Zu Besuch auf der Organic Farm in Tulkarem

Fayez Taneeb und seine selbst konstruierte Bewässrungsanlage einem seiner Gewächshäuser (Photo: EAPPI)
Fayez Taneeb und seine selbst konstruierte Bewässrungsanlage einem seiner Gewächshäuser (Photo: EAPPI)

Bereits zum zweiten Mal besuchen mein Team und ich nun Fayez Taneeb and seine Frau Mouna auf ihrer organischen Farm in Tulkarem, die den schönen Namen „Hakoritna-Farm“ (حكورتنا) trägt. Das bedeutet grob übersetzt so viel wie „unser kleiner Garten vor dem Haus“. Wir werden herzlich begrüßt und in einen hinter zwei riesigen Bäumen versteckten Platz im Freien geführt, wo gemütliche Sofas und Matratzen auf uns warten. Die StudentInnen der Kadoorie Universität[1] in Tulkarem, die jedes Jahr für ca. 4 Monate zu Fayez geschickt werden, um ihr theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen zu unterfüttern, haben diesen Platz zu einer Art „chillout-area“ umgestaltet. Ein wunderschöner Ort voller Stille und Natur, der nur von dem Anblick der Sperranlage gestört wird, die in ca. 20 Meter Entfernung verläuft. Eine graue Betonwand, die sich ins Unendliche zu erheben scheint. Auf dem Kopf der Mauer ist Stacheldraht zu sehen, sowie vereinzelt Videokameras. Kein schöner Anblick.

Die organische Farm ist insgesamt an drei Seiten von Mauer und Stacheldraht umgeben. Zu allem Überfluss grenzt auch noch eine chemische Fabrik mit dem Namen Gishuri Industries direkt an das Grundstück. Was dort genau hergestellt wird, ist unklar. Eine große Betonmauer versperrt die Sicht. Bevor diese im Jahr 2003 errichtet wurde konnte man dem Farmer Fayez zu Folge erkennen, dass dort unter anderem landwirtschaftliche Produkte wie Unkrautvernichter und Dünger produziert wurden. Bildhaft erzählt uns der Farmer von einem Vorfall, der sich knapp 2 Jahre nach der Inbetriebnahme der Chemiefabrik im Jahr 1989 ereignete. Eines Tages kamen seine Frau und er am Morgen auf die Farm und sahen mit Entsetzen, dass alle Pflanzen mit einer Art weißem Pulver überdeckt waren. In weniger als einer Woche sind dann alle Pflanzen eingegangen. Nicht nur die Taneeb-Farm war davon betroffen. Auch die Farmen der jüdischen Nachbarorte hatten mit den chemischen Substanzen zu kämpfen, berichtet Fayez.

Fayez zufolge beeinträchtigt diese Fabrik – sowie 10 weitere Chemiefabriken in der näheren Umgebung – das Leben von mehr als 95.000 PalästinenserInnen, die in deren direktem Umfeld leben. Eine Studie[2] aus dem Jahr 2003, die an der An-Najah Universität in Nablus durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die Gebiete Jenin und Tulkarem, in denen die israelischen Chemiefabriken angesiedelt sind, die höchsten Lungenkrebsraten in der Westbank aufwiesen, und die Luftverschmutzung durch die Chemiefabriken in Tulkarem unter anderem ursächlich dafür sein könnte.

Ursprünglich war die Chemiefabrik im israelischen Kfar Saba angesiedelt. Weil dort zahlreiche Menschen gegen die schädlichen Abgase der Fabrik und deren gesundheitsschädliche Wirkung protestierten und schließlich vor Gericht zogen, musste die Fabrik im Jahr 1982 aufgrund einer gerichtlichen Anordnung schließen.[3] Im Jahr 1987 eröffnete sie erneut, diesmal jedoch auf einer von den israelischen Behörden zum Industriegebiet ernannten Fläche, die mit den Oslo-Verträgen zum C-Gebiet wurde, inmitten einer palästinensischen Nachbarschaft in Tulkarem.[4] Fayez zufolge fährt die Chemiefabrik an bestimmten Tagen im Jahr ihre Produktion herunter. Dem Farmer zufolge passiert dies immer dann, wenn der Wind die Richtung wechselt und die Abgase der Fabrik in Richtung der israelischen Orte wehen, die ebenfalls in Reichweite der Chemiefabrik auf der anderen Seite der Sperranlage liegen.

Die benachbarte Chemiefabrik ist aber nicht das einzige Problem, mit dem die Farm von Fayez und seiner Frau in den letzten Jahrzehnten zu kämpfen hatte. Im Zeitraum von 1989-2003 wurde die Farm ganze dreimal vom israelischen Militär komplett zerstört. Seine Frau und er wurden vom Militär bedroht und Fayez selbst wurde beinahe von einem Bulldozer überrollt, als er sich diesem in den Weg stellte. Nur das beherzte Eingreifen seiner Frau konnte ihn damals retten. Weshalb seine Farm und er ein Dorn im Auge des israelischen Militärs waren, begründet der Farmer mit seinem Aktivismus. Schon früh habe er sich für gewaltlosen Widerstand interessiert und viele Demonstrationen organisiert, berichtet er uns. Fayez zufolge fanden über 100 Demonstrationen alleine vor der Gishuri Chemiefabrik statt, zu denen an manchen Tagen bis zu 500 Demonstrantinnen – darunter auch viele Internationale – kamen. Nebenbei ist er auch aktiv beim Popular Committee Against the Wall and Settlements, dessen Vorsitz er im Bezirk Tulkarem übernommen hat. Fayez ist zudem davon überzeugt, dass die israelische Regierung in den Farmern eines ihrer größten Probleme sieht. Ihm zufolge ist das Ziel der Besatzungspolitik, auch in den besetzten palästinensischen Gebieten möglichst viel Land für israelische Projekte wie Siedlungen zu enteignen, z.B., indem Landwirten der Zugang zu und die Arbeit auf ihrem Land erschwert werden. Die starke Verbundenheit der palästinensischen Farmer zu ihrem Land erschwere dieses Vorhaben jedoch.

