernten Ort Rameh unterzukommen.

Eine Rückkehr nach Iqrit wurde ihnen nach dem Ende der Zwei-Wochen-Frist jedoch verwehrt. Neun Monate später erklärte die israelische Armee das Dorf zu einem militärischen Sperrgebiet und auch die verbliebenen Einwohner mussten das Dorf verlassen. Die Menschen aus Iqrit klagten gegen die Entscheidung und bekamen 1951 vom Obersten Gerichtshof Israels das Recht auf Rückkehr zugesprochen. Dieses Urteil wurde jedoch nie in die Praxis umgesetzt. An Weihnachten 1951 zerstörte das israelische Militär Iqrit fast vollständig. Damit wurde eine Rückkehr unmöglich. Kurze Zeit später wurden die Ländereien zu Staatsland erklärt.

Shadia berichtet, dass die Mehrheit der Vertriebenen daraufhin in Rameh blieb. Einige der ehemaligen Bewohner sind aber auch aus der Region weggezogen und haben versucht, sich in anderen Teilen des Landes eine Existenz aufzubauen. Sie alle eint, dass sie heute israelische Staatsbürger sind. Damit gehören sie zu den etwa zwanzig Prozent arabisch-palästinensischer Einwohner Israels[1]. Gleichzeitig sehen sich die Menschen aus Iqrit als Binnenvertriebene, deren Rückkehr an den Heimatort bis heute verwehrt bleibt.

Die Kirche von Iqrit; © EAPPI
Die Kirche von Iqrit; © EAPPI

Shadia erzählt uns, wie schwierig das Leben manchmal für sie als palästinensische Israelis ist. Sie leben ihren Alltag in Israel, haben jüdische Freunde, besuchen die gleichen Restaurants und arbeiten und studieren gemeinsam mit anderen Israelis. Viele Israelis, die nach 1948 geboren wurden, wüssten laut Shadia aber gar nichts über die internen Vertreibungen und die Geschichte der Palästinenser in Israel. Auch in ihrem Bekanntenkreis stoße sie regelmäßig auf Unwissenheit über die Herkunft der palästinensischen Israelis, so Shadia.

Die Familien aus Iqrit können ihre ursprüngliche Heimat dagegen nicht vergessen. Obwohl nach der Zerstörung des Dorfes vor 67 Jahren nur die Kirche und der Friedhof erhalten geblieben sind, ist der Ort auch heute noch von großer Bedeutung für die Familien. „Iqrit ist immer noch unser Zuhause und ein starker Teil unserer Identität“, macht Shadia deutlich. Erst seit 1971 ist es den ehemaligen Bewohnern erlaubt, das Dorf wieder zu betreten. Seitdem kommen sie jeden Samstag, um in der Kirche zu beten. Am jüdischen Shabbat also, weil dies der arbeitsfreie Tag ist. Sie feiern auch ihre Hochzeiten hier, lassen ihre Kinder in der Kirche taufen und bestatten ihre Toten auf dem Dorffriedhof. Für die Gemeinde ist es wichtig, die Verstorbenen wieder in der Heimat beerdigen zu können.

Inzwischen sind es laut Shadia noch etwa 100 ehemalige Bewohner und ihre Nachfahren, die zur Dorfgemeinschaft gehören. In Iqrit dauerhaft leben könnten sie aber immer noch nicht. Die Anordnung zur Enteignung und Stilllegung des Dorfes sei bis heute nicht von den israelischen Behörden aufgehoben worden.

„Iqrit ist ein Dorf, das immer noch existiert, und wir wollen hierher zurückkehren“, sagt Shadia. Dafür haben die Gemeindemitglieder 2009 einen Verein gegründet, mit dem sie für den Erhalt des Dorfes und ihr Recht auf Rückkehr kämpfen. Jährlich finden in Iqrit zudem Sommercamps mit Workshops und Konzerten für Jugendliche statt. Immer wieder kam es in den letzten Jahren dabei auch zu Vorfällen mit Militär oder Polizei. Shadia berichtet uns von Personen, die kurzzeitig verhaftet wurden und von Fällen, in denen die Polizei persönliche Gegenstände zerstörte oder konfiszierte. Als das Militär 2012 nach einem Sommercamp einen Baum entwurzelte, der zuvor von Teilnehmern des Camps gepflanzt worden war, beschlossen einige junge Iqritis aus Protest, dauerhaft in Iqrit zu bleiben.

Innenansicht der Kirche von Iqrit; © EAPPI
Innenansicht der Kirche von Iqrit; © EAPPI

Stolz erzählt uns Shadia, dass seit 2012 an sieben Tagen in der Woche junge Leute nach einem Rotationsprinzip in Iqrit übernachten. Durch den ständigen Wechsel können sie zwischen Studium und Arbeit gewährleisten, dass immer jemand vor Ort präsent ist. Bei unserem Rundgang treffen wir in einem Gebäudeteil der Kirche auf zwei Jurastudenten, die zurzeit in Iqrit übernachten und gerade für die Uni lernen. Unsere Gruppe nimmt Platz und wir bekommen Tee und Plätzchen serviert. Trotz Heizlüfter ist es in dem kleinen Raum ziemlich kalt. Ich bewundere die beiden dafür, dass sie es bei der Kälte auch im Winter hier aushalten. Einer der Studenten erzählt uns, dass er selbst zwar inzwischen woanders lebt, hier aber zu seinen Wurzeln zurückkommt, denn sein Grossvater ist vor der Vertreibung 1948 in Iqrit geboren worden. Er erklärt uns: „Araber haben weniger Bezug zu dem Ort, an dem sie leben, sondern vielmehr zu dem Ort, aus dem ihre Eltern und Großeltern stammen.“

Und Shadia ergänzt: „Für uns als Palästinenser ist es sehr wichtig, nah bei der Familie und an einem Ort zu wohnen, mit dem unserer Familien über Generationen verbunden sind.“ Die permanente Anwesenheit der jungen Generation am Heimatort habe daher einen hohen symbolischen Wert für die ganze Gemeinschaft von Iqrit, weil sie damit das Dorf am Leben erhalten.

Melanie, Januar 2019

 

Ich nehme für das Berliner Missionswerk (BMW) am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des BMW oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] http://worldpopulationreview.com/countries/israel-population/

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