Organischer Farmer Fayez und der Tank mit seinem Spezialdünger, der „Suppe“ (Photo: EAPPI)
Organischer Farmer Fayez und der Tank mit seinem Spezialdünger, der „Suppe“ (Photo: EAPPI)

All den Widrigkeiten zum Trotz ließ sich Fayez jedoch nicht davon abhalten, die Farm jedes Mal aufs Neue wieder aufzubauen. Von den ursprünglich 32 Dunum, die er einst besaß, sind nach dem Bau der Sperranlage im Jahr 2003, die über sein Grundstück verläuft, nur noch 18/19 Dunum übrig. Eine Genehmigung bei der israelischen Zivilverwaltung, um sein Land auf der anderen Seite der Mauer zu bewirtschaften, hat er bis heute nicht beantragt. Fayez möchte niemanden um Erlaubnis bitten müssen, um sein eigenes Land betreten zu können. Um dem Flächenverlust auszugleichen, hat er Land von seinen Nachbarn angemietet, die dieses selbst nicht bewirtschaften können.

In den letzten Jahren haben Fayez und seine Frau viele verschiedene Länder in Europa und im Rest der Welt bereist, um mehr über die verschiedenen Formen organischer Landwirtschaft zu lernen. Fayez erklärt uns, dass er selbst zwar nichts an der Existenz der Chemieanlage in seiner Nachbarschaft unternehmen, wohl aber darüber entscheiden könne, was auf dem von ihm bewirtschafteten Gebiet passiert. Deshalb hat er sich bewusst dagegen entschieden, chemische Substanzen zu verwenden und düngt seine Pflanzen beispielsweise mit einer selbst entwickelten Tinktur – von ihm „Suppe“ genannt, die aus den Hinterlassenschaften von Kühen, Wasser und aus Küchenabfällen hergestellt wird. Er selbst nennt diese Art des Landwirtschaftens „agricultural resistance“, da er versucht, so wenig wie möglich aus Israel zu importieren. Alle landwirtschaftlichen Geräte und Utensilien sind Fayez zufolge dort sehr teuer. Viele Bauern sind jedoch auf sie angewiesen. Fayez hingegen möchte sich seine Unabhängigkeit bewahren und lässt sich deshalb auf seinen vielen Reisen von seinen ausländischen Kolleginnen inspirieren. Besonders ins Schwärmen gerät der Farmer, wenn er über die drei Workshops in Portugal berichtet, die er besucht hat. Stolz erzählt er uns, dass seine Farm mittlerweile als ein „eco village“ zertifiziert ist.

In sechs Gewächshäusern auf über 9000m2 baut Fayez Tomaten, Gurken, Bohnen, Paprika, Mulukhiyah (eine palästinensische Spezialität) und viele weitere Köstlichkeiten an. Auch außerhalb der Gewächshäuser werden verschiedene Obst-und Gemüsearten angepflanzt. Von Auberginen über Za’atar (ein beliebtes arabisches Gewürz) bis hin zu Salaten findet sich auch zahlreichen Olivenbäumen sowie viele Birnen- und Apfelbäume, Feigen- und Granatapfelbäume. Ein kleiner Bereich, auf dem besonders viele verschiedene Bäume und Sträucher angebaut sind, trägt den Namen „Mounas Garten“. Fayez erzählt uns davon, wie niedergeschlagen seine Frau war, als all die Bäume und Pflanzen vom Militär herausgerissen und zerstört wurden und ihnen für mehrere Jahre der Zutritt zu ihrem Grundstück verwehrt wurde. Fayez versprach seiner Frau damals, dass das erste, was er machen werde – sollten sie je wieder Zutritt zu ihrem Grundstücke erhalten – das Anlegen eines Gartens für sie sei, mit all den verschiedenen Früchten, die von den Bulldozern zerstört worden sind. Als die beiden dann im Jahr 2005 wieder zurück auf ihre Farm durften, hielt Fayez sein Versprechen und widmete dieses Stückchen Land, mit all seinem Bäumen und Sträuchern, seiner Frau Mouna.

Mouna Taneeb, die Frau von Fayez, und die ihnen zugelaufene Katze, Sissy (Photo: EAPPI)
Mouna Taneeb, die Frau von Fayez, und die ihnen zugelaufene Katze, Sissy (Photo: EAPPI)

Nicola, August 2018

[1] Kadoori ist eine Technische Universität mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft. Sie wurde 1930 während der Zeit des britischen Mandats eröffnet, finanziert aus dem Nachlass und auf Wunsch des jüdischen Philanthropen Sir Ellis Kadoorie. Bis heute trägt die Universität seinen Namen.

[2] https://scholar.najah.edu/sites/default/files/all-thesis/lung_cancer_and_associated_risk_factors_in_the_west_bank.pdf

[3] https://www.middleeastmonitor.com/20140427-spring-time-in-tulkarem-as-farms-fight-israeli-chemical-factories/

[4] https://www.hrw.org/report/2016/01/19/occupation-inc/how-settlement-businesses-contribute-israels-violations-palestinian

 

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